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die bank 07 // 2016

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó FINANZMARKT

ó FINANZMARKT Möglichkeiten und Grenzen von Konjunkturprognosen KONJUNKTURANALYSEN Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung des Föderalismus in der EU und der zunehmenden Relevanz der Sub-Sovereign-Analyse, stellt sich die Frage, inwieweit mit dem verfügbaren Datenaufkommen und den branchenüblichen Research-Kapazitäten eine Konjunkturanalyse für einzelne Bundesländer überhaupt machbar ist. Anders als in der Konjunkturanalyse für Gesamtdeutschland stehen nämlich Bundesland-bezogene Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht in Quartalsform, sondern nur in jährlicher Frequenz zur Verfügung. Das macht es auch mit neueren ökonometrischen Verfahren schwierig, eine robuste Konjunkturanalyse über mehrere Bundesländer hinweg zu leisten. Vanja Milanovic | Guido Zimmermann Keywords: Makroökonomik, Datenvergleiche, Prognosemodelle Während Konjunkturprognosen für Gesamtdeutschland schon immer zum Brotund-Butter-Geschäft einer jeden Research-Abteilung im Bankenwesen gehörten, hat das Interesse an Prognosen für einzelne Bundesländer erst in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Ursächlich hierfür ist zum einen die zunehmende Relevanz des Föderalismus innerhalb der EU und zum anderen die höhere Bedeutung der Sub-Sovereign-Analyse nach Ausbruch der europäischen Schuldenkrise. Zudem zeigt auch die stärkere Fokussierung der Geschäftsmodelle der deutschen Banken auf das Unternehmenskundengeschäft hier ihre Spuren. Charakteristika und Probleme der Datenlage Unser Hauptanliegen ist in diesem Beitrag, ein grundsätzliches Bewusstsein für die Probleme in Bezug auf eine Konjunkturanalyse für die Bundesländer zu vermitteln und hier die Möglichkeiten und Grenzen in der Praxis aufzuzeigen. Die Grenzen liegen vor allem darin, dass die amtliche Datenbasis für Länderanalysen im Vergleich zur gesamtdeutschen Datenlage äußerst spärlich ist. Zwar wird als Erweiterung zu der seit 1991 erhobenen, bundesdeutschen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) seit Mitte der 1950er Jahre – unter Zusammenarbeit der Statistischen Landesämter im Rahmen des Arbeitskreises der VGR der Länder (AK VGRdL) – eine amtliche Statistik regionaler Konjunkturbetrachtung erhoben. Verfahren der gesamtdeutschen Konjunkturstatistik sind aber nur bedingt für die Anwendung auf Bundesländer übertragbar, weil letztere prinzipiell keine geschlossenen Wirtschaftsgebiete mit vollständig erfassbaren Kreisläufen darstellen. Hieraus resultiert u. a. das Fehlen einer Unterjährigkeit der Daten für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Bundesländer. Eine Dynamik der Konjunkturentwicklung mithilfe von Quartalsdaten ist folglich meist nicht darstellbar. Zwar muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass es durchaus Bundesländer gibt (z. B. Baden-Württemberg), für die BIP-Quartalsdaten verfügbar sind. Da dies aber für die meisten Bundesländer nicht gilt und man im Rahmen einer Sub-Sovereign- Analyse ja gerade feststellen will, wie die einzelnen Bundesländer sich konjunkturell im Vergleich zueinander entwickeln, ist dies ein massives Handicap für die Analyse. Das bedeutet aber auch, dass letztlich nur Jahresdaten der VGRdL betrachtet werden können, die zudem auch nur bis 1991 zurückreichen. Dies ist gerade bei der Betrachtung der ostdeutschen Bundesländer ein Problem, weil diese nach der Wiedervereinigung einem massiven Strukturbruch unterworfen waren, der die Konjunkturanalyse überlagert. Diese Strukturbrüche einzufangen, ist auch ökonometrisch sehr schwierig. Ökonometrisch impliziert die fehlende Unterjährigkeit der Daten, dass der zu erwartende ökonomische Informationsgehalt der Hinzunahme von sog. Lags in den Schätzgleichungen oder Stimmungs- und Frühindikatoren – wenn diese überhaupt zur Verfügung stehen – nur sehr gering sein dürfte. Auch dies ist ein erhebliches Manko. Die amtliche Datenlage ist also schwierig. Nichtdestotrotz werden in einigen Forschungsinstituten (ifo Dresden, IWH Halle, Statistisches Landesamt Baden- Württemberg) für einzelne Bundesländer (Sachsen-Anhalt, Sachsen, Baden-Württemberg) näherungsweise vierteljährliche BIP-Schätzungen erstellt. So wurden Konzepte eingeführt, die beispielweise 20 diebank 07.2016

FINANZMARKT ó mit Disaggregationsmethoden oder der Konstruktion komplexer Behelfsindikatoren die Unzulänglichkeiten der aktuellen Datenlage zu umgehen suchen, um die benötigten Vierteljahreszahlen näherungsweise zu berechnen. Wenn diese Quartalsdaten zur Verfügung stehen, dann kann – ohne Berücksichtigung weiterer länderspezifischer Konjunkturdaten – z. B. mithilfe vektorautoregressiver Modelle der enge Zusammenhang zwischen der gesamtdeutschen BIP-Entwicklung und dem BIP des jeweiligen Bundeslands ausgewertet werden. Auch liefern ökonometrische Software- Programme (z. B. EViews 9) inzwischen Lösungsmöglichkeiten für das Problem einer unzureichenden Datenfrequenz, beispielsweise im Rahmen von MIDAS- Modellen (Mixed-Data Sampling), die den Informationsverlust durch die üblichen Aggregationsmethoden minimieren. Auch gewinnen Ansätze der Paneldatenanalyse sowie der Echtzeitprognose (Now-Casting) langsam an Bedeutung. Die Vergleichbarkeit der Schätzergebnisse bleibt aber eingeschränkt, da die verwendeten statistischen Verfahren und die zugrunde liegenden Definitionen keinen einheitlichen Kriterien folgen und in den jeweiligen Instituten unabhängig voneinander, d. h. ohne Koordination der Berechnungsmethoden, angefertigt werden. Was heißt dies für die Praxis? Wenn es somit nur unter Schwierigkeiten möglich ist, robuste und aussagekräftige ökonometrische Konjunkturprognosemodelle für die Bundesländer zu erstellen, so bleibt in der Praxis der Weg verschlossen, sich auf konsistente ökonometrische Modellsignale bei der Konjunkturanalyse verlassen zu können. Vielmehr ist anzuraten, sich noch mehr als bei einer gesamtdeutschen Konjunkturanalyse zu engagieren und aus einer Vielzahl von Quellen zu einer Konjunktureinschätzung zu gelangen. Hier empfehlen wir in erster Linie die hervorragende Arbeit der Industrie- und Handelskammern, die nicht nur dreimal im Jahr eine Konjunkturumfrage für die einzelnen Bundesländer und sogar deren Regionen erstellen, sondern auch jede Menge anderer wertvoller Daten liefern. Gleiches gilt für die jeweiligen Wirtschaftsministerien der Länder. Die verfügbare Datenqualität ist im Vergleich der Bundesländer allerdings sehr heterogen. Prinzipiell gilt damit der alte statistische Grundsatz, dass der „Plural von Anekdote Daten“ ist. Diese oftmals verstreute anekdotische Evidenz zu sammeln und zu wägen, ist die Aufgabe des Analysten. Denn die länderspezifischen Strukturunterschiede sind doch größer als man oft denkt. Dies gilt vor allem für den Vergleich zwischen west- und ostdeutschen Bundesländern. Ein Beispiel für eine derartige Konjunkturanalyse stellt der für ausgewählte Bundesländer halbjährlich erscheinende LBBW Konjunkturmonitor dar, der nicht nur sämtliche verfügbaren Informationsquellen verarbeitet, sondern auch – sofern es möglich ist – ökonometrisch basierte Konjunkturprognosen anbietet. Fazit Eine Vielzahl der Einschränkungen und Probleme für eine robuste Konjunkturanalyse über mehrere Bundesländer hinweg ist einer äußerst schwierigen Datengrundlage geschuldet, deren eigenständige Anpassung die internen Kapazitäten einer typischen bankinternen Forschungsabteilung überschreiten würde und letztlich der themenspezifischen Expertise einschlägiger Forschungsinstitute bedarf. Zusammenfassend bleibt zu betonen, dass auf der Ebene der Bundesländer eine systematische einheitliche Methode für Konjunkturprognosen momentan kaum möglich ist, da die hierfür notwendige Datengrundlage nicht gewährleistet ist und für entsprechende ökonometrische Anpassungen noch keine allgemein anerkannten Methoden vorliegen. Ferner herrscht in akademischen Fachkreisen auch Einigkeit darüber, dass zukünftig fl Es ist nur unter Schwierigkeiten möglich, robuste und aussagekräftige ökonometrische Konjunkturprognosemodelle für die Bundesländer zu erstellen. noch intensivere Forschung bezüglich regionaler Konjunkturmodelle benötigt wird, um letztlich den Entscheidungsträgern auf jeder politischen und wirtschaftlichen Ebene diesbezüglich stärkere Informationssicherheit gewährleisten zu können. ó Autoren: Vanja Milanovic und Dr. Guido Zimmermann sind Mitarbeiter im Research der Landesbank Baden-Württemberg. Literaturempfehlungen Kholodilin, K.A., Siliverstovs, B. and S. Kooths (2007): „Dynamic Panel Data Approach to the Forecasting of the GDP of German Länder”, Discussion Paper 664, DIW Berlin. Wenzel, L. (2013): „Forecasting Regional Growth in Germany: A panel approach using Business Survey Data”, HWWI Research Paper 133, Hamburg Institute of International Economics. Lehmann, R. und K. Wohlrabe (2014): „Regional economic forecasting: state-of-the-art methodology and future challenges“, Economics and Business Letters 3(4). Lehmann, R., Henzel, S.R. und K. Wohlrabe (2015): „Die Machbarkeit von Kurzfristprognosen für den Freistaat Sachsen”, ifo Dresden berichtet 4/2015. 07.2016 diebank 21

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