REGULIERUNG Eine der Grundannahmen der Nachhaltigkeitsdebatte ist, dass die Einbeziehung von ESG-Überlegungen in die Entscheidungen auf den Kapitalmärkten zu besseren gesellschaftlichen Ergebnissen führt. Diese These geht zurück auf den von den Vereinten Nationen (UN) gesponserten Bericht aus dem Jahr 2005 „Who Cares Wins: Connecting Financial Markets to a Changing World“. Finanzinstitute sollen sich nach dem Bericht dazu verpflichten, ESG-Faktoren systematischer in die Forschungs- und Investitionsprozesse einzubeziehen. Dies soll durch ein starkes Engagement auf der Ebene des Vorstands und der Geschäftsleitung unterstützt werden. Die Formulierung langfristiger Ziele, die Einführung von organisatorischen Lern- und Veränderungsprozessen sowie geeignete Schulungs- und Anreizsysteme für Analysten sind entscheidend, um das Ziel einer besseren Integration dieses Themas zu erreichen. Auch die These, dass Unternehmen durch die Berücksichtigung der ESG-Risiken ihren Unternehmenswert (Shareholder Value) steigern können, ist in dem Bericht zu finden. In der Folge entwickelten die UN die sechs Prinzipien für verantwortungsbewusste Investitionen als Standard für ein nachhaltiges globales Finanzsystem. Die sechs Principles for Responsible Investment (PRI) bieten eine Reihe möglicher Maßnahmen zur Einbeziehung von ESG-Aspekten in die Anlagepraxis. 1 Seit 2006 ist die Zahl der Unterzeichner der PRI von 63 mit einem verwalteten Vermögen von 6,5 Bill. US-$ auf über 4.902 Unterzeichner mit einem verwalteten Vermögen von 121,3 Bill. US-$ gestiegen. Am 24. Mai 2018 verabschiedete die Europäische Kommission ein Maßnahmenpaket zu nachhaltigen Finanzen. Dieses Paket umfasst Vorschläge zur Einführung eines einheitlichen EU-Klassifizierungssystems für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten („Taxonomie- Verordnung“), zur Verbesserung der ESG- Offenlegungspflichten, um die Entscheidungsfindung von Anlegern in Kenntnis der Sachlage zu erleichtern („Offenlegungsverordnung“) und zur Schaffung einer neuen Kategorie von Benchmarks, die Anlegern helfen sollen, den CO2-Fußabdruck ihrer Investitionen zu vergleichen. Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA veröffentlichte nach einem förmlichen Ersuchen der EU-Kommission und einem Konsultationsverfahren am 30. April 2019 ihre technischen Leitlinien zu den vorgeschlagenen Änderungen der OGAW- Richtlinie (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren) und der AIFM-Richtlinie (Alternative Investment Fund Managers), um Nachhaltigkeitsrisikofaktoren zu integrieren. Die vorgeschlagenen Änderungen beziehen sich auf allgemeine Anforderungen an Verfahren und Organisation, Ressourcen und Kontrollen durch die Geschäftsleitung, die Aufsichtsfunktion und das Leitungsorgan. Darüber hinaus werden operative Anforderungen und Grundsätze des Risikomanagements aufgestellt. Eine regulatorische Definition für konkrete ESG-Ereignisse oder -Bedingungen wird von der BaFin im Rahmen der MaRisk nicht gegeben. Die BaFin übernimmt ihre Begründungen (insbesondere zu klimabezogenen Risiken), Definitionen und Beispiele aus den Papieren des UN-Weltklimarats (The Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) und der EU-Kommission. Politik und ESG sind untrennbar miteinander verwoben. So genügt der Hinweis auf „potenziell negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanzund Ertragslage“ durch ESG-Risiken möglicherweise für eine politische Diskussion, aber nicht zur Integration der Risiken in das Risikomanagementsystem eines Instituts. Anwendungsbereich Während das BaFin-Merkblatt zur Nachhaltigkeit eine eher unverbindliche Zusammenstellung an Verfahrensweisen darstellt (Best- Practice-Ansätze), werden diese durch die Übernahme in die MaRisk eine prüfungsrelevante Anforderung. Gleichermaßen gilt dies auch für den auf ESG-Risiken bezogenen Abschnitt der EBA/2020/06-Leitlinien zur Kreditvergabe und Überwachung, dessen Regelungen ebenfalls in der MaRisk mit umgesetzt werden. Im MaRisk-Modul AT 2.2 wird das Gesamtrisikoprofil eines Instituts um die Berücksichtigung von ESG-Risiken erweitert. Die Feststellung des gesamten Risikoprofils eines Instituts bildet die Grundlage der MaRisk. ESG-Risiken wirken gemäß der MaRisk- Definition als Risikotreiber und können sich auf die tradierten Risikoarten, wie Adressenausfallrisiken, Marktpreisrisiken, Liquiditätsrisiken und operationelle Risiken auswirken. Bei der Beurteilung der Auswirkungen von ESG-Risiken sollen verschiedene plausible, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen abgeleitete Szenarien zugrunde gelegt werden. Diese Beurteilung soll – soweit sinnvoll und möglich – auch quantitativ erfolgen. Ein angemessen langer Zeitraum soll für die Analysen gewählt werden, um den Besonderheiten der ESG-Risiken Rechnung zu tragen. Risikomanagement Im Rahmen der Risikotragfähigkeit im AT 4.1 wird insbesondere die normative und ökonomische Perspektive von internen Prozessen zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit (Internal Capital Adequacy Assessment Process, ICAAP) um ESG-Risiken erweitert. Im Rahmen einer zukunftsgerichteten Betrachtung sollen die Auswirkungen durch den Klimawandel und die durch die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft entstehenden Risiken im Risikodeckungspotenzial des Instituts berücksichtigt werden. Von Bedeutung ist die BaFin-Klarstellung, dass ein Abstellen auf vorhandene Datenhistorien nicht ausreichend ist. Auch die Anforderungen zur Festlegung der Geschäftsstrategie im AT 4.2 werden in Anlehnung an die Anpassungen im Rahmen der Risikotragfähigkeit um ESG-Aspekte erweitert. Die Strategie der Unternehmen soll ökonomisch nachhaltig sein, was eine strategische Auseinandersetzung mit den Nachhaltigkeitsrisiken erfordert. 46 10 | 2022
REGULIERUNG Die MaRisk legt dazu fest, dass eine eingehende und zukunftsgerichtete Analyse des Geschäftsmodells erfolgen soll, die veränderte Umweltbedingungen und Transition zu einer nachhaltigen Wirtschaft unter Berücksichtigung möglicher Entwicklungen über einen angemessen langen Zeitraum voraussetzt. Gleichermaßen werden auch die Anforderungen zum Risikoappetit explizit um die Berücksichtigung von ESG-Risiken erweitert. Das MaRisk-Modul AT 4.3.2 fordert, dass Institute angemessene Risikosteuerungs- und Risikocontrollingprozesse einrichten, die sicherstellen, dass alle wesentlichen Risiken identifiziert, beurteilt, gesteuert, überwacht und kommuniziert werden können. Auch in diesen Prozessen sollen die Auswirkungen von ESG-Risiken berücksichtigt werden. Die Institute sollen dabei untersuchen und dokumentieren, welche wesentlichen ESG-Risiken auf die Adressenausfall-, Marktpreis-, Liquiditäts- und operationellen Risiken wirken. Soweit sinnvoll und möglich, sollen die Effekte auch quantifiziert werden. Im Rahmen der regelmäßigen und anlassbezogen Stresstests für wesentliche Risiken (AT 4.3.3) sollen künftig auch die Auswirkungen von ESG-Risiken einbezogen werden. Dies soll über einen angemessen langen und über den regulären Risikobetrachtungshorizont hinausgehenden Zeitraum abgebildet werden. Bei Bedarf ist es durch die Aufsicht erlaubt, den Zusammenhang im Rahmen eines gesonderten Stresstests abzubilden. Alle durch die Stresstests gewonnenen Erkenntnisse sind angemessen in der Strategie sowie in die Risikosteuerungs- und Risikocontrollingprozesse (einschließlich der Risikotragfähigkeitsbetrachtung) des Instituts einzubeziehen. Die Zuständigkeit der unabhängigen Risikocontrollingfunktion in AT 4.4.1 wird über die wesentlichen Risiken hinaus auch explizit auf die Berücksichtigung der Auswirkungen von ESG-Risiken erweitert. Dabei wird an den bestehenden Anforderungen an die Funktionstrennung des BTO festgehalten. So ist weiterhin insbesondere eine Trennung von den Bereichen sicherzustellen, die für die Initiierung oder den Abschluss von Geschäften zuständig sind (z. B. der Bereich Markt oder Handel). 10 | 2022 47
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