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die bank 06 // 2015

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó BERUF & KARRIERE

ó BERUF & KARRIERE Schock der plötzlichen Freizeit INTERVIEW Manche Arbeitsverhältnisse im mittleren/oberen Management enden abrupt. Und dieses Ende kommt für die betroffenen Führungskräfte wie der Blitz aus heiterem Himmel, unerwartet, unvorbereitet. Die wirtschaftliche Planungssicherheit und die Sorge um Familie werden dadurch genauso bedroht wie das Selbstwertgefühl und Selbstverständnis, die beide in hohem Maße auch von der beruflichen Tätigkeit mitbestimmt werden. Was motiviert Unternehmen zu diesem Schritt? Und was ist dem betroffenen Arbeitnehmer zu raten? Antworten auf diese Fragen gibt Erik Reichelt, Experte für Karriere und Strategie. diebank: Herr Reichelt, die Beratung in der beruflichen Neuorientierung nach Kündigung sind seit vielen Jahren eines Ihrer Arbeitsgebiete. Was zwingt Unternehmen manchmal zu Kündigungen, die die Betroffenen in keiner Weise erwartet haben? Reichelt: In der Regel sind es organisatorische und wirtschaftliche Optimierungsmaßnahmen. Wenn von Unternehmen die sogenannte „Freisetzungsliste“ geplant wird, liegt der Fokus primär auf den Mitarbeitern, die scheinbar nicht mehr die geänderten Qualifikationsanforderungen erfüllen beziehungsweise deren Aufgaben ausgelagert oder durch noch stärkere Arbeitsverdichtung auf andere Mitarbeiter übertragen werden. Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, konzentriert man sich besonders auf jene Angestellte, mit denen auch in persönlicher Hinsicht keine harmonische Zusammenarbeit besteht oder die aus Gründen häufiger Arbeitsausfälle durch Krankheit nicht mehr den Kennzahlen der sogenannten Produktivität entsprechen. diebank: Nachgefragt: Wenig im Leben ist tatsächlich alternativlos. Weshalb ist die Schocktrennung in den von Ihnen beschriebenen Fällen dennoch der Weisheit letzter Schluss? Reichelt: Erfahrungsgemäß ist in den beschriebenen Fällen ein schneller klarer Schnitt für alle Beteiligten der im Rückblick beste Schritt. Das zeigt sich immer, nachdem der entlassene Mitarbeiter in eine neue Realität hineingewachsen ist. Denn glücklicherweise stelle ich immer wieder fest, dass die meisten so entlassenen Mitarbeiter nach dem ersten Schock eine hohe Dynamik und Anpassungsfähigkeit an den Tag legen, um neue Perspektiven zu entwickeln. Letzteres ist ja gerade auch der Sinn der Outplacement-Beratung. Das, was nach dem ersten Schock nicht vorstellbar ist, tritt dennoch ein, nämlich dass sich die Gekündigten spätestens nach einem Jahr wieder in einem Arbeitsverhältnis befinden, manchmal sogar unter besseren Bedingungen als vorher. Im Nachhinein stellen dann viele fest, dass – wenn auch unfreiwillig ausgelöst – die berufliche Neuorientierung längst überfällig war, oft auch im Hinblick auf geänderte persönliche Lebensumstände. diebank: Hinter den von Ihnen beschriebenen Fällen steht eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Worauf basiert die? Reichelt: Nach wie vor sehr simpel: wenn Erträge nicht gesteigert werden können, wird eben an der Personalkostenschraube gedreht. Durch die Reduzierung von Head Counts werden Bilanzen rasch aufgehübscht, was die damit verbundenen Personalfreisetzungen vordergründig legitimiert. Die Hintergründe einer arbeitgeberseitigen Kündigung sind jedoch keineswegs immer so motiviert. Hier spielt die Qualität der Zusammenarbeit oft die Hauptrolle, weil sie in persönlicher oder fachlicher Hinsicht nicht mehr positiv gewertet wird. Die Erwartungen der einen Seite und die Entwicklungen der anderen, wir kennen das auch aus dem Privaten, driften eben auch mal auseinander. Dennoch werden in diesen Fällen betriebliche Gründe vorgeschoben, da die rechtlichen Voraussetzungen für eine verhaltens- oder personenbezogene Kündigung fehlen. Üblicherweise werden diese Trennungen mit einer individuellen Aufhebungsvereinbarung durchgeführt. diebank: Müssen sich Führungskräfte also der Tatsache bewusst sein und sich darauf einstellen, dass sie von jetzt auf gleich arbeitslos werden können? Reichelt: Ja, leider. Die Zeiten der langfristigen Arbeitsplatzsicherheit sind längst vorbei. Selbst die nachrückende Generation hat nicht mehr die Vorstellung, ihren beruflichen Weg in nur einem Unternehmen zu machen. In den vergangenen 30 Jahren wurden enorm viele Arbeitsplätze in den unteren und mittleren Hierarchieebenen abgebaut. Seit ungefähr 15 Jahren trifft das auch massiv die Management-Positionen. Die schnelle Ablösung von Fußballtrainern ist ein Spiegelbild dessen, was auch in Industrie und Wirtschaft läuft, wenn sich zeitnah nicht die gewünschten Resultate einstellen. Führungspositionen liegen in einer höheren Gehaltsstruktur und deshalb werden sie noch kritischer auf Effizienz geprüft. In diesen Etagen weht der Wind rauer, auch in den persönlichen Beziehungen. Ein neuer Vorstand oder Geschäftsführer nimmt erfahrungsgemäß schnell diese Riege ins Visier. 66 diebank 6.2015

diebank: Übrigens, auch Vorstände und Geschäftsführer sind von Nacht- und Nebelaktionen einer Entlassung betroffen. Wie sollten sich das Management oder Mitarbeiter in gehobenen Positionen auf diesen Eventualfall einstellen? Reichelt: Indem sie den Schwanengesang frühzeitig erkennen. Indikatoren sind die Unternehmenszahlen, einschließlich der Profitabilität des eigenen Bereichs, und die allgemeine betriebliche Tendenz, Personalkosten zu senken. Auch zunehmend kritische Auseinandersetzungen mit den Vorgesetzten sind ein wesentliches Alarmsignal. Ich empfehle: Sobald jemand ein untrügliches Gefühl hat, dass sein Arbeitsplatz gefährdet ist, sollten die Fühler auf dem Arbeitsmarkt ausgestreckt werden. Allein die Auseinandersetzung damit, für einen Wechsel bereit zu sein und seine beruflichen Möglichkeiten zu erkennen, sind die ersten Schritte, sich nicht alternativlos dem Unternehmen ausgeliefert zu sehen. Eine Rechtsschutzversicherung ist ebenfalls ein beruhigendes Gefühl, um frühzeitig anwaltliche Unterstützung mit ins Boot zu holen. Es wirkt sich ungünstig aus, wenn jemand auf anwaltliche Rückendeckung verzichtet, nur weil die Kosten gescheut werden. diebank: Soweit die Theorie. Trotz erhöhtem Hintergrundwissen hoffen aber auch Manager, der Kelch möge an ihnen vorbeigehen. Wie sieht die Sache also in der Praxis aus? Reichelt: Richtig, häufig spielt auch mit, im Fall der Fälle wenigstens eine Abfindung mitzunehmen. Spricht eine Führungskraft die als wacklig empfundene Situation proaktiv an, erhält sie in der Regel kein ehrliches Feedback, noch wird sie ja gebraucht. Das sich abzeichnende Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, ist sicherlich auch Ausdruck dessen, ob ein Mensch generell dazu neigt, sein Leben offensiv zu gestalten oder wie das Kaninchen vor der Schlange zu verharren. Erik Reichelt, Berater für Karriere und Strategie, sagt: „Jeder findet nach einer Kündigung wieder seinen Platz im (Berufs-)Leben.“ Mit Personalfragen kennt sich der selbstständige HR-Experte aus. Bis 2007 war er bei der Royal Bank of Scotland (RBS) als Director Human Resources Operations für das europaweite Personalwesen zuständig. Davor war er Bereichsleiter Personal bei der Santander Direktbank AG sowie Personalchef und Betriebsratsvorsitzender der GZS – Gesellschaft für Zahlungssysteme mbH. diebank: Gibt es Erfahrungswerte darüber, wie lange es nach einer abrupten Kündigung dauert, bis es zu einem neuen Arbeitsverhältnis kommt? Reichelt: Der durchschnittliche Erfahrungswert liegt zwischen sechs und neun Monaten mit ca. 80 Bewerbungen. Der eine ist nach der dritten Bewerbung bereits nach vier Wochen fündig, der andere ist nach sechs Monaten und 100 Bewerbungen immer noch auf der Suche. Entscheidend sind die arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen, Mobilität und gegebenenfalls auch die jobinhaltliche oder finanzielle Kompromissfähigkeit. diebank: Wovon hängt es ab, ob diese Zeit kurz, lang oder sehr lang wird? Reichelt: Brenzlig wird es, wenn jemand auf die 60 zugeht, davon ausgenommen sind Kandidaten, die sich im Umfeld Top-Management bewegen. Kandidaten, auch jenseits der 45+, mit weitgehend guten Qualifikationen haben grundsätzlich gute Chancen für ein baldiges neues Arbeitsverhältnis. Speziell bei der Gehaltsfrage ist jedoch manchmal ein schmerzlicher Prozess zu erkennen, dass das Austrittsgehalt nach 20 Jahren nicht mit dem Einstiegsgehalt bei einem neuen Unternehmen übereinstimmt, vor allem dann, wenn man sich weiterhin in gleicher Hierarchiestufe und Schwierigkeitsgrad bewegt. Aus meiner Praxis kenne ich durchaus Fälle, in denen Mitarbeiter mit fi INTERVIEW 58+ aus der Arbeitslosigkeit nahtlos in einen vorgezogenen Ruhestand übergingen. diebank: Was sollten die Betroffenen auf gar keinen Fall tun? Reichelt: Wenn arbeitgeberseitig die Kündigung oder das Angebot eines Aufhebungsvertrags herangetragen wird, dann sollten keinesfalls vorschnell irgendwelche verbindlichen Aussagen getroffen, geschweige denn irgendetwas unterschrieben werden. Emotionale Reaktionen sind verständlich und einkalkuliert. Dennoch sollten extreme Reaktionen, zum Beispiel mit Drohungen oder Beleidigungen verbunden, vermieden werden, um nicht noch zusätzliche Begründungen für die vorgesehene Kündigung zu liefern. Bevor sich jemand mit dem Arbeitgeber weiterführend austauscht, sollte man sich unbedingt mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten. Ausreichend ist zunächst eine kommentarlose Kenntnisnahme der geplanten Maßnahme mit Selbstprotokollierung. Ob jemand mit Klage vor dem Arbeitsgericht um seinen Arbeitsplatz kämpft oder dazu tendiert, das Unternehmen zu verlassen – in jedem Fall sollte ein Anwalt die weitere Kommunikation mit dem Arbeitgeber unterstützen oder sogar ganz übernehmen. diebank: Herr Reichelt, vielen Dank für dieses Interview. 6.2015 diebank 67

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