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die bank 10 // 2016

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó FINANZMARKT Der

ó FINANZMARKT Der umstrittene Kurs der europäischen Zentralbank ULTRAEXPANSIVE GELDPOLITIK Seit 2014 hat die Europäische Zentralbank vor dem Hintergrund gedämpfter Inflationsperspektiven im Euroraum ihre expansiv ausgerichtete Geldpolitik nochmals ausgeweitet. Seit März dieses Jahres liegt der Hauptrefinanzierungssatz bei null Prozent. Zudem verfolgt die EZB eine Politik der quantitativen Lockerung. So soll das Wirtschaftswachstum in der Eurozone gestützt und die Inflationsrate wieder auf das Zielniveau von knapp unter zwei Prozent gebracht werden. Der von der EZB eingeschlagene geldpolitische Kurs ist umstritten. Der vorliegende Beitrag zeichnet einige Aspekte der Kontroverse um diesen ultraexpansiven Kurs der EZB nach und analysiert sowohl befürwortende Argumente als auch solche dagegen. Markus Gerhard Keywords: Finanzstabilität, Geschäftsmodelle, Staatsanleihen, QE Die EZB begann mit dem Ausbruch der Finanzkrise ihren geldpolitischen Kurs zu lockern. Um der Bankenkrise und dem dramatischen Einbruch der Wirtschaftsaktivität in der Euro-Zone entgegenzuwirken, senkte sie den Leitzins von 4,25 Prozent auf 1 Prozent. Weil die Liquidität des Geldmarkts aufgrund des Misstrauens der Banken untereinander nahezu vollständig ausgetrocknet war, ergriff sie zudem eine Reihe von geldpolitischen Sondermaßnahmen. Sie gewährte den Geschäftsbanken über Vollzuteilung bei den Hauptrefinanzierungsgeschäften den Zugang zu unbegrenzter Liquidität, führte länger laufende Refinanzierungsgeschäfte durch und legte bei den von den Banken zu hinterlegenden Sicherheiten großzügigere Maßstäbe an. 1 Mit dem Ausbruch der europäischen Staatsschuldenkrise im Frühjahr 2010 begann die zweite Phase der expansiven Ausrichtung der EZB-Geldpolitik. 2 Weil sich die in die Krise geratenen Staaten Griechenland, Portugal und Irland nur noch zu extrem hohen Zinsen an den Kapitalmärkten refinanzieren konnten, beschloss der EZB-Rat das SMP-Programm. Durch den Aufkauf von Staatsanleihen der Krisenländer am Sekundärmarkt sollten deren Risikoprämien reduziert werden. Dies war höchst umstritten, z. B. weil es die Notenbank in den Grenzbereich zur Finanzpolitik geführt hat. Als sich 2012 die Renditen italienischer und spanischer Staatsanleihen gefährlich erhöhten und sogar das Auseinanderbrechen der Euro-Zone drohte, kündigte EZB-Chef Mario Draghi in seiner berühmten „Whatever it takes“-Rede an, die EZB werde alles tun, um die Euro-Zone zu erhalten. Kurz darauf beschloss der EZB-Rat das OMT-Programm, das der EZB ermöglichte, in unbegrenzter Höhe Staatsanleihekäufe vorzunehmen, sofern sich das Krisenland einem Reformprogramm des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterwirft. Allein die Ankündigung des OMT-Programms reichte aus, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Die Renditen der Staatsanleihen der Krisenländer, insbesondere von Spanien und Italien, gingen deutlich zurück. Die dritte Phase der expansiven Ausrichtung der EZB-Geldpolitik beginnt im Juni 2014. Sie steht im Zeichen der vorbeugenden Deflationsbekämpfung. Die Inflationsrate in der Euro-Zone wies seit 2012 einen fallenden Trend auf. Im Jahresdurchschnitt 2015 betrug sie null Prozent. Sie hatte sich somit deutlich von dem Inflationsziel der EZB „von unter, aber nahe 2 Prozent“ entfernt. Die sehr niedrige Inflation ging zwar in hohem Maß auf die sinkenden Rohstoffpreise zurück, vor allem auf den stark gefallenen Ölpreis. Doch verläuft seit 2012 auch die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum sehr gedämpft, sodass die Kapazitäten unterausgelastet sind. Dies hat ebenfalls den Preisauftrieb im Euroraum abgeschwächt. Da die Prognosen des Eurosystems für die nächsten Jahre nur einen allmählichen Anstieg der Inflationsrate vorhersagten und die EZB einer deflationären Entwicklung vorbeugend entgegenwirken wollte, begann die Europäische Zentralbank im Juni 2014 den Expansionsgrad ihrer Geldpolitik zu erhöhen. Sie senkte den Hauptrefinanzierungssatz weiter ab, bis zuletzt im März 2016 auf 0 Prozent. Der Einlagezins wurde bis auf minus 0,4 Prozent herabgesetzt, um die Liquidität am Geldmarkt zu erhöhen. Zudem führte die EZB gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte ein, um Geschäftsbanken mit langfristiger und günstiger Liquidität auszustatten. Hier- 42 diebank 10.2016

FINANZMARKT ó durch soll die Kreditvergabe an Unternehmen sowie private und öffentliche Haushalte angereizt werden. Schließlich verabschiedete der EZB-Rat Programme zum Aufkauf von Asset-Backed-Securities, gedeckten Schuldverschreibungen und schließlich – im Januar 2015 – im Rahmen des Public Sector Purchase Programme (PSPP) von öffentlichen Anleihen. 3 Das PSPP hat nach seiner Erweiterung mittlerweile eine Laufzeit bis März 2017, und es sieht den Aufkauf von Anleihen des öffentlichen Sektors in Höhe von monatlich 80 Mrd. € vor. Inzwischen kauft die EZB auch Unternehmensanleihen auf. Die EZB betreibt somit – wie schon andere Notenbanken vor ihr – eine Politik der quantitativen Lockerung (QE). Pro Ultraexpansive Geldpolitik: Sie stützt Wachstum und verhindert Deflation Ziel der EZB ist es, mit dem expansiven Einsatz ihres geldpolitischen Instrumentariums die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzuregen, um so das Wirtschaftswachstum zu stützen und die Inflationsrate in der Euro-Zone wieder auf das Zielniveau von knapp unter zwei Prozent zu bringen. Insbesondere soll ein Abgleiten der europäischen Wirtschaft in eine Deflation vermieden werden, die mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten einherginge. Die von der EZB eingesetzten geldpolitischen Instrumente wirken sich nur indirekt auf die Zielgrößen Preisniveaustabilität und Wirtschaftswachstum aus. Die Übertragungswege der Geldpolitik sind vielfältig und komplex. Die konventionelle Geldpolitik zielt mit Leitzinssenkungen auf günstigere Finanzierungsbedingungen ab, die höhere Investitions- und Konsumausgaben anreizen sollen. An der Nullzinsgrenze bedarf die Geldpolitik der Ergänzung durch die oben beschriebenen unkonventionellen Instrumente, z. B. die von der EZB vorgenommenen Staatsanleihekäufe. Diese wirken sich über mehrere Transmissionskanäle auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit auf Wirtschaftswachstum und Inflationsrate aus. Ein wichtiger Transmissionskanal der Anleihekäufe ist der sog. Portfolioumschichtungs-Kanal. Die Zentralbank kauft von Investoren öffentliche Anleihen. Dieser massive Aufkauf bewirkt, dass die Kurse von Staatsanleihen steigen und somit deren Renditen fallen. Die Investoren werden die ihnen zufließenden liquiden Mittel wiederum zum Erwerb anderer Wertpapiere (Substitute) einsetzen, um die Ertrags- und Risikostruktur ihres Portfolios zu optimieren. Fließen die Mittel in andere Segmente des Rentenmarkts, so ist mit einem Absinken des Renditeniveaus am Rentenmarkt zu rechnen. Kauft die Zentralbank vorrangig langfristige Staatsanleihen und fragen die Investoren in der Folge wiederum andere langlaufende Papiere am Rentenmarkt nach, so ist mit einer Abflachung der Zinsstrukturkurve zu rechnen. Sinkt das Zinsniveau, so werden zudem andere risikoreichere Vermögensanlagen relativ attraktiver. Investoren werden ihre Portfolien umschichten und verstärkt in Aktien, Immobilien und andere Sachwerte investieren. In der Folge steigen die Vermögenspreise; Besitzer erfahren einen Zuwachs ihrer Vermögen. Sinkende Zinsen einerseits und steigende Vermögenspreise andererseits dürften wiederum dazu führen, dass Investitionsund Konsumausgaben angeregt werden. Dies wirkt sich positiv auf Wirtschaftswachstum und Inflation aus. Das Anleihekaufprogramm wirkt zudem über einen zweiten wichtigen Transmissionskanal: den Wechselkurskanal. Weil durch das Aufkaufprogramm der EZB die Renditen in der Euro-Zone fallen, werden ausländische festverzinsliche Wertpapiere für Investoren relativ attraktiver, zumal die US-amerikanische Notenbank Fed begonnen hat, den Expansionsgrad ihrer Geldpolitik zurückzunehmen. Investoren fragen vermehrt z. B. US-Anleihen nach. In der Folge gerät dann der Euro gegenüber dem US-Dollar unter Abwertungsdruck. Die Abwertung verbessert die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Unternehmen und steigert deren Exportfähigkeit. Andererseits werden für die Inländer Importe durch die Abwertung teurer, sodass sich die inländische Nachfrage stärker auf inländische Güter richtet und die Importe zurückgehen. Die Nettoexporte steigen, davon geht ein positiver Effekt auf Wachstum und Inflation aus. Drittens wirkt das Anleihekaufprogramm auch über den Fiskalkanal positiv auf die aggregierte Nachfrage. 4 Die niedrigeren Renditen für Staatsanleihen ermöglichen es den Staaten der Eurozone, sich nach und nach günstiger zu refinanzieren. Die resultierende Zinsersparnis ermöglicht zusätzliche Staatsausgaben, die ansonsten aufgrund der europäischen Schuldenregeln nicht realisierbar gewesen wären. Diese zusätzlichen staatlichen Ausgaben wirken expansiv und tragen somit auch zu Wachstum und Inflation bei. Tatsächlich sind im Gefolge der stärker expansiven Orientierung der EZB seit 2014 die Zinsen über alle Laufzeiten stark gesunken. Da die EZB im Rahmen des PSPP vornehmlich lange Laufzeiten kauft, ist es auch zu einer Abflachung der Zinsstrukturkurve gekommen. Deutsche Staatsanleihen bis zu einer Laufzeit von zehn Jahren weisen mittlerweile eine negative Rendite auf; bei kürzeren Laufzeiten gilt dies auch für andere Länder der Eurozone. Vor diesem Hintergrund sind die Anleger – wie erwartet – stärker auf Unternehmensanleihen ausgewichen, sodass deren Renditen ebenfalls deutlich gefallen sind, teils in den negativen Bereich. Dazu hat sicherlich auch die Ausweitung des EZB-Kaufprogramms auf Unternehmensanleihen beigetragen. Ebenfalls sind im Bankensektor die Kreditzinsen für den privaten Sektor gesunken. Die Kreditvergabestandards sind mittlerweile weniger restriktiv. Die Kreditverga- 10.2016 diebank 43

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