REGULIERUNG 1 | Das Verständnis der EU-Kommission von Sustainable Finance Nachhaltige Entwicklung Umwelt Klimaschutz Klimaanpassungen Sonstige Gesellschaft Wirtschaft Governance Low-Carbon Climate Green Socioenvironmental Sustainable Quelle: Öffentlicher Vortrag von Martin Koch zum EU-Aktionsplan, gehalten auf dem BVI-Nachhaltigkeitstag am 19. April 2018 in Frankfurt am Main. Die bisherigen Entwicklungen Die Aktivitäten der EU hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Finanzindustrie begannen im Anschluss an die Klimarahmenkonvention der UN im Dezember 2015. Etwa ein Jahr später wurde die sogenannte „High Level Expert Group on Sustainable Finance“ (HLEG) gegründet, um konkrete Maßnahmen auszuarbeiten. Am 13. Juli 2017 veröffentlichte die HLEG einen Zwischenbericht. Der Abschlussbericht der HLEG mit zahlreichen Empfehlungen wurde Ende Januar 2018 vorgelegt. In dem Bericht werden zwei dringende Forderungen an ein nachhaltiges Finanzwesen erhoben: 1. Verbesserung des Beitrags des Finanzsektors zu nachhaltigem und integrativem Wachstum durch Finanzierung der langfristigen Bedürfnisse der Gesellschaft 2. Stärkung der Finanzstabilität durch Berücksichtigung der Faktoren Umwelt, Soziales sowie Governance (ESG) bei Investitionsentscheidungen Die EU-Kommission veröffentlichte daraufhin im März 2018 den Aktionsplan „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“. In diesem Plan sind zehn Bereiche definiert, in denen für mehr Nachhaltigkeit gesorgt werden kann. ÿ 2 Der Aktionsplan zielt insbesondere darauf ab, 1. die Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen umzulenken, um ein nachhaltiges und integratives Wachstum zu erreichen; 2. finanzielle Risiken, die sich aus Klimawandel, Ressourcenknappheit, Umweltzerstörung und sozialen Problemen ergeben, zu bewältigen; 3. Transparenz und Langfristigkeit in der Finanz- und Wirtschaftstätigkeit zu fördern. Einen Schwerpunkt bildet Punkt neun des Aktionsplans. Vorgesehen sind Maßnahmen zur „Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen“ und Rechnungslegung. Mehrere Reporting-Ebenen sind betroffen: Informationen über die Firma selbst (nichtfinanzielle Informationen), über die Produkte und Services sowie über Nachhaltigkeitsfaktoren in Entscheidungs- und Investmentprozessen. Konkrete Reporting-Pflichten definiert Auch Anpassungen der internationalen Rechnungslegungsvorschriften für Unternehmen (International Financial Reporting Standards, IFRS) werden angeregt. Für einige Markteilnehmer, speziell Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, wurden bereits mit den Vorschriften zur Offenlegung von Informationen über nachhaltige Investitionen und Nachhaltigkeitsrisiken konkrete Reporting-Pflichten definiert. Zusätzlich bemüht sich die Finanzindustrie selbst um mehr Transparenz. Ende 2015 wurde auf Initiative unter anderem von Michel Bloomberg die „Financial Stability Board Task Force on Climate-related Financial Disclosures“ (TCFD) gegründet. Bei dieser Task Force mit mittlerweile über 30 Mitgliedern handelt es sich um eine Marktinitiative, die eine Reihe von Empfehlungen für freiwillige, konsistente und klimabezogene Veröffentlichungen finanzieller Risiken entwickelte. Auswirkungen der EU-Pläne Die Umsetzung der Maßnahmen aus dem Aktionsplan der EU-Kommission wird tiefgreifende Veränderungen in der Finanzdienstleistungsbranche nach sich ziehen. Eine ausführliche Darstellung sprengt den Rahmen dieses Beitrags, daher werden hier nur einige der wesentlichen Auswirkungen auf Finanzdienstleister und Kunden aufgeführt. Betroffen sind folgende Bereiche und Prozesse, die anzupassen sind: Z interne Prozesse wie Bewertung, Bilanzierung oder Risikomanagement, Z Produktbereich bei der Entwicklung neuer Produkte, bei der Anpassung der Produkt-Governance-Prozesse und bei der Bestückung der Produkte mit Nachhaltigkeitslabeln, 54 07 // 2019
REGULIERUNG Z Z Z Kundenschnittstelle durch Beratungsprozess und Einholung sowie Weitergabe von Präferenzen im Bereich der Nachhaltigkeit, Ergänzung der Kunden- und Vertragsdokumentation etc., Research und Investmentprozesse, damit Nachhaltigkeitskriterien bei der Risikobewertung und Eignung von Finanzinstrumenten berücksichtigt werden können, Datenmanagement und IT, da viele zusätzliche Informationen über Nachhaltigkeit zusammengetragen und gespeichert werden müssen, die in weiteren Systemen verarbeitet und zur Reporterstellung benötigt werden. Je nach Geschäftsmodell werden die Auswirkungen auf die Finanzdienstleister unterschiedliche Ausprägungen haben: Ein Asset Manager wird zum Beispiel nicht nur seine Produktpalette klassifizieren, sondern auch Nachhaltigkeitskriterien in seine Investmentprozesse integrieren und darüber berichten müssen. Unterschiedliche Risikobehandlung Im Investmentbanking kann sich insbesondere die unterschiedliche Risikobehandlung von Finanzinstrumenten als großes Problem erweisen, da hierdurch sowohl die Produktentwicklung als auch die Absicherung und Eigenkapitalunterlegung betroffen sein können. In allen betroffenen Bereichen müssen Prozesse und Systeme angepasst werden. Privatkunden werden die neue Regulierung ähnlich wie bei der Finanzmarktrichtlinie MiFID II erleben: mit neuen Fragebögen, in denen Präferenzen erfasst werden, sowie mit weiteren Dokumenten, die sie von ihrem Finanzdienstleister erhalten. Auch Robo Advisor und Nutzer von Online-Plattformen werden mit den entsprechenden Vorgaben konfrontiert. Zudem müssen sich Entwickler von nachhaltigen Projekten (Wind-/Solarenergie), Research-Anbieter, Marktplätze und Datenlieferanten anpassen. Die Maßnahmen aus dem Aktionsplan sind hierbei überaus komplex miteinander vernetzt. ÿ 3 Reaktionen aus der Finanzindustrie Die regulatorischen Pläne stoßen in der Finanzwirtschaft auf ein geteiltes Echo. Das Klassifikationssystem für Nachhaltigkeit („EU-Taxonomie“) wird grundsätzlich positiv aufgenommen, auch wenn die Praktikabilität, Komplexität und grundsätzliche Notwendigkeit, insbesondere im MiFID-II-Kontext, bemängelt bzw. angezweifelt wird. Als Nachteil wird auch gesehen, dass die Vereinheitlichung von Kriterien dazu führen kann, dass Investitionen künstlich gelenkt werden und nicht den Vorstellungen der Anleger entsprechen. Ferner könnte die bestehende Vielfalt von maßgeschneiderten Nachhaltigkeitskonzepten verschwinden und entgegen der Bestrebun- gen des Regulators den Markt für nachhaltige Investments negativ beeinflussen. Einige Marktteilnehmer beanstanden die fortwährende Bevormundung der Privatanleger und den Zwang zur Herausgabe weiterer persönlicher Präferenzen. Gerade in Deutschland ist zu befürchten, dass zusätzliche Papiermengen auf die ohnehin skeptischen Sparer keine anziehende Wirkung haben dürften. Überfrachtung mit Informationen Die Überfrachtung der Anleger mit Informationen, die ihnen aufgezwungen werden, wird die Zurückhaltung kaum abbauen. Verweigert der Investor die Angabe seiner Nachhaltigkeitspräferenzen, erhält er wahrscheinlich deutlich reduzierte Anlagealternativen. Ähnliche, für den Kunden nicht vorteilhafte Effekte, sind bereits als Folge der MiFID- II-Umsetzung bekannt. Kritisch wird auch der sogenannte Green Supporting Factor gesehen, der in die aufsichtsrechtliche Praxis (Maßnahme acht des Aktionsplans) einfließen soll. Das bedeutet, dass die aufsichtsrechtliche und risikoorientierte Betrachtung von Finanzinstrumenten sich zusätzlich an deren Nachhaltigkeitsklasse orientieren soll – mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Ein solcher Faktor wird sich nicht nur auf die Eigenkapitalunterlegung der Banken auswirken, sondern auch viele andere Bereiche betreffen wie Wertpapierleihe, Absicherung, Produktentwicklung, Handel, Bewertung, Bilanzierung und Reporting. Systemischer Eingriff Zur Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken fehlt derzeit einerseits die methodische Unterlegung, andererseits ist fraglich, ob solch eine Anreicherung des Risikobegriffs nicht die Finanzmarktstabilität gefährden könnte. Die Einführung des Green Supporting Factors ist noch nicht beschlossen, die EU-Kommission untersucht aktuell die Auswirkungen auf Finanzinstitute und Versicherungen. Es ist kaum vorstellbar, dass ein derart weitreichender, systemfremder Eingriff in das Risikomanagement in der geplanten Form umgesetzt wird. Allerdings kam es in den letzten Jahren zu vielen politisch motivierten regulatorischen Eingriffen. Die Anbieter von Altersvorsorgelösungen wie Pensionskassen sehen teilweise ein grundsätzliches Problem darin, Nachhaltigkeitsfaktoren in ihren Anlageprozessen zu berücksichtigen und darüber berichten zu müssen. Die BaFin kündigte zudem an, mit ausgewählten Versicherern und Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung die Durchführung von Szenario-Analysen und Klimastresstests zu thematisieren. Überhaupt sollen institutionelle Anleger nicht verpflichtet werden, Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Investitionsentscheidungen einzubeziehen. 07 // 2019 55
NR. 7 2019 ZEITSCHRIFT FÜR BANKPOL
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