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die bank 06 // 2017

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

MANAGEMENT Der Vergleich

MANAGEMENT Der Vergleich zu unserer Gegenwart drängt sich auf: Hier die Gewinner im Silicon Valley, dort das Mindestlohn-Prekariat, dazwischen die vielzitierte Mitte, die um ihren Abstieg bangt. Brynjolfsson und McAfee weisen eindrücklich darauf hin, dass es für die Kopf- und Wissensarbeiter im aktuellen System der digitalen Weltwirtschaft schnellstmöglich eine Erneuerung der alten Methodenkompetenz aus Lesen, Schreiben und Rechnen braucht. Roboter übernehmen bald alle rechnerischen, kombinatorischen und repetitiven Tätigkeiten der Menschen im System. Der Mensch wird verzichtbar und damit zum Verlierer. Dabei könnte er doch gewinnen: Beim Schachspiel Mensch gegen Roboter kann der Mensch als Sieger hervorgehen, wenn er selbst einen Roboter kooperativ nutzt und gleichzeitig eine zielführende Methode anwendet. Im Vergleich kann gezeigt werden, dass beim gleichen Roboter, zum Beispiel der Robo Advisor einer Bank, ein schwacher Mensch mit der besseren Methode einem stärkeren Menschen mit einer schwächeren Methode überlegen ist. Daraus folgt, dass die Aus- und Weiterbildung aller Bankmitarbeiter mit Kundenkontakt den Erwerb einer geeigneten Methodenkompetenz als Ziel haben muss. Wenn alle Bankmitarbeiter die gleiche Ausbildung, Weiterbildung oder Zertifizierung durchlaufen und denselben Robo Advisor nutzen, wird die Methodenkompetenz zum Differenzierungsmerkmal der Bank. Fünf Aspekte der Methodenkompetenz des Bankiers 5.0 Erstens: Die Kompetenz, Muster zu erkennen. Ziel dabei ist es, monetäre, physiologische, psychologische, ökonomische, juristische oder soziale Muster zu erkennen, Auswirkungen zu antizipieren und daraus Fragen oder Angebote abzuleiten, proaktiv und perspektivisch. Roboter sind innerhalb ihrer Programmierung sehr stark und schnell in der Erkennung von Mustern, doch außerhalb dieser Grenzen scheitern sie. Ein Roboter kann mir ein Buch aufgrund meiner Literaturauswahl der letzten Jahre vorschlagen. Er kann aber nicht wissen, dass ich mich neuerdings für Städtebau und Architektur interessiere und dazu Literatur, Filme oder Reiseziele suche. Ein Roboter kann nur wissen, was ich vermutlich haben möchte. Er kann nicht wissen, was ich eventuell haben wollte, wüsste ich denn, dass es das gäbe. Der Bankier 5.0, der mich als Bankkunden gut kennt, erfährt Dinge, die noch in keiner Cloud gespeichert sind und verknüpft diese mit Bankdaten, seinem Allgemein- und Erfahrungswissen sowie dem Expertenwissen seiner Kollegen und Netzwerkpartner. Zweitens: Die Kompetenz, neue Lösungsansätze zu kreieren. Ziel dabei ist es, neue, ungewohnte, freche, kreative oder sogar unbequeme Lösungsansätze zu entwickeln. Aufbauend auf die oben erkannten Muster und Zusammenhänge entstehen neue Blickwinkel, Assoziationen und neue Gedanken. Mit der Frage „Wie können wir erreichen, dass…?“ wird der Status quo einer Bank- Kunde-Beziehung verändert und die Zukunft des Kunden gestaltet. Wenn es für die Masse der Kunden richtig sein mag, eine Immobilienfinanzierung schnell zu tilgen, kann es im Einzelfall sinnvoll sein, die Tilgung auszusetzen und das dafür gedachte Geld alternativ anzulegen. Aus Anlagevorschlägen werden Gestaltungsoptionen, aus Produkten Wahlmöglichkeiten, aus Dienstleistungen eine Erweiterung des Horizonts – erst als Gedankenspiel im Dialog, dann als ertragreiche Umsetzung über die Produkte und Dienstleistungen einer Bank. Immer mit der Freiheit des Kunden, sich heute dagegen, aber in einem Jahr doch dafür zu entscheiden. Und immer mit der Gewissheit für den Berater, dass es nicht um richtig oder falsch, sondern um sorgfältig und verantwortungsbewusst geht. Drittens: Die Kompetenz, komplex zu kommunizieren. Ziel dabei ist es, alle relevanten Themen angemessen anzusprechen. Gerade auch die heiklen, schwierigen oder komplexen Themen. Themen anzusprechen bedeutet konkret, Komplexität zu reduzieren, ohne dass es falsch wird, mutig zu provozieren, um Denkhaltungen aufzubrechen und humorvoll zu reagieren, um die Spannung in einer Gesprächssituation herauszunehmen. Die Sprache, ja die Wortwahl selbst rückt in den Fokus: Werden die eigenen Bedürfnisse mittels Statussprache formuliert? Wird mithilfe der Signalwörter neben dem Denken auch das Fühlen des Kunden angesprochen? Erschweren „Killerphrasen“ das Verständnis zwischen Berater und Kunden? Passende Analogien und Geschichten transportieren Inhalte schneller und stärken das Gedächtnis der Gesprächspartner. Visualisierungen auf Papier oder iPad beschleunigen das Verstehen. Viertens: Die Kompetenz, physisch in Kontakt zu kommen. Ziel dabei ist es, mittels aller Sinnesorgane angemessen mit Menschen in Kontakt zu kommen, körperliche Nähe zu suchen, den symbolischen Schulterschluss herzustellen. Dazu braucht es ein gutes Gefühl für Distanz sowie die Grundregeln des Embodiment. 1 Ohne Rhetorik abwerten zu wollen: Die Kommunikation über alle Sinnesorgane wird sträflich unterschätzt und in Banken zu wenig genutzt. Der Einfluss dessen, was man sieht, spürt, riecht oder hört wirkt sich entscheidend auf die Ergebnisse zwischenmenschlicher Kommunikation aus. Kommunikation ist die Resonanz zwischen Menschen, und sie braucht einen schlüssigen Resonanzkörper. Wie also ist der Ort der Begegnung gestaltet? Wie sitzen die Beteiligten? Wie ist der Berater angezogen, und wie riecht er? Werden abstrakte, virtuelle Aspekte mithilfe eines Objekts berühr- und einsehbar? Ein Holzmodell oder ein Schweizer Taschenmesser transportieren die Wahlmöglichkeiten individuel- 40 06 // 2017

ler Finanzierungsvarianten im Wortsinn „begreifbar“. Das schwerere Papier für den Anlagevorschlag gibt den Inhalten Gewicht. Digitale, intellektuelle Inhalte, errechnet vom Algorithmus, geliefert vom Roboter werden von Menschen auch mittels Objekten sinnlich erfahrbar transportiert. Und fünftens: Die Kompetenz, Gastgeber zu sein. Ziel dabei ist es, Freude und Wertschätzung auszustrahlen, Gastfreundschaft und Service-Bereitschaft glaubwürdig zu leben. Für den Kunden spürbar machen, dass in einer Bank nicht einfach Tätigkeiten ausgeübt, sondern Beziehungen eingegangen werden. Diese Kompetenz beinhaltet auch den Umgang mit den eigenen Gefühlen dem Kunden gegenüber; es schließt die eigenen Vorurteile, die womöglich erlittenen Kränkungen sowie das eigene Bedürfnis nach Wertschätzung durch den Kunden mit ein. Wie hoch ist die tatsächliche Bereitschaft, einen Gast freudig zu begrüßen? Ist die Bereitschaft hoch, stellen sich Fragen wie: Wer kommt zum Termin? Was weiß ich vom Kunden, woran erinnere ich mich? Sportwagen oder Carsharing? Welches Small-Talk-Thema ist erfrischend statt stereotyp und langweilig? Spielzeug und Decke für das Kleinkind? Klassische Musik im Hintergrund oder absolute Ruhe für den Träger eines Hörgeräts? Engagiere ich mich als Mensch, bringe ich mich als Person ein. Die Haltung eines Gastgebers wird über dessen Ausstrahlung und sein Verhalten zur ästhetischen Erfahrung für den Kunden. Im besten Fall trifft sie seinen Geschmack. Umfassende Ästhetik ist ein probates Mittel zur Kundenbindung, für maximale Preiselastizität sowie ausreichende Frustrationstoleranz des Kunden. FAZIT Aufbauend auf und verbunden mit den vorhandenen Ausbildungskonzepten gilt es nun, der digitalen Herausforderung mit einer überzeugenden Antwort zu begegnen. Der Bankier 5.0 und seine Methodenkompetenz sind das Modell für jede Bank und jedes Beratungskonzept. Konsistent im Ansatz und gleichzeitig offen für die passende Interpretation der einzelnen Bank oder des Geschäftsbereichs. Jede der fünf Methoden muss und kann evolutionär weiterentwickelt und den Marktveränderungen angepasst werden. Verändern sich die Möglichkeiten der Roboter, entfalten sich neue Facetten der Methodenkompetenz. Der Bankier 5.0 wird sein Potenzial jedoch nur dort entwickeln, wo Unternehmenskultur, Vertriebssteuerung und Personalentwicklung ein schlüssiges Ganzes ergeben. Der Bankier 5.0 ist nicht allein ein Trainingsergebnis, sondern das Resultat einer lebendigen Kultur, getragen von mutigen Führungskräften. Ist diese Kultur vital, kann die Anfangsthese dieses Artikels neu formuliert werden: Wenn Roboter zum Problem werden, wird der Bankier 5.0 zur Lösung. Autor: Kai Pfersich ist selbstständiger Vertriebsentwickler, Hochschuldozent und Buchautor. Sein neues Buch „Bankier 5.0 – Die Antwort auf den Roboter“ erscheint im Herbst im Bank-Verlag. 1 In der Kognitionswissenschaft die These, dass das Bewusstsein eine physische Interaktion benötigt, also einen Körper braucht. 06 // 2017 41

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