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die bank 10 // 2015

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó BERUF & KARRIERE

ó BERUF & KARRIERE Burnout in der Bank – eine Fallgeschichte PERSONAL Es ist an einem Montagmorgen im September 2014, als bei Matthias P. nichts mehr geht. Wie schon in den Wochen zuvor wacht der 38-Jährige schweißgebadet um 4 Uhr morgens auf. Albträume haben ihn gequält; der Tag in der Bank, der vor ihm liegt, scheint ihm unbezwingbar, so erschöpft wie er sich fühlt. Keywords: HR-Management, Personal, Erschöpfung, Psychotherapie Bankmitarbeiter Matthias P. ist krank und wendet sich an seinen Hausarzt. Dieser erkennt die Schlafstörungen, die Erschöpfung und Antriebslosigkeit als psychische Probleme infolge von Überarbeitung und empfiehlt eine ambulante Psychotherapie. Der Arzt weiß, dass es bis zu einem dreiviertel Jahr dauern kann, bis Matthias P. einen Therapieplatz bekommt und verordnet zusätzlich Schlafmittel sowie ein stimmungsaufhellendes Medikament. Matthias P. gelingt es damit zunächst, für einige Wochen seinen Schlafrhythmus zu stabilisieren. Auch die Stimmung und der Antrieb verbessern sich leicht. Als jedoch nach etwa acht Wochen der sogenannte Gewöhnungseffekt eintritt und die Wirkung der Medikamente nachlässt, geht es dem Bankangestellten schlechter als zuvor. Dabei hatte doch eigentlich alles so gut angefangen: Nach dem Abitur stand fest, dass er, wie sein Vater, eine Banklehre machen würde. Zwar hatte er keinen besonderen Bezug zu Zahlen, aber ihn lockten die 14 Monatsgehälter, die in keiner anderen Branche gezahlt wurden. Auch das soziale Ansehen, dass sein Vater in ihrer Kleinstadt genoss, beeindruckte ihn. Die ersten Jahre in der Bank laufen gut für Matthias P. Er genießt es, sich seine Zeit frei einteilen zu können und erbringt gute Leistungen. Wegen seines Engagements übernimmt er zunehmend Leitungsfunktionen. Doch als im Sommer 2007 die Finanzkrise beginnt, ändern sich die Arbeitsbedingungen für Matthias P. Zwar ist seine Filiale nicht von der Schließungswelle betroffen, die jetzt über seine Branche schwappt. Aber seine Arbeit wird schwieriger und unangenehmer. Seine Vorgesetzten wechseln häufig, und jedes Mal sind damit neue konzeptionelle Vorgaben verbunden. Das Arbeitspensum nimmt deutlich zu. Mit dem Ziel die Kommunikation „transparenter“ zu machen, werden jetzt immer häufiger Besprechungen angesetzt. Tatsächlich jedoch rauben diese Matthias P. nur die Zeit, die er zur Erledigung seiner Arbeiten benötigt. Der Informationsfluss in der Bank, der am Anfang seiner Tätigkeit tatsächlich recht transparent war, wird immer undurchsichtiger. Wichtiges erfährt P. zum Schluss nur noch durch den „Flurfunk“. Es muss sich was ändern Matthias P. will sich nicht entmutigen lassen. Eine „Jetzt erst recht“-Mentalität steigt in ihm auf. Im Nachhinein wird er sagen, er habe sich an dieser Stelle wohl selbst überschätzt. Denn jetzt wird die Arbeit zum einzigen Lebensinhalt, die ihn all seine Energie kostet. Er arbeitet für zwei, frei nach dem Motto „Je mehr ich mich anstrenge, umso erfolgreicher bin ich“. Er überschreitet seine körperlichen und mentalen Grenzen, gibt seine Hobbys auf und vernachlässigt Frau und Kinder, was zu häufigen familiären Streitigkeiten führt. Doch er zieht keine Befriedigung mehr aus der Arbeit. In der Bank werden seine eigenen innovativen Ideen nicht gewürdigt und zugunsten immer neuer Konzeptideen der Filialleitung beiseitegeschoben. Matthias P. beginnt, vermehrt zu essen und Alkohol zu trinken. Die Familie meldet ihm zurück, dass er sich in sehr ungünstiger Weise verändere. Bei P. entstehen Ängste, die zu Albträumen und häufigem Früherwachen schon um 4 Uhr morgens führen. Er leidet unter vermehrter innerer Spannung, Reizbarkeit und Erschöpfung. P. vollzieht eine „innere Kündigung“. Er reduziert die Arbeit auf das Allernotwendigste und ignoriert Änderungen im Arbeitsablauf, auch wenn sie seitens der Vorgesetzten vorgeschrieben werden. Vorgegebene Ziele, die er in der Vergangenheit ohnehin für nicht sinnvoll hielt, unterläuft er. Als es im September 2014 an einem Sonntagabend zu einem handfesten Streit zwischen ihm und seiner Frau kommt, bricht Matthias P. zusammen. „Glücklicherweise war mir zu diesem Zeitpunkt nun endlich klar, dass ich etwas ändern muss und es so nicht weitergehen kann.“ Es ist der Hausarzt, der ihm schließlich vorschlägt, eine psychosomatische Rehabilitation zu machen. Die verordneten 76 diebank 10.2015

BERUF & KARRIERE ó Schlafmittel und Stimmungsaufheller wirken nicht mehr, und es geht P. schlecht. Eine intensive stationäre Therapiemaßnahme, die ihm die Möglichkeit gibt, Abstand zu gewinnen, scheint allen ein plausibler nächster Schritt. Der Hausarzt unterstützt Matthias P. bei der Antragstellung und begründet den Antrag medizinisch. Der Kostenträger, die Deutsche Rentenversicherung, gibt dem Antrag innerhalb von 34 Tagen statt. Matthias P. kommt in eine psychosomatische Rehaklinik, die sich auf die Behandlung von Mitarbeitern aus der Banken- und Versicherungsbranche spezialisiert hat. Hier durchläuft Matthias P. ein speziell auf seine Bedürfnisse ausgerichtetes Therapieprogramm. Dreimal pro Woche bespricht er in speziellen gruppentherapeutischen Sitzungen mit anderen Bank- und Versicherungsangestellten die besonderen beruflichen Problemstellungen seiner Branche. Seine persönlichen Fragen bearbeitet er wöchentlich im Einzelgespräch mit einem approbierten psychologischen Psychotherapeuten. Insbesondere seine Eheprobleme kann P. hier thematisieren. Hinzu kommen verschiedene körperzentrierte Psychotherapieverfahren, Entspannungsverfahren wie z. B. Autogenes Training und andere indikative Therapien. In Rollenspielen übt P., „Nein“ zu sagen und sich besser abzugrenzen. Das Leben wieder gestalten Als Frau und Kinder Matthias P. nach sechs Wochen aus der Klinik abholen, bemerken sie die Veränderung sofort. P. ist ruhiger und ausgeglichener. Mit den Therapeuten und dem Sozialdienst der Rehaeinrichtung hat er für sich eine berufliche Perspektive entwickelt. P. sieht sich in der Lage, weiter in der Bank zu arbeiten, ohne seine Gesundheit noch einmal zu gefährden. Er will seine Klinikerfahrung umsetzen und sich zukünftig von den übermäßigen Leistungsanforderungen auf der Arbeit distanzieren. Da er in der Klinik gelernt hat, Frühwarnzeichen wie Schlafstörung, Konzentrationsschwäche und zunehmende Gereiztheit zu erkennen, achtet Matthias P. jetzt stärker auf seine körperliche und mentale Verfassung. Sollte er die Anzeichen für Überforderung selbst oder durch Rückmeldung seiner Familie bemerken, wird er das Arbeitspensum reduzieren oder Urlaub nehmen. Um nicht in alte Muster zurückzufallen, will er in den ersten Monaten wohnortnah eine ambulante Psychotherapie in Anspruch nehmen. In der Klinik hat Matthias P. die Zuversicht entwickelt, die er für seinen Lebensweg braucht: „Mir ist klar geworden, dass ich mein Leben selbst gestalten kann. Ich bin nicht der Spielball meiner Umstände“. Vor allem die Paargespräche mit seiner Frau haben ihm dabei geholfen, seine Präferenzen neu zu ordnen. „Das Leben ist mehr als nur Arbeit. Die richtige Work-Life-Balance ist ein großer Schritt in Richtung Lebenszufriedenheit“, davon ist Matthias P. überzeugt. ó INTERVIEW mit Dr. Dirk Schröder, Chefarzt Dr. Becker Brunnen-Klinik in Horn-Bad Meinberg (NRW), die auf psychotherapeutische und psychosomatische Qualitätsrehabilitation spezialisiert ist. diebank: Herr Dr. Schröder, sind Bankmitarbeiter gefährdeter als andere, an Burnout zu erkranken? Schröder: Es gibt aus meiner Sicht einige strukturelle Faktoren, die dazu führen, dass gerade in den Sektoren Banken und Versicherungen viele Mitarbeiter krank werden. 50 Prozent der Angestellten sind an Burnout erkrankt oder akut gefährdet. Als Ursachen werden die gefühlte Arbeitslast, fehlende Wertschätzung und Ohnmachtsgefühle angegeben. Ich glaube außerdem, dass der Imageverlust der Finanzbranche, wie er zum Beispiel durch die Bankenkrise 2007 hervorgerufen wurde, den Mitarbeitern zu schaffen macht und am Selbstwertgefühl nagt. Wir arbeiten mit den Patienten in homogenen Gruppen, in denen sie auf Mitpatienten aus ihrer eigenen Branche treffen. Das hat den Vorteil, dass der Austausch über Probleme und mögliche Lösungsstrategien sehr viel effektiver ist als in anderen Einrichtungen. Ein wesentlicher Aspekt unseres Therapiekonzepts ist es, in Einzel- und Gruppengesprächen eine realistische eigene Einschätzung der Leistungsgrenzen durchzuführen. Das ist nötig, weil diese im Rahmen eines Burnouts, meistens über eine lange Zeit hinweg, weit überschritten wurden. diebank: Wie geht es für die Patienten nach dem Klinikaufenthalt weiter? Schröder: Wenn der Patient mit therapeutischer Unterstützung seine individuellen Leistungsgrenzen definiert hat, erfolgt ein Abgleich, ob er seine bisherige Tätigkeit weiterführen möchte. Wir beraten die Patienten unter individueller Abstimmung auf ihre Arbeitsplatzsituation und unser Sozialdienst ist bei der Umsetzung geplanter Maßnahmen behilflich. Einen Arbeitswechsel verfolgen etwa ein bis zwei Prozent der Betroffenen. Die meisten haben gegen Ende der Therapie einen Weg gefunden, ihre Arbeit mit einer besseren Work-Life-Balance fortzuführen. Insgesamt drei Viertel unserer Patienten sind nach der Behandlung wieder arbeitsfähig, für die anderen erfolgt eine stufenweise Wiedereingliederung ins Arbeitsleben. Außerdem unterstützen wir die Patienten bei der Suche nach einer ambulanten psychotherapeutischen Weiterbehandlung, die berufsbegleitend in den meisten Fällen dringend empfehlenswert ist. diebank: Vielen Dank, Herr Dr. Schröder. 10.2015 diebank 77

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