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die bank 05 // 2023

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

MARKT 1 | Bilanzstruktur

MARKT 1 | Bilanzstruktur der Silicon Valley Bank Duration Aktiva SVB (GAAP) 31.12.2022 Passiva Aktiva SVB Marktwert 31.12.2022 Passiva Eigenkapital 12 Mrd. US-$ 2 Jahre 74 Mrd. US-$ Kundenkredite Kundenkredite Ø 4,2 Jahre 3,6 Jahre 26 Mrd. US-$ Available for Sale Kundeneinlagen 195 Mrd. US-$ Available for Sale Kundeneinlagen 6,2 Jahre 91 Mrd. US-$ Held to Maturity Vormals Held to Maturity < 1 Jahr Fed Funds Andere Aktiva Andere Passiva 14 Mrd. US-$ Fed Funds 7 Mrd. US-$ Andere Aktiva Andere Passiva 5 Mrd. US-$ Quelle: Silicon Valley Bank, Geschäftsbericht 2022; gerundete und aggregierte Werte. Schwankungen im Aktienmarkt übertragen sich auf die Bewertung einzelner Aktieninvestitionen über das sog. Beta. Das Beta einer Aktie ist ein Sensitivitätsmaß, das die Empfindlichkeit des Aktienkurses auf eine Veränderung des diversifizierten Gesamtmarkts misst. Die meisten im DAX abgebildeten Unternehmen haben ein Beta zwischen 0,5 und 1,5. Dies impliziert, dass bei einem 10-prozentigen Rückgang des Aktienmarkts einzelne Aktien um durchschnittlich 5 bis 15 Prozent fallen. Ein entsprechendes Sensitivitätsmaß für Anleihen ist die Duration. Eine Duration von zwei Jahren impliziert zum Beispiel, dass bei einem Anstieg des Zinsniveaus um einen Prozentpunkt der Wert einer Anleihe um rund 2 Prozent fällt. Das Jahr 2022 war geprägt durch untypisch starke Zinserhöhungen der US-amerikanischen Zentralbank von 4 Prozent (und 2,5 Prozent der Europäischen Zentralbank), sodass um den Duration-Faktor verstärkte Preisabschläge bei Anleihen zu verzeichnen waren. Dies hatte zur Folge, dass 2022 ein Portfolio aus ausfallrisikofreien, langfristigen Staatsanleihen mehr Geld verlor als der diversifizierte Aktienleitindex S&P 500. Wie groß die Verluste der Aktiva der SVB (bei Bewertung zu Marktpreisen) im Jahr 2022 waren, lässt sich aus deren Bilanz in Verbindung mit Duration-Annahmen ablesen (ÿ 1). Die Duration der Aktiva kann auf etwa 4,2 Jahre geschätzt werden, sodass ein Anstieg des gesamten Zinsniveaus um 2,5 bis 3 Prozent zu einem Bewertungsverlust von 10,5 bis 12,6 Prozent der Bilanzsumme geführt haben sollte, also rund 23 bis 28 Mrd. US-Dollar. Hinsichtlich des andauernden Kampfs der Zentralbanken gegen die Inflation kann ein weiterer Anstieg der Zinsen nicht ausgeschlossen werden, der sich über die Duration multiplikativ auf die Anleihepreise übertragen würde. Damit ist die Duration in der aktuellen Position im Zinszyklus von besonderer Bedeutung. Langfristige Staatsanleihen und forderungsbesicherte Wertpapiere (sog. Asset Backed Securities) sind keineswegs Anker der Stabilität, sondern stellen ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar. Lessons Learned III: Diversifikation in den Kundenbeziehungen Die Berücksichtigung von verhaltensökonomischen Aspekten gehört im modernen Asset Liability Management schon seit vielen Jahren zum Pflichtprogramm. Primär geht es im ALM bei Banken um die Abschätzung, wie lange Kundeneinlagen zur Finanzierung des Aktivgeschäfts zur Verfügung stehen. Die vertraglich vereinbarten Laufzeitbindungen (bei Sichteinlagen nur ein Tag) sind hier kein verlässliches Maß. Neben marktpreisbasierten Faktoren (Zinsniveau, Steigung der Zinsstrukturkurve usw.) sind auch kundenspezifische Aspekte (Scheidung, Nutzung von Apps auf Smartphones usw.) relevant. Eine blinde Mathematisierung birgt jedoch die Gefahr der Scheingenauigkeit. Oft ist es wichtiger, das Kundenverhalten auf einem intuitiven Level zu verstehen. Die Silicon Valley Bank ist auch hierfür ein gutes Beispiel. Wegen ihrer Spezialisierung auf die Hightech-Industrie kamen rund 45 Prozent der Kundeneinlagen der SVB von Early-Stage- und Later-Stage-Tech-Investoren (primär Start-ups and Venture Capital). Während der Niedrigzins- und Corona-Zeit reduzierten sich die Investitionsmöglichkeiten, sodass Geld temporär bei der SVB geparkt wurde. Als die Zinsen wieder anstiegen und sich das Investitionsklima verbesserte, kam es zu Abzügen vieler Kundeneinlagen. Damit entsprach die tatsächliche, durchschnittliche 10 05 | 2023

MARKT Laufzeit der Kundeneinlage bei weitem nicht der mit 4,2 Jahren geschätzten durchschnittlichen Laufzeit (Duration) der Mittelverwendung. In welchem Ausmaß der Abfluss von Kundeneinlagen bei der SVB vonstatten ging, illustriert der Umstand, dass im ersten Quartal 2023 Kundeneinlagen in Höhe von 42 Mrd. US-Dollar Kundeneinlagen abgezogen wurden oder werden sollten, was quasi einem Bank Run gleichkommt. Als problematisch stellte sich dabei heraus, dass die Hightech-Industrie eine sehr vernetzte Gemeinschaft ist, in der sich Marktteilnehmer intensiv untereinander austauschen und es somit auch zu herdenartigem, gleichförmigem Verhalten kommen kann. Hier zeigt sich, dass neben einer guten Kenntnis über das Verhalten der eigenen (Einlagen-)Kunden auch eine hinreichende Diversifikation in den Kundenbeziehungen von Nutzen ist. Lessons Learned IV: ALM ist Teamarbeit Michael Barr, stellvertretender Vorsitzender für die Bankenaufsicht der US-amerikanischen Notenbank, fasste die Ereignisse um den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank am 29. März in den Anhörungen des Ausschusses für Finanzdienstleistungen des US- Repräsentantenhauses wie folgt zusammen: „Ich denke, dass jedes Mal, wenn Sie eine solche Bank-Panne haben, das Bankmanagement eindeutig versagt hat, die Aufsichtsbehörden versagt haben und unser Regulierungssystem versagt hat.“ Das Spannungsfeld zwischen Gesetzgebung, Aufsicht und unternehmerischem Bilanzstrukturmanagement macht es beim Asset Liability Management notwendig, dass alle beteiligten Akteure ein gemeinschaftliches Verständnis über die potenziellen Risiken entwickeln. Funktioniert dieses Zusammenspiel nicht, gibt es keine Gewinner, wie das SVB- Debakel gezeigt hat. In Zeiten des Wandels im Zinsumfeld, in der bankrelevanten Technologie und im Kundenverhalten erfordert Risikomanagement eine kontinuierliche Weiterentwicklung und eine enge Kooperation unter allen Marktteilnehmern. FAZIT Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank erlaubt eine kritische Würdigung potenzieller Fehler im Asset Liability Management von Banken. Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass hinreichende Eigenmittel essenziell sind, insbesondere wenn die Bilanz Vermögenspositionen aufweist, die nicht zu Marktwert bilanziert wurden. Zinsänderungsrisiken sind im gegenwärtigen Zinszyklus signifikant, sodass der (geschätzten) Duration der Bilanzpositionen eine vorrangige Bedeutung zukommt. Gleichgerichtetes Kundenverhalten stellt eine besondere Gefahr für die Refinanzierungsfähigkeit einer Bank dar, sodass neben finanzmathematischen Konzepten auch verhaltens– ökonomische Aspekte im Asset Liability Management zur Anwendung kommen müssen; weiterhin ist eine hinreichende Diversifikation von Kundeneinlagen anzustreben. Und schließlich kann nur ein Zusammenspiel von Gesetzgebern, Aufsichtsbehörden und Risikomanagern zukünftige Bankkrisen verhindern. Autor Professor Dr. Fidelio Tata ist Studiengangsleiter des "Master of Finance"-Programms an der International School of Management in Berlin. Zudem ist er ein von der Industrieund Handelskammer zu Berlin öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Wertpapiere und Derivate. 1 Stephen Figlewski (1994): How to Lose Money in Derivatives, The Journal of Derivatives, 2 (2), 75-82. 05 | 2023 11

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