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die bank 07 // 2017

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

REGULIERUNG

REGULIERUNG RESTRUKTURIERUNG IN EIGENVERWALTUNG Fünf Jahre ESUG – eine Bilanz Im Jahr 2012 ist das neue Insolvenzrecht ESUG in Kraft getreten. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte damit in Deutschland eine bessere Insolvenzkultur entstehen. Fünf Jahre nach der Einführung ist die Gesetzesnovelle ein Erfolg. Unternehmen haben es leichter, unter Gläubigerschutz und in weitgehend eigener Regie eine Sanierung einzuleiten, wenn sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) kann anhand der erhobenen Daten ein erstes Fazit gezogen werden, inwieweit die Gesetzesnovelle ihre Ziele erfüllt hat. Mit der Neuregelung aus dem Jahr 2012 war das Ziel verbunden, eine frühzeitige Sanierung von Unternehmen zu ermöglichen und eine höhere Berechenbarkeit von Insolvenzverfahren zu erreichen. Mithilfe der Reform sollten Unsicherheiten hinsichtlich des Ablaufs und der Dauer eines Insolvenzverfahrens reduziert werden, um eine größere Planungssicherheit für die Schuldner zu gewährleisten. Auch der Einfluss der Gläubiger sollte gestärkt werden, beispielsweise durch mehr Entscheidungskompetenz in (vorläufigen) Gläubigerausschüssen und die freie Wahl des Insolvenzverwalters. Für die Reformer war außerdem wichtig, die Bedeutung der Eigenverwaltung durch ein erleichtertes Eröffnungsverfahren zu steigern. Schließlich sollte das ESUG das Planverfahren straffen, um den Insolvenzprozess kürzer und effizienter zu gestalten. Eine aktuelle Studie von The Boston Consulting Group (BCG) kommt zu dem Ergebnis, dass das ESUG die Ziele des Gesetzgebers im Kern erfüllt. Die mittlerweile fünfte Ausgabe der Untersuchung betrachtet alle seit 2012 eröffneten Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Mit einem Datenumfang von inzwischen 59 Monaten und mehr als 1.200 Verfahren in Eigenverwaltung lassen sich zuvor aufgestellte Hypothesen aus früheren Studien belastbar erhärten. Fünf zentrale Ergebnisse sind im Hinblick auf die Wirksamkeit des neuen Insolvenzrechts ableitbar: 1. Wesentliche Ziele der Einführung des ESUG wurden erreicht Dauer und Ablauf von Insolvenzverfahren sind planbarer geworden und zeigen über die letzten Jahre konsistente Entwicklungen: Verfahren können von Einleitung bis Aufhebung innerhalb von 9 bis 10 Monaten abgewickelt werden. Darüber hinaus ist die Stärkung der Eigenverwaltung und des Gläubigereinflusses gelungen; Gläubiger haben durch das ESUG überhaupt erst wieder in der Praxis an Relevanz gewonnen. Mit dem Schutzschirmverfahren wurde dem Schuldner ein neues und eigenständiges Sanierungsverfahren zur Verfügung gestellt, das ganz wesentlich zu einer neuen Insolvenz- und Sanierungskultur in Deutschland beigetragen hat. Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung sind zwar noch nicht die Regel, aber sie haben einen festen Platz in der insolvenzrechtlichen Sanierung von Unternehmen gewonnen. 2. Die Eigenverwaltung hat sich als Verfahrensalternative etabliert Auch wenn das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung noch nicht die Regel geworden ist und mit ca. 2,6 Prozent (derzeitiger Anteil an Unternehmensinsolvenzen seit 2012) weiterhin die Ausnahme bildet, sind die Eigenverwaltungsverfahren – auf stabilem Niveau – Teil der deutschen Insolvenzkultur geworden. Es sind insbesondere kleine Unternehmen im Sinn von § 267 HGB, die ein Verfahren unter Eigenverwaltung eröffnen, beziehungsweise beantragen (67 Prozent der Eigenverwaltungsverfahren werden von kleineren Unternehmen durchgeführt). Das liegt vermutlich auch daran, dass die Unternehmen, die im Rahmen von Insolvenzverfahren saniert werden, zunehmend kleiner werden. 3. Bei Insolvenzen größerer Unternehmen gewinnt die Eigenverwaltung an Bedeutung Auch unter den größten Unternehmensinsolvenzen hat sich die Eigenverwaltung als eine mögliche Alternative zum Regelverfahren etabliert: Der Anteil von Eigenverwaltungen an den 50 größten Unternehmensinsolvenzen ist von 20 bis 30 Prozent in den letzten Jahren auf 58 Prozent im Jahr 2016 gestiegen. Ihr Anteil ist damit verglichen mit den lediglich 2 bis 3 Prozent bezogen auf sämtliche Unternehmensinsolvenzen erheblich größer. Der starke Zuwachs bei den Top 50 ist aber vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass 2016 mehr kleinere Unternehmen unter den Top 50 zu finden sind als in den Jahren zuvor. 4. Eigenverwaltungsverfahren sind für die Gesellschafter nach wie vor sehr attraktiv In mehr als der Hälfte der Insolvenzfälle (58 Prozent) wird nicht in die Gesellschafterrechte eingegriffen. Falls ein Eingriff erfolgt, bleiben die Altgesellschafter durchschnittlich noch mit 10 Prozent beteiligt. Gegenüber dem Totalverlust im Regelverfahren ist dies aus Gesellschafterperspektive deutlich besser; im letzten Jahr waren die Eingriffe in die Gesellschafterrechte sogar rückläufig. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese für die Gesellschafter positive Entwicklung fortsetzt. Das unter dem ESUG neu eingeführte Instrument des „Debt-Equity-Swap“ kommt offenbar immer seltener zur Anwendung: Nur noch in jedem fünften Fall werden Schulden in Ei- 56 07 // 2017

REGULIERUNG 1 | Größenklassen der Unternehmen in Eigenverwaltung Größenverteilung der Unternehmen in Eigenverwaltung bis Januar 2017 (nach § 267 HGB) 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 26 % 16 % 13 % 11 % 9 % 28 % 26 % 26 % 24 % 22 % 33 % 42 % 57 % 61 % 67 % 19 % 1 Jahr ESUG bis Dez. 2012 14 % 2 Jahre ESUG bis Febr. 2014 4 % 3 Jahre ESUG bis Febr. 2015 2 % 4 Jahre ESUG bis Jan. 2016 0 % 5 Jahre ESUG bis Jan. 2017 Große Unternehmen Mittlere Unternehmen Kleine Unternehmen N. a. Quelle: Stduie „5 Jahre ESUG“. genkapital umgewandelt (im Vergleich zu 36 Prozent im Vorjahr). Auf der anderen Seite wird vermehrt parallel zum Insolvenzplan auch ein Verkaufsprozess durchgeführt: Mittlerweile laufen in fast zwei Drittel der Fälle Insolvenzplan und M&A- Prozess im Dual Track (63 Prozent im Vergleich zu 37 Prozent im Vorjahr). 5. Die von den Gläubigern erwarteten Sanierungsbeiträge steigen tendenziell Für die Gläubiger sind Eigenverwaltungsverfahren im letzten Jahr unattraktiver geworden: In über 75 Prozent der Fälle müssen die Gläubiger mit einem Haircut rechnen; und die Höhe der Sanierungsbeiträge nimmt zu – in mittlerweile 90 Prozent der Fälle (in den Vorjahren max. 67 Prozent) verzichteten die Gläubiger auf mehr als 50 Prozent ihrer Forderungen. Zudem wird in den Eigenverwaltungen zunehmend Fresh Money benötigt; in zwei Drittel der Fälle wird zusätzliches Kapital/Liquidität zugeführt – im Schnitt in der Höhe von 27 Prozent der Insolvenzforderungen. Deshalb scheint es fraglich, ob infolge des ESUG wirklich frühzeitiger gerichtlich saniert wird. Neue Insolvenz- und Sanierungskultur Die Einführung des ESUG ist ein Erfolg, wenn auch nicht alle Vorsätze des Gesetzgebers erfüllt wurden. Die zentralen Ziele der Neuregelung wurden jedoch erreicht: Es wurde eine neue Insolvenz- und Sanierungskultur geschaffen, die Eigenverwaltung wurde gestärkt, und die Insolvenzverfahren sind für die Gläubiger nun besser plan- und steuerbar. Offen bleibt hingegen die Frage, ob durch das ESUG tatsächlich gerichtliche Sanierungen früher eingeleitet werden. Aus den erhobenen Daten ergeben sich keine Hinweise auf eine schnellere Antragstellung; und die hohe Quote von Übergängen in das Regelverfahren sowie die eher mäßigen Ergebnisse für die Gläubiger sprechen dafür, dass die meisten Anträge nicht früher als vor Einführung des ESUG gestellt werden. FAZIT Die geringer werdenden Ergebnisse für die Gläubiger, die rückläufige Verwendung finanzwirtschaftlicher Sanierungshebel sowie der abnehmenden Anteil mittlerer und großer Unternehmen bei den Eigenverwaltungen lassen darauf schließen, dass der noch einzuführende präventive Sanierungsrahmen für vorinsolvenzliche Sanierungen seine Berechtigung haben wird. Dies gilt insbesondere da, wo mit Unterstützung weniger großer Gläubiger die Passivseite frühzeitig saniert werden soll, dies aber ohne gerichtliche Mitwirkung nicht möglich ist. Autor: Dr. Ralf Moldenhauer ist Senior Partner und Managing Director im Frankfurter Büro der Boston Consulting Group. Rüdiger Wolf ist Partner und Managing Director im Hamburger Büro der Boston Consulting Group. 07 // 2017 57

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