50 01 | 2022 punkt des Versands und der Auslieferung, eventuellen Verspätungen, der Marktnachfrage usw. zu machen. Die Schifffahrtsindustrie hat jedoch begonnen, stark in neue Technologien zu investieren, um dies zu ermöglichen. Eine Vielzahl von Sensoren ermöglicht die Echtzeitverfolgung von Vermögenswerten. In ein kohärentes Bild zusammengefügt, schaffen sie eine sehr genaue Beschreibung des Zustands des Unternehmens, von dessen Kunden und der potenziellen Risiken. Dieser Datenschatz hilft nicht nur dem Kerngeschäft der Unternehmen, sondern ermöglicht es auch, digitale Zwillinge der finanziellen Umwelt der Firmen zu konstruieren. Digitale Zwillinge bilden Mikroökonomie der Firma ab Banken und Unternehmen werden von engen Partnerschaften profitieren, die eine tiefe digitale Integration der Finanzdienstleister in die Schnittstellen der Firmenkunden ermöglicht. Digitale Zwillinge werden zum einen die Mikroökonomie des Unternehmens abbilden. Zum anderen können Datenpunkte aggregiert werden, um ein detailliertes Bild der makroökonomischen Welt zu zeichnen, in der die Firmenkunden agieren. Banken stellen ihren Großkunden bei- spiels- weise nötige Liquidität zur Verfügung. Um die Sicherheit dieser Kredite zu gewährleisten, werden heutzutage vergleichsweise rudimentäre Daten über Forderungen aus Lieferungen und Leistungen herangezogen. Mithilfe künstlicher intelligenter Systeme wird die Echtzeit-Schnittstelle zu Unternehmen genutzt, um einen digitalen Zwilling zu schaffen, der statt der physischen Abläufe einer Ölplattform die Finanzen und Geschäftstätig keiten des Unternehmens modelliert. Dieses Modell wird in das Risikomanagement jedes Kredits einfließen und Hintergrundprozesse gänzlich automatisieren, aber es wird auch einen Wert schaffen, der über den Kredit hinausgeht. Der größte Nutzen für das Unternehmen ergibt sich aus den Vorhersage- und Beratungsfunktionen, die diese Modelle ermöglichen. Die Analyse- und Vorhersagefähigkeiten werden digitale Liquiditätsberater schaffen, die es den Unternehmen ermöglichen, die finanziellen Gegebenheiten, die ihr Geschäft antreiben, auf einer beispiellosen Detailstufe zu verstehen. Digitalisierung beschleunigt die Business-Zyklen. Auch Nearshoring (das Auslagern von IT-Projekten ins nähere Ausland), verbunden mit Automatisierung, wird, sobald die Trennungsschmerzen überwunden sind, Prozesse noch weiter beschleunigen. Um diese Veränderungen zu bewältigen und mit der Beschleunigung der Finanzdienstleistungen Schritt zu halten, benötigen die Finanzabteilungen von Unternehmen digitale Unterstützung, die schnell vorausschauende Informationen liefern kann. Ein digitaler Liquiditätsberater wird in der Lage sein, sich in die Finanzgeschäfte und Konten des Unternehmens einzuklinken und auf der Grundlage der gesammelten Daten Finanzierungsoptionen vorzuschlagen. Die Finanzierungsoptionen werden auf Basis einer nahezu in Echtzeit erfolgenden Bewertung durch die KI der Bank festgelegt. Im weniger komplexen und stärker standardisierten Privatkundenmarkt ist automatisiertes Portfoliomanagement und Robo Advisory bereits weit verbreitet. Der weniger standardisierte Markt für Geschäftskunden besitzt einen höheren Grad an Komplexität und
01 | 2022 51 bedient individuellere Bedürfnisse der Kunden, weswegen er auf der Innovationskurve dem Privatkundenmarkt folgt. Je mehr Kunden Teil dieses Ökosystems sind, desto besser wird das Verständnis der Interdependenzen der Branche, der ein Firmenkunde angehört. Ein Unternehmen allein profitiert von der internen Digitalisierung. Können jedoch Daten über die Branche hinweg ausgetauscht werden, schafft es Effizienzen über das gesamte System. Dazu ist jedoch zwingend eine Vertrauensinstanz notwendig, die als Aggregator für die einzelnen digitalen Zwillinge der Unternehmen agiert. Anonymisierung von Datensätzen wird möglich Klassischerweise haben diese Rolle Technologieunternehmen eingenommen, die eine Plattform für einzelne Firmen bieten, indem sie die notwendige Infrastruktur bereitstellen – und in der Tat drängen Unternehmen wie Ant Financial (Alibaba) auf diesen entstehenden Markt für Data Driven Lending. Ebenfalls machen es Fortschritte in der Kryptographie möglich, Datensätze zu anonymisieren und sie trotzdem verwertbar zu machen. Dieses Prinzip wird beispielsweise in Distributed-Ledger-Technologien (DLT) als Zero Knowledge Proofs eingesetzt. Diese Protokolle erlauben es zu verifizieren, dass eine bestimmte Interaktion stattgefunden hat, ohne dass die Interaktion selbst offengelegt werden muss. Doch der natürliche Partner mit einem existierenden Vertrauensverhältnis ist, vor allem für westliche Unternehmen, die Finanzindustrie – nicht Technologieunternehmen. Banken haben heute schon Zugang zu sensiblen Informationen über die Geschäftstätigkeiten und Liquidität ihrer Kunden. Ihre über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte aufgebauten Strukturen sind ein Garant für Vertraulichkeit. Jedoch müssen Kreditinstitute ein neues Skillset und neue Sensibilitäten entwickeln, um dieses Vertrauensverhältnis in eine datengetriebene, digitale Welt zu übertragen. Unternehmen müssen bei der Datengenerierung unterstützt werden. Die Integration der digitalen Schnittstellen verlangt Teams mit hohem technischen und inhaltlichen Verständnis. Gleichzeitig muss der Service der Bank als Plattformanbieter für Geschäftskunden neu gedacht werden. Große Finanzdienstleister wie JPMorgan Chase oder Goldman Sachs versuchen sich seit Jahren als Technology Group neu zu denken. Banken werden sich insgesamt mehr in Richtung Technologieunternehmen wandeln und müssen dabei das Vertrauensverhältnis, das sie mit ihren Kunden aufgebaut haben, aufrechterhalten und ausbauen. Fazit Nach 20 Jahren intensiver Digitalisierung sind Unternehmen an einem Punkt angelangt, an dem genug Daten zur Verfügung stehen, die es ermöglichen, Wirtschaftsmodelle in ungeahnter Komplexität zu simulieren. Banken müssen digitale Kompetenzen nicht nur intern aufbauen, sondern vor allem auch extern mit ihren Kunden zusammenarbeiten. Der Finanzsektor kann das Datenpotenzial der Unternehmen nutzbar machen und sowohl die Anreize als auch die Unterstützung bieten, um als Katalysator für die Digitalinfrastruktur zu dienen. Autor Stefan Raß ist Zukunftsexperte beim Business Thinktank Themis Foresight. Der Soziologe und Politikwissenschaftler forscht zu Themen etwa in den Bereichen Finanzwesen, Logistik und Mobilität und beschäftigt sich mit KI und Blockchain.
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