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die bank 10 // 2016

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

Vorhang auf – das

Vorhang auf – das Drama um den Brexit VERBRIEFUNGSINDUSTRIE Der 23. Juni 2016 als Tag des Brexit-Referendums im Vereinigten Königreich (UK) wird für beide Seiten, UK und Europäische Union (EU), als schwarzer Tag in die Geschichte eingehen. Viele Fragen sind jetzt erst einmal offen und hängen vom Gelingen oder Scheitern der Austrittsverhandlungen und dem Inhalt des angestrebten Austrittsabkommens ab. Vor allem: Welche Auswirkungen wird der Brexit auf die Verbriefungsindustrie haben – wirtschaftlich, vertrags- und aufsichtsrechtlich? Peter Scherer Keywords: Dokumentation, Aufsichtsrecht, Vertragsrecht, ABS Das Kunstwort „Brexit“ („Britain“ plus „Exit“) bezeichnet den Ausstieg des UK aus der EU. Rechtlich ist ein solcher geordneter Ausstieg eindeutig machbar, seit 2009 der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten ist und mit Art. 50 EU-Vertrag (EUV) eine dies ermöglichende Vorschrift geschaffen hat. Das Austrittsverfahren läuft in vier Schritten ab, dessen wichtigster Teil der Abschluss eines Austrittsabkommens innerhalb von zwei Jahren ab Mitteilung der Austrittsabsicht ist. Ohne ein solches Abkommen erfolgt der Austritt nach dieser Frist automatisch. Der Artikel 50 spricht in diesem Zusammenhang u. a. von der Regelung der künftigen Beziehungen des austretenden Staats zur Rest-Union. Doch wie könnte eine solche Regelung aussehen? Mindestens fünf verschiedene Modelle für die künftigen Beziehungen zwischen UK und Rest-EU wären vorstellbar: EWR-Mitgliedschaft, EFTA- Mitgliedschaft, Zollabkommen, einfache Handelsbeziehungen unter dem Welthandelsabkommen WTO (d. h. Drittstaaten- Qualität) oder ein Special Deal. Schon um kein Austrittssignal an andere Mitgliedsstaaten zu setzen, könnte sich die Rest-EU auf einen solchen Deal kaum einlassen. Für eine Besserstellung des UK gegenüber der Schweiz oder Norwegen gäbe es keinen vernünftigen Grund, sie akzeptieren gerade jene Regeln, die das UK im Besonderen ablehnt. Noch ist völlig offen, ab wann, wie und mit welchen konkreten Inhalten und Positionen die Verhandlungen über das Austrittsabkommen geführt werden. Wird es mehr um Freihandel i. S. v. Zöllen gehen oder werden Finanzdienstleistungen im Zentrum stehen? Wird das UK die weitgehende Äquivalenz eigener mit den EU-Regeln für den Finanzsektor anstreben oder liberalere Regeln im Wettbewerb mit der EU anstreben, z. B. bei den Boni im Rahmen der Institutsvergütungsregeln? Wird es zu Regelungen der Fragen des Internationalen Privatrechts und der Urteilsvollstreckungen, der grenzüberschreitenden Sanierungs- und Insolvenzverfahren für Finanzmarktteilnehmer und überhaupt des Finanzaufsichtsrechts (insbesondere im Hinblick auf das EU-Pass-System) kommen? Und wenn ja, in welchem Umfang? Auswirkungen Davon wird auch abhängen, wie es mit der UK-Gesetzgebung weitergeht. Soweit EU-Richtlinien in UK-Recht umgesetzt sind, muss entschieden werden, ob diese Vorschriften in Kraft bleiben, abgeändert oder abgeschafft werden sollen. EU-Verordnungen wirken auch im UK direkt, aber wenn der European Communities Act 1972 abgeschafft wird, dann werden auch sie abgeschafft. Dann muss entschieden sein, ob diese durch inhaltsgleiche neue UK-Regelungen, durch älteres UK-Recht oder durch ganz neue Regelungen ersetzt werden sollen. Doch all das ist Zukunftsmusik. Man mag mit gewisser Sorge darauf blicken, dass derzeit rund drei Viertel aller europäischen Kapitalmarktaktivitäten in London erfolgen, und Verbriefungen haben daran einen nicht unbeträchtlichen Anteil. Letztere wurden von der Finanzmarktkrise heftig und nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen, erholen sich davon erst langsam und sind derzeit mithin ein „zartes Pflänzchen“. UK-Verbriefungen gehören zu den Eckpfeilern des europäischen Verbriefungsmarkts, dürften aber in naher Zukunft nicht zu den Lokomotiven des Markts gehören. Umgekehrt dürften kontinentaleuropäische Verbriefungen mit vermeintlich besseren Perspektiven (z. B. deutsche Auto-ABS oder niederländische RMBS) von dieser Entwicklung profitieren. Leider schwächt der Brexit aber die Rest- EU ebenfalls in nicht unbeträchtlichem Maß. Auch politisch werden sich die Gewichte im Europäischen Ministerrat verschieben. Und so wird Deutschland – obgleich dann vermutlich noch stärkerer Nettozahler – an politischem Einfluss verlie- 14 diebank 10.2016

en, was am Ende auch zu einem Kostenfaktor (Stichwort Transferunion) für Deutschland werden könnte. Vertragsrecht Bei so viel Dramatik in der möglichen, wenn nicht gar wahrscheinlichen künftigen wirtschaftlichen Entwicklung und deren Einfluss auf die Verbriefungsmärkte ist es wichtig, frühzeitig über mögliche Konsequenzen für die Vertragsdokumentation solcher Transaktionen nachzudenken. Jetzt ist die Zeit für eine sorgfältige und umfassende Due Diligence und Analyse existierender Dokumentationen. Zu verschiedenen in Verbriefungen nicht untypischen Vertragsklauseln und Themen lassen sich dazu vorab schon einmal einige Anmerkungen machen: ó Rechtswahl: Es wird keine Brexit-bedingte plötzliche Revolution, könnte aber eine stärker werdende Verschiebung geben, weg vom englischen und hin zu anderen Rechtsordnungen. Schon seit einigen Jahren gibt es diesen Trend, so hat die LMA auch Muster unter deutschem Recht. Das wird sich jetzt vermutlich weiter verstärken, und so könnte das deutsche Recht in Zukunft eine stärkere Rolle spielen. ó Gerichtsstand: Ähnliches wie zur Rechtswahl lässt sich auch zur Wahl des Gerichtsstands sagen. Empirisch dürfte bei den Gründen für die Wahl englischer Gerichte vieles unter Legendenbildung subsumierbar sein. Der Brexit könnte an der vermeintlichen Attraktivität englischer Gerichte etwas ändern, weil Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen nicht mehr so klar sein könnten. ó Internationales Privatrecht (IPR): Die europäischen Verordnungen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse (Rom 1) sowie über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom 2) und über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen in ihrer Neufassung (Brüssel 1a) werden nach dem Brexit im UK nicht mehr gelten. Diese drei Verordnungen erkennen in den meisten Fällen die Rechtswahl bzw. die Wahl eines Gerichtsstands durch die Parteien an. Die Rom 1- und Rom 2-Verordnungen akzeptieren die ausdrückliche Rechtswahl der Parteien unabhängig davon, ob die Vertragsparteien in einem EU-Staat ansässig sind oder nicht und unabhängig davon, ob das Recht eines EU- oder eines anderen Staats gewählt wurde. Das heißt, auch nach einem Brexit sollten Gerichte in der EU die Wahl englischen Rechts akzeptieren. Umgekehrt weisen englische Kanzleien derzeit bemüht darauf hin, dass auch englische Gerichte traditionell die Rechtswahl der Parteien akzeptiert haben – nur bei den außervertraglichen Schuldverhältnissen sei dies nicht so ganz klar. Die Brüssel 1a-Verordnung zur Gerichtsstandswahl sieht ein Reziprozitätserfordernis innerhalb der EU für die Anerkennung von Urteilen vor. Ohne diese Verordnung im UK ist es künftig unklar, ob englische Gerichte, auch wenn sie von den Parteien gewählt wurden, zuständig sind, und ob ein entsprechendes englisches Urteil in der Rest- EU vollstreckbar wäre – und umgekehrt. Viel wird davon abhängen, ob das UK dem Lugano-Übereinkommen oder der Haager Konvention über Gerichtsstandsvereinbarungen beitreten wird. Im Ergebnis wird man daher in vielen Bereichen künftig mehr Schiedsklauseln sehen, denn die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen unterliegt der New Yorker Konvention, der das UK im eigenen Recht beigetreten ist und die Reziprozität bei der Vollstreckung vorsieht. Dabei wird es also auch nach dem Brexit bleiben. ó Vertragsbeendigung / Parteiwechsel: Brexit-bezogene Ereignisse können sich auf beides auswirken, auf die Qualität von Sicherheiten wie auf Parteien in einer Verbriefungstransaktion, was wiederum verschiedene vertragliche Folgen haben kann – von der Nachbesicherung bis Kündigungen einzelner Parteien oder der ganzen Transaktion. Daher bedarf es in jedem Fall einer genauen Analyse der jeweiligen Transaktionsdokumentation. Brexit-bedingt sinkende Werte bei den Sicherheiten in Verbriefungen könnten sowohl die Zahlungsströme als auch die Deckungswerte in RMBS-, CMBS- und anderen Verbriefungen wie bei gedeckten Schuldverschreibungen allgemein verringern. Ebenso könnte es bei den betreffenden Schuldnern schneller zu Krisen kommen, was die Werthaltigkeit von Verbriefungen beeinträchtigen würde. Wichtig in diesem Kontext ist auch die Rolle von Ratings. Kommt es zu einem Rating-Downgrade, kann dies (i) eine Nachbesicherungspflicht (also die Pflicht zur Stellung von mehr und / oder neuen Kreditsicherheiten) auslösen oder bei einem Seller-Downgrade aus einem flexiblen einen statischen Sicherheiten-Pool machen, (ii) die Pflicht zur Auswechslung eines nun zu schlecht gerateten Vertragspartners (Servicer, Account Bank, Treuhänder, etc) schaffen oder gar (iii) die Kündigung der Transaktion ermöglichen. Man kann nur hoffen, dass in allen Fällen die Vertragsdokumentation hinreichend klar und mechanisch ist, denn Treuhänder werden in aller Regel sehr zurückhaltend dabei sein, hier eigene Wertungen, eigenes Ermessen (Discretion) auszuüben. Auch zu bedenken sind mögliche Negativeffekte auf Transaktions-Ratings durch die UK-Länderratingobergrenze (Country Ceiling). Aber nicht nur Transaktions-, Sicherheiten- oder Länderratings, sondern auch Unternehmensratings von an Verbriefungen beteiligten Parteien könnten Brexit-bedingt absinken. Parteien könnten übrigens auch Rating-unabhängig auszuwechseln sein, z. B. wenn ihre Zulassung unter EU-Recht (zum Beispiel der MiFID) wegfallen würden. Vertraglich würden sie sonst gegen Zusicherungen und Gewährleistungen (Representations and Warran- 10.2016 diebank 15

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