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die bank 08 // 2017

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

MANAGEMENT

MANAGEMENT PROZESSMANAGEMENT Nachlassbearbeitung – alles digital? Die Nachlassbearbeitung in Banken wird heutzutage noch vielfach manuell und ohne durchgängige IT-Unterstützung ausgeführt. Das bindet Arbeitskräfte und verursacht Kosten. Die Digitalisierung eröffnet den Banken hier neue Möglichkeiten. Sie bietet darüber hinaus auch Vorteile für die Hinterbliebenen. Zwei maßgebliche Faktoren prägen die demografische Entwicklung Deutschlands seit Anfang der 1970er Jahre: eine höhere Lebenserwartung und rückläufige Geburtenraten. Während die Deutschen ein immer höheres Alter erreichen, werden zeitgleich weniger Kinder geboren. Das hat auch zur Folge, dass in Zukunft die Anzahl der Sterbefälle nach oben klettert. Schon allein im Jahr 2015 starben hierzulande 925.000 Menschen. Im Bankgeschäft sind dadurch künftig immer mehr Nachlassfälle zu bearbeiten. Und das hat für die Banken Konsequenzen: Zunehmend mehr Mitarbeiter müssen dort tätig sein, die entsprechend geschult sind, um den äußerst sensiblen Nachlassprozess abwickeln zu können. Denn der Tod eines Angehörigen bedeutet zunächst einmal einen emotionalen Ausnahmezustand für die Hinterbliebenen. Zu allem Überfluss ist ein Todesfall auch noch ein enormer bürokratischer Kraftakt. Das wiederum bedeutet, dass die Bankangestellten sich mit einem Vorgang befassen müssen, der außerdem noch viel Zeit und Kosten verursacht. Der Nachlassfall ist komplex, da er durch unterschiedlichste Konstellationen geprägt ist, wie z. B. Aktiv- und Passivprodukte, Schließfächer, dem Kreditinstitut gegenüber getroffenen Willenserklärungen wie Vollmachten, Verträge zugunsten Dritter oder Daueraufträge. Außerdem haben die Finanzinstitute mit unterschiedlichen Ansprechpartnern zu tun und darüber entsprechende Nachweise zu führen. Wie zum Beispiel bei den neben der Bankverbindung bestehenden Verpflichtungen und Einschränkungen, wie erteilten Generalvollmachten und Betreuungsverhältnissen. Bank kann Sympathien gewinnen Diese so komplexe Situation ist der wesentliche Grund dafür, dass die Nachlassbearbeitung nach wie vor ein oftmals händisch ausgeführter Prozess ist. Eine effiziente IT-Unterstützung fehlt fast vollkommen. Einige Banken nutzen sogar Service-Dienstleister, um den Aufwand für die eigenen Mitarbeiter möglichst klein zu halten oder auf den Einsatz von Spezialisten verzichten zu können. Führt man sich diese Situation vor Augen, ist es durchaus überraschend, dass die Digitalisierung, die alle Lebensbereiche durchdringt, das Thema Nachlassbearbeitung noch nicht umfassend erreicht hat. Dabei verbirgt sich hier ein enormes Potenzial für Automatisierungsmaßnahmen. Doch auch die vertriebliche Perspektive darf nicht außer Acht gelassen werden. Im Kampf um Kunden und Erträge kann eine Bank hier sehr erfolgreich sein. Leistet ein Geldinstitut bei der Abwicklung des heiklen Nachlassthemas für die Hinterbliebenen gute Arbeit, können diese den Eindruck gewinnen, dass die Bank auch in anderen Geschäftsbereichen kompetent ist. Das wiederum kann zu einer emotionalen Bindung an das Institut führen. Ist das der Fall, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Erben ein vorhandenes Guthaben im Haus belassen oder sogar selbst Kunden eines Instituts werden, das sie als kunden- und serviceorientiert wahrgenommen haben. Es bietet sich hier außerdem die Gelegenheit, ausgelagerte Prozesse zurück ins Haus zu holen. Das hat zwei Effekte: Es senkt zum einen die Kosten und macht zum anderen eine direktere Qualitätskontrolle möglich. OCR findet die Traueranzeige Die erste Schwierigkeit besteht für die Bank bereits darin, überhaupt davon zu erfahren, dass jemand verstorben ist. Selbstverständlich kann der Todesfall manuell erfasst werden, nachdem er von den Hinterbliebenen gemeldet worden ist. Das ist die klassische Bearbeitungsvariante. Doch in der digitalisierten Welt gibt es weitere Alternativen. Und zwar mittels OCR. Die Abkürzung steht für „Optical Character Recognition“, also optische Zeichenerkennung. Mit ihrer Hilfe kann ein Geldinstitut die Information über einen Trauerfall aus der lokalen Zeitung ziehen. Es erfolgt ein Abgleich der per OCR gewonnenen Traueranzeige mit den vorhandenen Stammdaten. So bleibt dem Berater letztlich eine kleine, aber wichtige Aufgabe: Er muss den potenziell erkannten Nachlassfall nach Überprüfung manuell bestätigen. Aber auch eintreffende Dokumente wie Rentenrückrufe machen eine automatisierte Erkennung eines Todesfalls möglich, der Abgleich mit den Kundendaten eröffnet den digitalen Nachlassprozess ohne weitere Eingriffe der Bankmitarbeiter. Sie erhalten entsprechende Aufgabensignale zur weiteren Bearbeitung im Postkorb. Ist der Bank ein Todesfall nun tatsächlich bekannt, fangen die sehr umfangreichen dispositiven, also nicht direkt den Bankdatenbestand betreffenden, Arbeiten an. Sie können aber durch eine intelligente Systemunterstützung extrem erleichtert werden. Das lästige Listenpflegen fällt weg – so etwa beim Nachhalten der für die Abwicklung benötigten Dokumente. Die Kommunikation wird er- 50 08 // 2017

MANAGEMENT leichtert, da die jeweiligen Ansprechpartner mit ihren Kontaktdaten direkt erfasst werden können. Außerdem werden für jeden Vorgang die einzuhaltenden Termine automatisch sichtbar. Durch die Einbindung in die bankinternen Systeme ist die Ermittlung aller im Haus vorhandenen Aktiv-, Passiv- und Wertpapierprodukte gesichert. Sie können einfach in Listenform zur Verfügung gestellt werden, wenn es die Erben wünschen. Darüber hinaus stellt das System je nach dem Stand des Prozesses die zeitkritischen Aufgaben und anzufordernden Dokumente in den Arbeitskorb des Sachbearbeiters. Die ersten Aufgaben, die routinemäßig anfallen, erledigt es aber sogar eigenständig. Das betrifft beispielsweise das Einstellen von Sperrvermerken in die Kunden- und Kontostammdaten oder die Ermittlung und Zusam- menstellung der Kontosalden für die Meldung nach § 33 ErbStG. Diese Funktionen sind nur ein Teil derer, die durch eine Digitalisierung der Nachlassbearbeitung ermöglicht werden. Hilfe für die Hinterbliebenen Weitere Informationen ergänzen nach und nach die bereits in den Banksystemen vorhandenen, bis der Nachlassprozess komplett abgewickelt werden kann. Die Finanzinstitute sind aufgrund dieser wissensbasierten Speicherung der dispositiven Daten immer auf dem aktuellen Informationsstand und können so den Hinterbliebenen und Personen, die den Prozess abwickeln, jederzeit über den Status der Bearbeitung Auskunft erteilen. Eine umfangreiche Parametrisierung der Anwendung unterstützt die je nach Bank unterschiedlichen Bearbeitungsprozesse und führt zu deutlichen Effizienzgewinnen im Front- und Backoffice. Nach einem Todesfall den Nachlassvorgang mit einer Bank mit digitaler Bearbeitung abzuwickeln, hat auch für die Erben Vorteile. Sie wissen nach dem ersten Gespräch schnell, welche Dokumente noch fehlen und wo diese zu erhalten sind. Diese Informationen bieten den Hinterbliebenen nicht nur Hilfestellung bei der Prozessabwicklung mit der Bank, sondern auch für den Gang zu den Ämtern oder Versicherern. Die Erben können auch weitere Services nutzen: Es liegen zum Beispiel bereits Musterbriefe mit den Adress- und Zahlungsdaten der Lastschriftempfänger wie Zeitungsverlage, Stromund Gaslieferanten sowie Versicherungsgesellschaften parat, die die Kunden nur noch unterschreiben müssen. Checklisten und erklärende Dokumente für weitere mit dem Erbe verbundene Aktivitäten runden den digitalen Nachlassprozess ab. FAZIT Die Einführung einer digitalen, workflow-gestützten Nachlassbearbeitung eröffnet sowohl der Bank als auch den Hinterbliebenen enorme Chancen. Sie erleichtert einerseits dem Geldinstitut die Arbeit. Andererseits bietet sie die große Möglichkeit, dem (potenziellen) Kunden das Leben in einer schmerzlichen Lebenssituation durch eine exzellente Serviceleistung einfacher zu gestalten. Das führt wiederum dazu, dass die Bindung zwischen ihm und der Bank gestärkt wird. Autor: Peter Schnell ist Manager Consulting Banking bei der PPI AG. 08 // 2017 51

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