DIGITALISIERUNG ALARMIERENDER SPITZENPLATZ Führungskräfte in Finanzunternehmen sprechen kaum über Fehler Der große Wert einer konstruktiven Fehlerkultur ist auch in den Unternehmen im Finanzsektor unbestritten. Dennoch tun sich die Führungskräfte hier besonders schwer, ihre eigenen Irrtümer, Fehlschläge oder Unsicherheiten zu thematisieren. Dabei ist es besonders gefährlich, wenn gerade leitende Angestellte ihre Fehler unter den Teppich kehren. Der Grund: Die Führungskräfte spielen bei der Etablierung einer positiven Fehlerkultur eine Schlüsselrolle, so eine neue Studie. 52 05 | 2023
DIGITALISIERUNG Bei der Betrachtung der Fehlerkultur in den Unternehmen belegt die Finanzbranche laut einer aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung EY zumindest in einem Punkt einen alarmierenden Spitzenplatz. So haben in den befragten Finanzunternehmen 82 Prozent aller Führungskräfte – über die vergangenen beiden Jahre betrachtet – eigene Fehler nicht oder nur teilweise thematisiert. ÿ 1 Dabei erklären 62 Prozent, dass sie überhaupt nicht über eigene Fehlschläge, Irrtümer oder Unsicherheiten gesprochen haben. 20 Prozent geben an, Fehler lediglich teilweise zugegeben zu haben. Im Durchschnitt über alle untersuchten Branchen hinweg haben sich 64 Prozent aller befragten Führungskräfte dazu bekannt, ihre Fehler vollständig oder teilweise unter den Teppich gekehrt zu haben. Vergleichsweise wenige tun dies mit 36 Prozent in der Automobilindustrie. Befragt wurden für die Studie in Kooperation mit der ESCP Business School und der Hochschule Hamm-Lippstadt 200 Führungskräfte und 800 Angestellte deutscher Unternehmen aus den Branchen Banken und Versicherungen, Maschinenbau, Transport und Logistik sowie Automobilhersteller und -zulieferer. Zentrale Fragen waren, inwieweit Führungskräfte beim proaktiven Umgang mit Fehlern ihre Vorbildfunktion wahrnehmen und welche weiteren Maßnahmen eine positive Fehlerkultur in den Betrieben fördern. Eine positive Fehlerkultur bedeutet, dass Fehler proaktiv und konstruktiv gemanagt werden, anstatt sie zu verschweigen oder zu sanktionieren. Dies hat einen starken Einfluss auf die Profitabilität des Unternehmens, seine Innovationskraft und die Qualität der einzelnen Produkte und Services. Diese Zusammenhänge erkennen auch die in der Studie befragten Führungskräfte und Angestellten aus dem Finanzsektor. Bewertet auf einer Skala von 1 bis 10 zeigen sich zum Beispiel hohe Mittelwerte zwischen 8,4 und 9,2 für die Aussage, dass die Fehlerkultur für die Innovationskraft der Unternehmen wichtig sei. Dabei zeigt sich, dass Führungskräfte die Fehlerkultur im Mittel für noch wichtiger halten als die Mitarbeitenden. Auch die Gefahren einer mangelnden Fehlerkultur sind ihnen bewusst: 48 Prozent der Führungskräfte befürchten, dass sich Fehler in diesem Fall zu Skandalen ausweiten, 46 Prozent sorgen sich um die Innovationsund Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Zudem geben die Befragten an, dass eine konstruktive Fehlerkultur wichtig für die Attraktivität eines Arbeitgebers ist. Besonders wichtig: das Zugeben eigener Fehler Dass gerade leitende Angestellte ihre Fehler häufig unter den Teppich kehren, ist insofern besonders gefährlich, als Führungskräfte bei der Etablierung einer positiven Fehlerkultur eine Schlüsselrolle spielen, wie auch die befragten Angestellten aus dem Finanzsektor erklären: Auf einer Skala von 1 bis 10 vergeben sie hohe Werte von 8,1 bis 9,3 für die Relevanz eines proaktiven und konstruktiven Umgangs mit Fehlern durch Vorgesetzte. Besonders relevant aus Sicht der Angestellten sind das Zugeben eigener Fehler (69 Prozent) sowie das Fördern eines regelmäßigen Austauschs über Pannen und das direkte Beheben von Fehlern mit jeweils rund 50 Prozent. Insgesamt klärt über alle untersuchten Branchen das für die Studie gewählte Konzept der Demut der Führungskräfte 47 Prozent der Fehlerkultur im Unternehmen auf. Demut bei Führungskräften zeigt sich in der Bereitschaft, sich selbst richtig einschätzen zu wollen, wertschätzend gegenüber anderen zu sein und in der Offenheit, von anderen lernen zu wollen. So verstanden wird Demut damit zu einer wichtigen Führungskompetenz. Als Hauptgründe, aus denen Führungskräfte im Finanzsektor ihre eigenen Fehler dennoch nicht thematisieren, nennen sie selbst mit 75 Prozent die Sorge vor Karrierenachteilen (im Vergleich zu 63 Prozent über alle Branchen hinweg). Mit der Angst vor Jobverlust 05 | 2023 53
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