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die bank 09 // 2016

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó IT & KOMMUNIKATION

ó IT & KOMMUNIKATION Potenziale bei digitalen Angeboten zu heben als auch das bestehende Geschäftsmodell mit stationärem Vertrieb zu fördern, ist für uns eine große Herausforderung. Was den Status unserer Digitalisierung betrifft, stehen wir noch ganz am Anfang. Vor kurzem erst haben wir Easyfolio gekauft, einen der führenden Online-Anbieter von Vermögensanlagen. Eine junge, kreative Truppe, die seit gut zwei Jahren am Markt ist, und die wir auch nicht eingliedern wollen. Easyfolio wird als zweite Marke weitergeführt, gemanagt von Hauck & Aufhäuser. Eine ganz wichtige Aufgabe sehen wir hierbei darin, die unterschiedlichen Ansätze und Herangehensweisen in Bezug auf Geschäftsmodell und Kultur einer Privatbank mit langer Tradition und einem jungen FinTech zu verbinden und am Ende unter einen Hut zu bringen, um den größtmöglichen Mehrwert und Wachstum zu erzeugen. Der Trend zur Digitalisierung von Bankdienstleistungen wird sich massiv fortsetzen – auch in unserem Geschäft. Davon sind wir fest überzeugt. Die nächsten zwei Jahre werden extrem spannend. Peeters: Für eine Direktbank wie die ING-DiBa ist es sicherlich von Vorteil, dass wir es überwiegend mit Kunden zu tun haben, die in Sachen Digitalisierung schon einen Schritt weiter sind. Dennoch ist auch bei uns die Kundenbasis sehr heterogen. Von daher ist es wichtig, sowohl mit Early Adopters als auch mit Late Adopters gut umzugehen. Entscheidend ist für mich daher, die richtigen Antworten auf die Frage zu finden, was wir unseren Kunden alles anbieten wollen und wie wir unsere aktuellen Angebote optimal weiterentwickeln können. Eine Revolution braucht es nicht, weil der Kunde das auch gar nicht will. Dennoch: Der Kunde wird sein Verhalten weiter verändern, er will seine Bankgeschäfte so tätigen, wie er das im Handel oder in der Touristik bereits gewohnt ist. Als Unternehmen müssen wir uns darauf einstellen, dass es in Zukunft wesentlich mehr Transaktionen mit dem Kunden geben wird und dass diese in immer kürzerem Turnus stattfinden werden. Ich bin überzeugt, dass alles, was Daten- und Kontext-„driven“ ist, für einen Kunden immer relevanter wird. Wir müssen uns daher überlegen, inwieweit sich Daten nicht auch sinnvoll im Kundenservice nutzen lassen – für ein Angebot, das dem Kunden einen echten „Added value“ liefert. Die Digitalisierung ermöglicht uns so viel – und einige Gesetzesänderungen erlauben es auch, dass man endto-end digitalisieren kann, so etwa der Kontowechsel. In Belgien ist es schon jetzt möglich, alle Bankgeschäfte vollkommen ohne Papier zu tätigen. Da brauchen wir in Deutschland noch ein paar Schritte nach vorne. Zu den großen Herausforderungen in der Digitalisierung zählt für uns das Thema Agilität: Wie schaffen wir es, mit fast 4.000 Mitarbeitern Prozesse und Angebote sehr schnell anzupassen und umzustellen und dabei trotzdem Qualität und Vertrauen zu bewahren? Hier das richtige Tempo zu finden, das der Kunde mitgehen kann und will – und das gleichzeitig unsere Fähigkeit und Bereitschaft zur Veränderung nicht überfordert –, diese Aufgabe ist alles andere als trivial. Wir arbeiten hier ebenfalls eng mit FinTechs zusammen. In Deutschland kooperieren wir mit vier FinTechs, insgesamt arbeitet die ING Groep bereits mit mehr als 50 zusammen. FinTechs sind für uns eine Inspiration. Sie sind Partner, die es uns ermöglichen, interessante Ideen zu verfolgen und schnell umzusetzen. Manchmal sind sie auch ein „short cut“, um schnell am Markt zu sein. Die Zusammenarbeit mit FinTechs ist auch eine Sourcing- Frage: Früher hat man bei den großen IT-Firmen gesourct. Heute findet dies auch über FinTechs statt. diebank: Herr Professor Hackethal, decken sich diese segmentspezifischen Aussagen mit Ihren Erkenntnissen aus der wissenschaftlichen Perspektive? Hackethal: Auch ich bin davon überzeugt, dass die „fluiden Erwartungen“ eine große Rolle spielen: Dadurch, dass wir Tag für Tag mit Smartphone und Tablet umgehen, gewöhnen wir uns immer mehr an digitale Prozesse. Es sind also gar nicht mal so sehr die Angebote der FinTechs, die das Verhalten der Bankkunden beeinflussen. Vielmehr erwartet der Kunde mehr und mehr auch von seiner Bank, was er aus anderen Branchen bereits kennt und gewohnt ist. diebank: Trotzdem gibt es offenbar noch immer genug Gründe, die Menschen dazu veranlassen, das physische Erlebnis zu suchen. Warum also gehen die Menschen noch in die Filiale? Hackethal: Die Wissenschaft hat heruntergebrochen, welche Rollen ein menschlicher Berater überhaupt einnehmen kann. Ganz oben auf der Liste stand „peace of mind“, also jemandem das Gefühl von Sicherheit zu geben, nach dem Motto: „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir haben alles unter Kontrolle.“ Dahinter steckt aus Sicht des Kunden dann auch, eine Art Sündenbock zu haben, dem man die Schuld zuweisen kann, wenn es nicht so läuft wie geplant. Solche Denkmuster sind nun mal da, und vor diesem Hintergrund stellt sich sofort die Frage, welche Funktion der Mensch künftig in der Bank spielen wird und welche die Maschine, wenn die Maschine auch durch Artificial Intelligence immer klüger wird. Tomas Peeters, Chief Strategy Officer der ING-DiBa. Sicher ist: Die Profile der Bank-Mitarbeiter müssen sich an die Technologie anpassen, und es braucht neue Kompetenzen. Schon 58 diebank 09.2016

IT & KOMMUNIKATION ó jetzt gibt es einen Engpass bei Experten, die Machine Learning und Big Data beherrschen. Und an der Kundenschnittstelle braucht es Mitarbeiter, die das Relationship Management unter Zuhilfenahme modernster Technologie ganz anders betreiben als wir dies bisher kennen. Für viele Banken wird es allerdings eher schwieriger werden, solche Spezialisten und Top-Talente direkt von den Universitäten zu bekommen. Obwohl sich auch die Hochschulen darauf einstellen, ist das Angebot noch klein und die Alternativen zur Bank werden attraktiver. Viele machen sich lieber selbstständig oder gehen in stark wachsende Branchen. diebank: Wo liegt in Ihren Instituten zurzeit der Schwerpunkt der Digitalisierungs-Aktivitäten, und wie kommen Sie dabei voran? Peeters: Die Gesetzeslage hier in Deutschland erfordert derzeit leider noch viele Medienbrüche. Ich denke, dass wir bei der ING-DiBa das, was uns die Gesetzeslage erlaubt, sehr effizient machen. Unser Ziel ist dennoch, alle Prozesse, die wir ohne Medienbrüche gestalten können, auch anzugehen. Darauf liegt ganz klar unser Fokus. Aus anderen Branchen ist der Kunde das so gewohnt. Und er fragt sich natürlich, warum es noch immer nicht durchgängig online möglich ist, beispielsweise seinen Dispokredit anzufragen oder ähnliche Standardvorgänge zu tätigen. Die Medienbrüche herausnehmen, darauf muss der Hauptfokus liegen. Und zwar aus zwei Gründen: weil dies die Convenience des Kunden am meisten steigert und weil die End-to-End-Digitalisierung uns ein hohes Effizienzpotenzial bietet. von Hülsen: Wir gehen in eine ähnliche Richtung. Die Medienbrüche kosten uns viel Zeit, Geld und Effizienz. Es reicht nicht, wenn die Beratung per Video bestens funktioniert, der Kunde aber trotzdem noch persönlich in die Filiale kommen muss, um eine Unterschrift zu leisten oder wenn Kreditverträge per Post verschickt werden müssen. Unser Fokus liegt daher ganz klar auf einer End-to-End-Digitalisierung des gesamten Kreditprozesses. Wir nutzen dabei grundsätzlich drei Lösungswege: Wir entwickeln dort Produkte und Services selbst weiter, wo es um die Optimierung unseres bestehenden Modells und entsprechender Anwendungen geht. Zweitens integrieren wir am Markt verfügbare innovative Lösungen, die für uns sinnvolle Erweiterungen darstellen, direkt in unsere Angebote. Und drittens suchen wir die Kooperation und den Austausch mit Unternehmen aus dem Technologieumfeld, die gänzlich neue Geschäftsmodelle und Lösungsangebote entwickeln. Rupprecht: Einer unsere Schwerpunkte ist sicherlich, bei den Produkten nachzuschärfen: Wir werden unsere Produktpalette aufbohren und erstmals ein bestehendes Produkt von Hauck & Aufhäuser online anbieten. Ein weiteres, ganz spannendes Thema – aus meiner Sicht das spannendste überhaupt – ist das Marketing. Dies richtig zu machen und entsprechend nüchtern zu kalkulieren, wie viel Geld muss ich für einen Kunden in die Hand nehmen und wann rentiert es sich, sodass ein entsprechender Return erreicht wird – Dr. Andreas Hackethal, Professor für Finanzen an der Goethe-Universität in Frankfurt. das ist nicht zuletzt auch deshalb so schwierig, weil es bis jetzt noch wenig Erfahrungswerte gibt. Meiner Meinung nach haben sich einige FinTechs bei ihrem Marketing bisher verschätzt, was am Ende zu größeren Problemen führte. Wenn man sich einmal die Business Cases zur Digitalisierung anschaut – und wir alle wissen ja, wie schwierig es ist, solche Cases zu rechnen –, senkt jeder traditionell denkende Banker wohl den Daumen. Wir sind aber überzeugt, dass es richtig ist, konsequent in die Digitalisierung zu investieren. Eine besondere Herausforderung sehen wir hier in der Verfügbarkeit und der richtigen Allokation der internen und externen Ressourcen, um die Digitalisierung zielführend voranzutreiben. Unser Ziel ist, mit der schnellen Entwicklung in diesem Bereich Schritt zu halten oder – besser noch – voranzugehen und schneller als der Markt zu wachsen. Allerdings werden wir dabei nichts überstürzen. In unserem Business Case gehen wir daher auch sehr behutsam vor, der Case umfasst den Zeitraum bis zum Jahr 2020/2021. Kebbel: Bei der Helaba versuchen wir Initiativen loszutreten: erste Prototypen zu einem Kundenportal, Apps im Zahlungsverkehr in diversen Ausführungen. Das treiben wir aktiv voran und versuchen, daraus ein Momentum aufzubauen, aus dem wir weitere Themen entwickeln. Es ist uns klar, dass das lediglich die ersten Schritte auf einem sehr langen Marathon sind. Das Wichtigste ist für uns aber, erst einmal loszulegen, Präsenz nach innen und nach außen zu zeigen und Ergebnisse zu produzieren. diebank: Einfach mal anfangen, ausprobieren und schauen, was beim Kunden ankommt: Das klingt sehr nach taktischem Vorgehen. Kommt beim Thema Digitalisierung, wie sie bis jetzt von den Banken praktiziert wird, die strategische Sicht zu kurz? Pehle: Digitalisierungsprogramme zielen oft auf taktische Maßnahmen, beispielsweise im Bereich digitale Kanäle oder Prozessautomatisierung, ab – umsetzungsorientiertes Vorgehen ist wichtig, jedoch stellt sich zunächst die Frage, wie eine „digitalere“ Zukunft aussehen könnte und wie man sich darin positionieren soll- 09.2016 diebank 59

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