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diebank 09 // 2020

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

MARKT GEFRAGT IST EINE

MARKT GEFRAGT IST EINE UMFASSENDE SICHTWEISE Corona-Krise zeigt die Grenzen unserer Risiko-Modelle Was ist eigentlich Risiko? Diese Fragestellung ist aktueller denn je: Die Corona-Krise trifft den Kern unseres Wirtschaftslebens und damit auch die Finanzwirtschaft. Sie macht es nötig, vertraute Muster infrage zu stellen. Der hier vorgestellte kulturwissenschaftliche Ansatz unseres Autors 1 ergänzt und erweitert die üblichen finanzmathematisch-betriebswirtschaftlich geprägten Denkmuster. Der abrupte und unvorhergesehene Stillstand der Wirtschaft infolge der Corona-Pandemie zeigt beispielhaft die Grenzen unseres Verständnisses von Risiko. Auch mit den mathematisch ausgefeiltesten Techniken des Risikomanagements ist es faktisch nicht möglich, eine solche Situation verlässlich zu bewerten. Trotzdem können die Finanzmärkte nicht auf das Managen der Risiken verzichten, denn diese Techniken machen Unternehmen erst handlungsfähig, etwa indem sie zukünftigen Ereignissen einen Preis geben. Es ist ein neues Verständnis für die Kalkulation des Nichtkalkulierbaren nötig. Der Seefahrer und das Riff „Risicum“ war im mittelalterlichen Latein ein häufig verwendeter Begriff – er bezeichnete die Gefahren eines Riffs, auf das Seefahrer aufpassen müssen. Möglicherweise stammt das lateinische Wort vom Arabischen „rizq“ ab: Dieser Begriff lässt sich als etwas von Gott Kommendes, von dem ein Mensch profitieren kann, übersetzen. Auf alle Fälle bestand schon früh eine Verbindung zwischen Risiko und Profit, denn viele Handelsreisen wurden mit Seedarlehen finanziert, die schon in römischen Zeiten eine übliche Kreditform waren. Allerdings lag spätestens im Mittelalter der Zinssatz für diese Kredite nahe bei Null, die katholische Kirche ging streng gegen „Wucherei“ vor. Solche Seedarlehen lohnten sich für die Kreditgeber häufig nicht, denn viele Schiffe – und damit das eingesetzte Kapitel – gingen verloren. Deshalb entstanden im 14. Jahrhundert in Italien Seeversicherungen, 34 09 // 2020

MARKT für die eine extra Prämie von bis zu 50 Prozent fällig wurde, die nicht unter das Zinsverbot fiel. Seither ist die Verwendung des Begriffs „rischio“ in der italienischen Sprache nachweisbar. Der Begriff wurde wenig später in die deutsche Sprache übernommen: ein Buchhaltungsbuch von 1518 spricht in diesem Zusammenhang von „Auventura und Risigo“ – Abenteuer und Risiko. Das Bankwesen war lange verbunden mit der Seefahrt und dem Handel, hier hat z. B. auch die älteste noch heute bestehende Bank in Deutschland, Berenberg, ihren Ursprung. Vielleicht liegt der Ursprung des immer noch bei Händlern in Banken gebräuchliche Ausdruck, „Risiko zu fahren“, auch in der Seefahrt. Risiko – der Versuch einer Normierung Jedem Risikomanager stehen bei der Gleichsetzung von „Risiko“ mit „Gefahr und Abenteuer“ die Haare zu Berge. Trotzdem findet sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch keine klare Definition, was denn Risiko genau ist: Es gibt stattdessen eine „Pluralität kultureller Risikodefinitionen“, wie es der Soziologe und Risikoforscher Ulrich Beck 2008 in seinem Buch „Weltrisikogesellschaft“ formulierte. Hilft vielleicht der Goldstandard aller Normen, festgelegt durch die International Organization for Standardization (ISO), weiter? Die ISO-Norm 31000(2009) definiert Risiko als „effect of uncertainty on objectives“. Diese Definition verschiebt aber das Problem nur. Was genau „uncertainty“ (Unsicherheit) ist, und wie sich diese von Gefahr unterscheidet, bleibt offen. Der britische Soziologe Anthony Giddens ergänzt einen weiteren Aspekt in seiner Überlegung zum Unterschied zwischen unseren modernen Vorstellungen und denen traditioneller Kulturen: Dort wurde kein Risikobegriff benötigt, denn anstelle des Begriffs Risiko verwendete man Vorstellungen von Schicksal, Glück oder Wille Gottes. Sowohl im Bankwesen als auch im allgemeinen Gebrauch in einer modernen Industriegesellschaft wird diese Gleichsetzung „Risiko = Schicksal“ aber als inakzeptabel angesehen. Die Unterscheidung zwischen Risiko auf der einen Seite und Gefahr, Unsicherheit oder Schicksal auf der anderen Seite beruht stattdessen darauf, dass Risiko sich dadurch auszeichnet, dass es „gemanagt“ und damit beeinflusst werden kann. Die erwähnte ISO- Norm definiert dies so: „Organizations manage risk by identifying it, analysing it and then evaluating whether the risk should be modified by risk treatment.” Ein Besuch bei den Azande Welche Handlungen stellen dann wirklich das „Managen“ von Risiko dar? Die Beschreibungen des britischen Ethnologen Edward Evans-Pritchard, der auf seiner Reise in den Norden Zentralafrikas 1926 die Azande besuchte, erlauben ein kleines Gedankenexperiment. Evans-Pritchard beobachte, wie ein auf hölzernen Stützen gebauter Getreidespeicher einstürzte und einen darunter im Schatten sitzenden Mann erschlug. Die Azande vermuteten, dass Hexerei im Spiel war. Für den modernen Wissenschaftler Evans-Pritchard waren 09 // 2020 35

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