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die bank 07 // 2017

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

MARKT INTERVIEW Der

MARKT INTERVIEW Der italienische Bankensektor ist solide Interview mit Giovanni Sabatini, Generaldirektor des italienischen Bankenverbands Associazione Bancaria Italiana (ABI), über das Problem der notleidenden Kredite, die zentralen Herausforderungen für italienische Banken und die Notwendigkeit weiterer EU-Reformen. die bank: Herr Sabatini, das italienische Bankensystem leidet derzeit unter einer großen Last notleidender Kredite (Nonperforming Loans – NPL). Parallel will die Europäische Zentralbank (EZB) die Institute dazu anhalten, das NPL-Problem in seiner Gesamtheit anzugehen und das Kreditrisikomanagement zu verbessern. Was bedeutet dies für die italienischen Banken? Sabatini: Das Problem der notleidenden Kredite existiert und ist unumstritten, aber es ist nicht, wie einige sagen, ein unüberwindbarer Zustand. Es ist beherrschbar, und die italienischen Banken beherrschen es. Wir bemerken dennoch eine verbreitete falsche Wahrnehmung bezüglich des tatsächlichen Risikos: Fälschlicherweise wird oft ein NPL-Volumen von über 300 Mrd. ¤ angegeben, wobei hier der NPL-Wert abzüglich der Rückstellungen das wahre Risiko darstellt. Der Netto-Wert der notleidenden Kredite, 77 Mrd. ¤ im März 2017, bestätigt einen starken Rückgang im Vergleich zu den 87 Mrd. ¤, die noch im Dezember 2016 registriert wurden. Dieser positive Trend zeigt sich nicht nur im Abbau des Bestands, sondern auch in einer geringeren Registrierung neuer NPLs. die bank: Wo liegen aus Ihrer Sicht die Ursachen des Problems. Welche Entwicklungen wurden in Italien verpasst oder anders eingeschätzt? Sabatini: Der signifikante Anstieg von NPLs in den letzten Jahren ist in erster Linie das natürliche Erbe der Wirtschaftskrise, die sich im Übrigen ab 2009 in Italien mit besonderer Bissigkeit gezeigt hat: Rückgang des BIP um zehn Prozent, abrupter Rückgang der industriellen Produktion, abrupter Rückgang der Investitionen und abrupter Rückgang des Inlandsverbrauchs. Die Situation ist dann durch spezifische Strukturschwächen verschlimmert worden, wie der Ineffizienz der italienischen Ziviljustiz, auch wenn diese dank der Reformen der Regierung allmählich behoben werden. die bank: Weil Italien wiederholt seine Schuldenziele verfehlt hat, wurde das Länderrating (von Fitch Ratings) zuletzt herabgesetzt, was sich auch auf einzelne Bankenratings negativ ausgewirkt hat. Das schwache italienische Wirtschaftswachstum und die hohe Staatsverschuldung drücken auf die Risikoprofile der Unternehmen. Sind die italienischen Institute zu sehr mit der heimischen Wirtschaft verknüpft? Sabatini: Die italienischen Banken sind stolz, während der Wirtschaftskrise ihre Identität als Geschäftsbanken im Dienste der Realwirtschaft nicht verraten zu haben, indem sie eine Kreditquote beibehalten haben, die bei durchschnittlich zwei Drittel des Gesamtwerts liegt: Die Wirkung der verlängerten Rezession zu spüren war daher unvermeidbar für das Land mit der zweitgrößten verarbeitenden Industrie in Europa nach Deutschland. In diesem Sinn erscheint heute eine korrekte Risikobewertung ein ausschlaggebender Faktor zu sein, der imstande ist, die Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu beeinflussen: Die Nachfrage nach größeren Kapitalanforderungen für vergebene Kredite drohen Ungleichgewichte zu schaffen und dabei die Ertragsfähigkeit der Finanzinstitute, die die Wirtschaft finanzieren, weiter anzugreifen. die bank: Italien hat sich bereits 2016 nach langen Diskussionen mit der EU auf eine Lösung geeinigt, die den italienischen Geldhäusern helfen soll, notleidende Kredite abzuarbeiten. Damit wurde eine Konstruktion entwickelt, die auf eine Marktlösung ohne Staatshilfen setzt. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus? Sabatini: Die italienischen Banken stellen sich dem Problem mit unterschiedlichen Strategien: durch interne Abwicklung der notleidenden Kredite, durch Verkauf der NPL-Portfolios, durch Verbriefung der zweifelhaften Forderungen oder eine Mischung aus diesen drei Optionen. Die positiven Ergebnisse bestätigen, dass das Problem der NPLs lösbar ist, sofern es innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens angegangen wird. die bank: Die Institute des Landes leiden – wie andere europäische Geldhäuser auch – unter dem Niedrigzinsumfeld, der zunehmenden Regulierung und einer andauernd niedrigen Profitabilität. Zudem sind die Kapitalpuffer der italienischen Banken dünn. Sehen Sie die Notwendigkeit einer Konsolidierung, die auch die Abwicklung einzelner Institute einschließt? 12 07 // 2017

MARKT Sabatini: Der italienische Bankensektor ist insgesamt solide, er bemüht sich um die Wiederherstellung der Ertragsfähigkeit und die Konsolidierung des Systems für mehr Effizienz und Rationalisierungen. Das Niveau der Kapitalausstattung ist mehr als angemessen: Im Laufe der Wirtschaftskrise ist es den italienischen Banken – nicht ohne Mühe – gelungen, das CET1 auf insgesamt mehr als 11,5 Prozent zu steigern, weit mehr als die EZB vorgibt. die bank: Im Regelfall ist der „Bail out“ notleidender Banken, also ihre Rettung durch die Steuerzahler, ausgeschlossen. Fortan soll nur noch ein „Bail in“ möglich sein. Bieten die bestehenden Regelungen auf EU-Ebene und der Single Resolution Board (SRB) aus ihrer Sicht genügend Spielraum, um mit schwierigen Situationen umzugehen? Sabatini: Es wird sicherlich Spielraum geboten, angefangen bei der vorsorglichen Kapitalerhöhung, die unter bestimmten Bedingungen möglich ist. Grundsätzlich muss jedoch auf die Widersprüchlichkeiten und die übermäßige Präsenz von Ermessensgebieten beim Abwicklungsverfahren für Banken eingegangen werden. Dies betrifft den Tätigkeitsbereich verschiedener Behörden, der nicht durch klare Regeln und eindeutige Zuständigkeiten definiert ist. die bank: Selbst wenn die grundsätzlichen Prozesse funktionieren und ein Netzwerk an nationalen Abwicklungsbehörden im Ernstfall sicherlich hilfreich sein dürfte, so sind die europäischen Rechtsverhältnisse, insbesondere im Hinblick auf die nationalen Insolvenzordnungen, doch äußerst heterogen. Von einer europäischen Harmonisierung sind die Aufseher noch weit entfernt. Ein Problem? Sabatini: Zweifellos. Auf die Einrichtung der zentralen Aufsichtsbehörde ist nicht die Harmonisierung der Vorschriften für wichtige Bereiche wie Bankenund Finanzrecht, Unternehmens- und Insolvenz recht, Wirtschaftsstrafrecht und Buchführung gefolgt. Es werden identische Regeln benötigt, damit der integrierte Finanzbinnenmarkt reibungslos funktionieren kann und ausnahmslos die gleichen Voraussetzungen garantiert werden können. die bank: Wie hoch schätzen Sie die Risiken für die Kreditwirtschaft im Speziellen und Europa im Allgemeinen durch makroökonomische Unsicherheiten, geopolitische Spannungen und polarisierende politische Strömungen ein? Sabatini: Die Banken agieren im Dienste der Unternehmen und wachsen auf expandierenden Märkten. Europa muss den Giovanni Sabatini ist seit 2016 Chef der Europäischen Bankenvereinigung EBF und seit 2009 Generaldirektor des italienischen Bankenverbands ABI. Der 56-jährige Bankenexperte hat an der römischen LUISS-Universität Wirtschaftswissenschaften studiert und übernahm 2001 den CEO- Posten bei Monte Titoli SpA, einer Tochtergesellschaft der italienischen Börse. 2004 wurde er Direktoriumsmitglied der italienischen Börsenaufsicht Consob. Der frühere Consob-Präsident und spätere Finanzminister Tommaso Padoa-Schioppa holte Sabatini ins Finanzministerium, ehe dieser 2009 zum italienischen Bankenverband kam. Weg zurück zu Entwicklung und Wachstum finden, was nur mit der Umsetzung der unerlässlichen Strukturreformen geschehen kann, die imstande sind, bessere Konditionen für die Begleitung und Sicherung einer teilweise schon stattfindenden wirtschaftlichen Erholung zu schaffen. die bank: Herr Sabatini, vielen Dank für dieses Interview. Die Fragen stellte Stefan Hirschmann. 07 // 2017 13

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