REGULIERUNG stoffintensiven Branchen finanziell belasten. Banken müssen solche anstehenden Veränderungen bei der Bonitätsbewertung des jeweiligen Kreditnehmers berücksichtigen. Der auf internen Ratings basierende Ansatz (IRBA) zur Ermittlung der Eigenmittelanforderung für Kreditrisiken in der Säule 1 setzt auf historischen Daten der Banken auf, die derzeit noch keine Verluste aus ESG-Faktoren enthalten. Insoweit ist der IRBA nicht vollumfänglich geeignet, die erwarteten und unerwarteten Verluste unter Einbezug der ESG- Faktoren für aufsichtliche Zwecke zu ermitteln. Auch der Betrachtungshorizont bei ESG- Risiken ist wesentlich länger als die IRBA-Schätzung des Kreditrisikos über ein Jahr. Die Nachhaltigkeitsrisiken müssen also schrittweise in die vorhandenen Systeme und Prozesse integriert werden. 4 Werden ESG-Faktoren im Zeitablauf besser verstanden und in die erwarteten Verlustmodelle der Banken integriert, verringert sich das Potenzial für unerwartete Verluste. Unerwartete Verluste treten typischerweise auf, wenn ein Ereignis oder eine Entwicklung plötzlich und unvorhergesehen das Finanzsystem oder bestimmte Vermögenswerte trifft. Indem Banken die ESG-Faktoren in ihre Risikobewertung und -steuerung integrieren, können sie besser auf diese Herausforderungen vorbereitet sein und somit das Auftreten von unerwarteten Verlusten reduzieren. Insgesamt ermöglicht das wachsende Verständnis für ESG-Faktoren den Banken, besser vorbereitet und widerstandsfähiger gegenüber diesen Risiken zu sein. Es verlagert das Risikoprofil von unvorhersehbaren Schocks hin zu erwarteten, gesteuerten und in vielen Fällen abgemilderten Verlusten. Dies ist nicht nur für die Banken selbst vorteilhaft – und nach der 7. MaRisk-Novelle auch verpflichtend –, sondern auch für ihre Stakeholder, die Investoren und die allgemeine Wirtschaftsstabilität. Der sachgerechten Abbildung von erwarteten Verlusten in den Bankbilanzen kommt daher eine große Bedeutung zu. Man könnte sogar behaupten, dass die Nachhaltigkeitsrisiken auf absehbare Zeit vorrangig ein bilanzielles Problem der Banken sind. Die Frage ist insoweit, wie in der Rechnungslegung sichergestellt werden kann, dass den ESG-Risiken im Rahmen der Bildung der Risikovorsorge für die erwarteten Verluste angemessen Rechnung getragen wird. Erwartete Verluste in der HGB-Bilanz Das Handelsgesetzbuch (HGB) ist das Rechnungslegungssystem, das in Deutschland für die Erstellung von Jahresabschlüssen von Unternehmen einschließlich der Banken gilt. Es basiert auf dem Grundsatz der Vorsicht und zielt darauf ab, die Gläubiger zu schützen und die Stabilität des Handelsverkehrs zu gewährleisten. Der HGB-Abschluss ist Basis für Ausschüttungen, für die Steuerzahlungen auf Grundlage der Steuerbilanz sowie für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen Überschuldung. Dagegen dienen Konzernabschlüsse lediglich der Informationsfunktion, unabhängig davon, nach welchem Rechnungslegungssystem sie aufgestellt werden. Allen erkennbaren Risiken und Verlusten, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, wird nach dem im HGB verankerten Vorsichtsprinzip angemessen Rechnung getragen. Die Bewertungsregeln des HGBs lassen ausreichend Spielraum für eine vorsichtige Bewertung der Kreditrisiken. 5 Einzelwertberichtigungen (EWB) und Rückstellungen sind schon zu bilden, wenn erkennbar ist, dass Risiken oder Zahlungsausfälle drohen. Das 40 09 | 2023
REGULIERUNG heißt, es darf nicht auf den tatsächlichen Ausfall gewartet werden. Ein anderes Vorgehen entspräche nicht dem Vorsichtsprinzip für die Bewertung des Umlaufvermögens und die wie Umlaufvermögen bewerteten Kreditforderungen. Die Bildung von Pauschalwertberichtigungen (PWB) ist seit der jüngsten Aktualisierung (IDW RS BFA 7) ebenfalls unter Berücksichtigung erwarteter Verluste gefordert. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das HGB aufgrund des Vorsichtsprinzips und des Konzepts der Bildung von Pauschalwertberichtigungen die Berücksichtigung zukunftsgerichteter Komponenten bei der Ermittlung der erwarteten Verluste enthält. Insoweit impliziert die prinzipienbasierte HGB-Rechnungslegung die Berücksichtigung bereits erkennbarer ESG-Risikofaktoren bei der Bonitätsprüfung/Bewertung der Vermögenswerte und Schulden. Um die erwarteten Verluste durch ESG- Faktoren besser bewerten zu können, benötigen Banken mehr Informationen im Zusammenhang mit ESG-Risiken entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Kunde und Bank. Die EU-Taxonomie (EU/2020/852) gibt ein einheitliches Klassifizierungssystem zur Identifizierung ökologisch nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten und deren Anteil an Umsatz, Investitions- und Betriebsausgaben von Unternehmen vor. Seit 1. Januar 2022 müssen Unternehmen gemäß Artikel 8 der EU-Taxonomie erstmals für das Berichtsjahr 2021 über taxonomiekonforme Wirtschaftsaktivitäten in den Bereichen „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ berichten. Davon betroffen sind aktuell die Unternehmen, die zur nichtfinanziellen Berichterstattung gemäß der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) verpflichtet sind. Mit der im Januar 2023 in Kraft getretenen Corporate Sustainability Reporting Directive (EU/2022/2464, CSRD) kommt es zu einer deutlichen Ausweitung des Anwendungsbereichs für die Nachhaltigkeitsberichterstattung sowie des Umfangs der Berichtsinhalte. Die CSRD muss noch in nationales Recht umgesetzt werden. Insoweit werden Banken zukünftig mehr Möglichkeiten haben, relevante quantitative und qualitative ESG- Daten bei ihren Kreditnehmern abzufragen und in ihrer Bonitätsbewertung zu berücksichtigen. Nach den Allgemeinen Bewertungsgrundsätzen bei der Bewertung der im Jahresabschluss ausgewiesenen Vermögensgegenstände und Schulden sind gem. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB „alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen“. Nachhaltigkeitsrisiken entwickeln sich meist erst über einen längeren Zeitraum. Die Aufseher beschäftigen sich intensiv mit den finanziellen Risiken, die sich bei den von ihnen beaufsichtigten Unternehmen rund um das Thema Nachhaltigkeit ergeben. Es wird erwartet, dass ESG-Risiken zu einer dauerhaften Wertminderung von Vermögensgegenständen des Anlage- und Umlaufvermögens führen können. Folglich sind Nachhaltigkeitsfaktoren, abhängig von Art und Ausmaß der Betroffenheit des jeweiligen Unternehmens, ggf. im Rahmen des Ansatzes und/oder der Bewertung einzelner Posten zu berücksichtigen. Für die Einhaltung der HGB-Bewertungsvorschriften ist die Geschäftsleitung der Bank verantwortlich. Sie muss entscheiden, ob und wenn ja, in welcher Höhe Wertberichtigungen gebildet oder Abschreibungen vorgenommen werden müssen. Darüber hinaus könnten finanzielle Risiken, die aus Nachhaltigkeitsfaktoren resultieren, die Bildung von Rückstellungen gem. § 249 HGB erforderlich machen. Auch wenn die klimabezogene Gesetzgebung sehr schwer kalkulierbar ist, wird sie tendenziell die Werthaltigkeit von vielen Fi- 09 | 2023 41
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