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die bank 08 // 2018

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MARKT RATIONALITÄT DER

MARKT RATIONALITÄT DER MÄRKTE Die Illusion der Tulpenmanie Gerade vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise, deren Start gern am Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers festgemacht wird, zeigt sich ein großes allgemeines Misstrauen gegenüber der Stabilität von Kapitalmärkten. Es wird eine immanente Tendenz zur Bildung von Spekulationsblasen geäußert, gern unterlegt mit historischen Ereignissen. Besonders beliebt ist dabei ein Verweis auf die Tulpenmanie in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts, die es aber in der kolportierten Form wohl nie gegeben hat. Wenn sich im September die Insolvenz der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers zum zehnten Mal jährt, wird nicht nur wieder über die Gier und auch die kriminelle Energie einzelner Investmentbanker diskutiert werden, die zum Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 beigetragen haben. Es wird auch sehr viel fundamentaler wieder die Frage nach der Stabilität der Finanzmärkte gestellt werden. Dabei ist es sehr populär, tief in die europäische Geschichte zurückzublicken und auf die Tulpenmanie in den Niederlanden zu verweisen. „Im 17. Jahrhundert wälzte sich Holland im Tulpenfieberwahn. Jeder wollte mit der Pflanze Geld verdienen. Selbst Dummheit schadete nicht, solange sich ein größerer Dummkopf fand, der das Gewächs teurer abkaufte. Die Preise stiegen in abenteuerliche Höhen – bis die Blase platzte“, hieß es z. B. in der FAZ. 1 Diese Darstellung ist nicht nur in Tageszeitungen, sondern auch in Publikationen bekannter Wissenschaftler verbreitet. Die Tulpenmanie gilt quasi als die Mutter aller Spekulationsblasen. Schon oft kamen Zweifel auf, ob es diese Tulpenmanie tatsächlich so gegeben hat, wie sie immer wieder erzählt wird. Bereits vor fast 30 Jahren wurde in führenden amerikanischen Zeitschriften berichtet, dass die Tulpenmanie nicht mehr als eine nette, weitestgehend haarsträubend verdrehte Darstellung historischer Ereignisse sei. 2 Dass man sich seither standhaft weigert, die Realität zur Kenntnis zu nehmen, kann nicht verwundern, wenn man den Ausführungen von Robert Shiller zur Bedeutung von Erzählungen zum gewünschten Verständnis der wirtschaftlichen Entwicklung folgt. 3 Kurzum: Die Geschichte ist einfach zu schön, um nicht wahr zu sein. Einige Erläuterungen zu Geschehnissen und Geschichten Angesichts des Gewichts, das der Tulpenmanie im Kontext der Diskussion über Spekulationsblasen zukommt, und angesichts der Bedeutung, die Spekulationsblasen in unserem Gesamtverständnis von der Stabilität und Rationalität von Märkten und damit letztlich unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems haben, ist es das Ziel dieses Beitrags, den Wissensstand zur Tulpenmanie kompakt zusammenzufassen und so mit einigen haltlosen Erzählungen zu brechen. Dabei werden insbesondere die Darstellungen und Argumente von Garber und Anne Goldgar 4 zusammengefasst. Bei der Einordnung der Tulpenmanie in die historische Gesamtsicht fällt sofort auf, dass die Ereignisse in der Hochphase des Dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648) stattfanden, nach damaligen Maßstäben also während eines Weltkriegs. In Europa tobte die Pest, in den Niederlanden starb in dieser Zeit fast jeder Siebte. Währenddessen wurden in der Gegend um Haarlem in Tavernen auf Termin Tulpenzwiebeln gehandelt mit einigen Preismustern, die gerne heute noch berichtet werden. Was in den meisten Berichten fehlt, ist der Hinweis, dass Terminkontrakte als Spekulationsgeschäfte grundsätzlich nicht gerichtlich einklagbar waren, was die Belastbarkeit der Preise durchaus einschränkt. Aber unabhängig von allen Details stellt sich bei diesem historischen Rahmen doch unmittelbar die Frage, wie man überhaupt auf die Idee kam, diese in jeder Hinsicht extreme Ausnahmesituation als Basis 44 08 // 2018

MARKT für die Geschichte der Spekulationsblasen zu nehmen. Doch wie kam es zu der heute häufig verbreiteten Sichtweise auf die Tulpenmanie, und was geschah damals genau? Wenn – aus welchen Gründen auch immer – sehr hohe Preise für Tulpenzwiebeln vereinbart wurden, empfiehlt sich zunächst ein Blick auf den Basiswert, die Tulpen, und die Gründe, warum sie zu einem begehrten und teuren Produkt wurden. Tulpen – längst nicht nur eine Massenware Ganz allgemein sind hohe Preise in Märkten in aller Regel zunächst einmal ein Knappheitsindikator. Das war im 17. Jahrhundert bei Tulpen so und gilt auch noch heute. Im Fall der Tulpen waren ihre Zwiebeln das vor allem gehandelte Gut und bildeten die Basis der damaligen Märkte. Allerdings ist die Zwiebel anfällig für Virenbefall. Was erst einmal wie eine Schwachstelle der Pflanze erscheint, machte die damals besonders begehrten Exemplare jedoch erst möglich: Denn eines dieser Viren, das sogenannte Mosaikvirus, ruft bei den Blumen ein besonders schönes und einzigartiges Muster hervor, und diese Blumen wurden dadurch stark begehrt. Mit dem Virus befallene Pflanzen bringen allerdings signifikant weniger Zwiebeln hervor, sodass eine Kombination aus Rarität und Beliebtheit einsetzte. Anfang des 17. Jahrhunderts geriet die Tulpe zunehmend ins Blickfeld der Kaufleute in Holland. Zu der Zeit boomte die Wirtschaft, und die Handelsnetze expandierten. Das brachte eine reiche, selbstbewusste Kaufmannsschicht hervor. Sie suchte ein Statussymbol, mit dem sie den neu gewonnenen Wohlstand zur Schau stellen konnte. Neben Gemälden bot sich dafür die neue, exotische Blume an, und hier wiederum besonders die seltenen Tulpen mit speziellem Muster. Dass es bei diesem neuen „Hobby“ der Oberschicht zu Spitzenpreisen kommen konnte, war jedoch keine irrationale Spekulation. Diese Tulpen waren knapp, und ihre Herstellung war schwierig und zeitaufwendig. Und wie das Muster entsteht, war den Menschen damals noch unbekannt. 08 // 2018 45

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