REGULIERUNG dar. Im Mittelpunkt der sogenannten 7. Ma- Risk-Novelle steht die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitrisiken in fast allen MaRisk- Modulen. 2 Jede Bank ist damit mit einer Vielzahl von ESG-Problemen konfrontiert, und einige von ihnen haben das Potenzial, wesentlich zu sein und finanzielle oder Reputationsschäden zu verursachen. So ist ein Problem der Banken die Integration von Nachhaltigkeitsrisikofaktoren in bestehende Risikomanagement-Systeme. Banken und andere Finanzinstitutionen integrieren ESG-Faktoren zunehmend in ihre Entscheidungsprozesse, sowohl um Risiken zu minimieren als auch um Chancen in den Bereichen „Nachhaltigkeit“ und „gesellschaftliche Verantwortung“ zu identifizieren: Die BaFin führte 2020 in ihrem „Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken“ einige bekannte Beispiele für ESG-Faktoren auf, von der Anpassung an den Klimawandel über die Einhaltung arbeitsrechtlicher Standards bis hin zu einer Vorstandsvergütung in Abhängigkeit von Nachhaltigkeit. Eine der Grundannahmen der Nachhaltigkeitsdebatte ist, dass die Einbeziehung von ESG-Überlegungen in die Kapitalmärkte zu besseren gesellschaftlichen Ergebnissen führt. Diese These geht zurück auf den von den Vereinten Nationen (UN) gesponserten Bericht aus dem Jahr 2005 „Who Cares Wins: Connecting Financial Markets to a Changing World“. Finanzinstitute sollen sich nach dem Bericht dazu verpflichten, ESG-Faktoren systematischer in die Forschungs- und Investitionsprozesse einzubeziehen. Es wird die These vertreten, dass nachhaltigere Unternehmen den Wert für ihre Aktionäre steigern können, indem sie Risiken richtig managen, regulatorische Maßnahmen antizipieren oder neue Märkte erschließen und gleichzeitig einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaften leisten. Erwartete versus unerwartete Verluste aus ESG-Risiken Die Aufsicht definiert den Begriff „ESG-Risiko“ als das Risiko von Verlusten aufgrund negativer finanzieller Auswirkungen auf die Institute, die sich aus den aktuellen oder voraussichtlichen Auswirkungen von ESG-Faktoren auf die Gegenparteien oder investierten Vermögenswerte des Instituts ergeben. Das maximale Verlustrisiko einer Bank bei einem einzelnen Kredit ist auf den vergebenen Kreditbetrag zuzüglich nicht realisierter Zinsen oder bei einer Investition auf den Investitionsbetrag begrenzt. Unabhängig von den verschiedenen Risikofaktoren oder erwarteten und unerwarteten Entwicklungen im Umfeld eines Kreditnehmers oder einer Investition kann die Bank niemals mehr verlieren, als sie ursprünglich verliehen oder investiert hat. Ein grundlegendes Prinzip der Banken im Management von potenziellen Verlusten aus einer Kreditposition ist die Trennung und völlig unterschiedliche Behandlung von erwarteten, unerwarteten und extremen unerwarteten Verlusten. Erwartete Verluste werden in den Kreditprozessen und der Preisbildung berücksichtigt und führen zur gezielten Vorsorge in der Bilanz. Dagegen beeinflussen unerwartete Verluste die Kapitalplanung und -allokation der Bank. Banken müssen über ausreichend Kapital verfügen, das im Fall unvorhergesehener Verlustereignisse genutzt werden kann. Mindesteigenmittelanforderungen der Aufsichtsbehörden sollen sicherstellen, dass Banken solide genug sind, um unerwartete Verluste ohne externen Eingriff zu überstehen. Stresstests sind ein zentrales Instrument im Risikomanagement von Banken, um die Widerstandsfähigkeit ihrer Bilanzen gegenüber extremen, aber denkbaren unerwarteten Verlusten zu analysieren. Eine Kapitalabsicherung schreibt die Aufsicht für extreme unerwartete Verluste jedoch nicht vor. Erwartete Verluste beziehen sich auf die Verluste, die eine Bank im Normalverlauf ihres Geschäfts antizipiert. Diese Verluste sind das Ergebnis regelmäßiger Bewertungen und Analysen basierend auf historischen Daten, aktuellen Marktbedingungen und anderen relevanten Faktoren. Erwartete Verluste sind somit vorhersehbar und werden in der Regel als kalkulatorische Kosten des Geschäfts betrachtet, die im Rahmen der Deckungsbeitragsrechnung und der Margenkalkulation in Abzug gebracht werden. Die erwarteten Risikokosten in Prozent entsprechen dem erwarteten Verlustbetrag aus Kreditgeschäften und werden auch Standardrisikokosten oder Risikomarge genannt. Sie ergeben sich aus Erfahrungs- und Erwartungswerten der jeweiligen Institute aus Kreditausfällen und statistischen Wahrscheinlichkeiten. Für den Teil der erwarteten Verluste, der nicht direkt bestimmten Kreditnehmern zuordenbar ist, bilden Banken pauschalierte Einzelwertberichtigungen, Pauschalwertberichtigungen und Rückstellungen in ihren Bilanzen. Das soll sicherstellen, dass die Banken über ausreichend Puffer verfügen, um solche normalen, vorhersehbaren Verluste abzudecken. Pauschalierte Einzelwertberichtigungen beziehen sich auf konkrete ausfallgefährdete Einzelforderungen, bei denen eine individuelle Bewertung aufgrund der Vielzahl der Forderungen oder des geringen Umfangs nicht 38 09 | 2023
REGULIERUNG praktikabel ist. Für vorhersehbare, noch nicht individuell konkretisierte Adressenausfallrisiken im Kreditgeschäft werden Pauschalwertberichtigungen gebildet. Rückstellungen im Kreditgeschäft betreffen Eventualverbindlichkeiten wie Bürgschaften und andere Verpflichtungen. 3 Unerwartete Verluste sind die Verluste, die über die erwarteten Verluste einer Bank hinausgehen und aus unvorhergesehenen Ereignissen resultieren. Solche Ereignisse könnten beispielsweise ein plötzlicher Wirtschafts-Crash, gravierende Veränderungen in einer Branche oder unvorhergesehene Entwicklungen bei einem Kreditnehmer sein. Da diese Verluste per Definition schwer vorherzusagen sind, bilden Banken für sie keine bilanzielle Vorsorge. Sie müssen jedoch bankaufsichtliche Eigenmittel nach den Anforderungen der sogenannten Säule 1 sowie nach der Säule 2 vorhalten, um unerwartete Verluste absorbieren zu können. Im Rahmen des jährlichen aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses (Supervisory Review and Evaluation Process, SREP) machen sich die Bankaufseher ein Bild von den Risiken der Banken und prüfen im Detail, ob die Banken angemessen mit diesen Risiken umgehen. Wenn bestimmte Risiken einer Bank nicht oder nicht ausreichend durch die Mindestkapitalanforderung in der Säule 1 und dem internen Kapital der Säule 2 abgedeckt werden, legen die Aufseher zusätzlich eine verbindliche individuelle P2-Eigenkapitalanforderung (Pillar 2 Requirement, P2R) fest, die eine Bank – über die Anforderungen in der Säule 1 hinaus – vorhalten muss. Dieses Kapital dient als Puffer und soll die Solvenz der Bank auch in Krisenzeiten gewährleisten. Darüber hinaus erteilt die Aufsicht den Banken eine bankspezifische P2-Empfehlung (Pillar 2 Guidance, P2G), die über die vorgeschriebenen aufsichtlichen Anforderungen von Säule 1 und Säule 2 hinausgeht. Damit soll sichergestellt werden, dass die Bank etwaige Verluste aus adversen Szenarien absorbieren kann. Im Gegensatz zu Säule-2-Anforderungen sind Säule-2-Empfehlungen nicht rechtsverbindlich. Extreme unerwartete Verluste sind die Verluste, die über die erwarteten und unerwarteten Verluste hinausgehen und aus extremen Ereignissen resultieren. Stresstests sind für diese Verluste ein zentrales Instrument im Risikomanagement von Banken, um die Widerstandsfähigkeit ihrer Bilanzen gegenüber extremen, aber denkbaren adversen wirtschaftlichen Szenarien zu bewerten. Diese Tests simulieren außergewöhnliche, aber plausible negative Ereignisse, wie tiefe Wirtschaftskrisen, starke Zinsschwankungen oder drastische Veränderungen auf den Finanzmärkten. Durch die Simulation solcher Szenarien können Banken feststellen, ob sie über ausreichend Eigenkapital verfügen, um auch in extremen Situationen solide zu bleiben, ohne die Geschäftstätigkeit einstellen oder staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen zu müssen. Stresstests sind nicht nur für interne Risikobewertungen von Bedeutung, sondern werden auch von Regulierungsbehörden gefordert, um das Systemrisiko im Bankensektor zu überwachen und die finanzielle Stabilität insgesamt zu gewährleisten. Da Mechanismen und potenzielle Auswirkungen vieler ESG-Faktoren derzeit schon bekannt sind, können sie als erwartete Verluste eingestuft werden. Zum Beispiel kann der Klimawandel zu steigenden Meeresspiegeln führen, die Immobilien in Küstennähe gefährden. Banken, die Kredite für solche Immobilien vergeben, können dieses Risiko antizipieren und entsprechende Vorsorge treffen oder strengere Kreditvergabestandards anwenden. Ebenso kann die Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft Unternehmen in kohlen- 09 | 2023 39
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