BERUF & KARRIERE 2 | Führungskräfte schätzen sich falsch ein Fragestellung: „Es kommt ja vor, dass man sich ab und zu selbst bewerten muss: Glauben Sie, dass Sie eine gute Führungskraft sind?“ Fragestellung: „Hatten Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn schon einmal eine schlechte Führungskraft?“ Fragestellung: „Haben Sie innerhalb der vergangenen 12 Monate aufgrund Ihres/Ihrer Vorgesetzten daran gedacht, Ihr derzeitiges Unternehmen zu verlassen?“ 97 % Ja Nein 3 % 69 % Ja Nein 31 % Ja 18 % 82 % Nein Basis: Führungskräfte ab 18 Jahre in der BRD Basis: Arbeitnehmer/innen ab 18 Jahre in der BRD Basis: Arbeitnehmer/innen ab 18 Jahre in der BRD Quelle: 2017 Gallup GmbH. ihren Arbeitgeber aufweisen und dementsprechend mit Hand, Herz und Verstand bei der Arbeit sind, nur bei 15 Prozent. 70 Prozent der Beschäftigten sind emotional gering gebunden und machen lediglich Dienst nach Vorschrift. Und jeder Sechste hat bereits innerlich gekündigt und schadet mit seinem Verhalten dem Arbeitgeber. ÿ 1 Die Chefs sind sich ihrer Defizite nicht bewusst Nun könnte der Eindruck entstehen, Unternehmen sollten doch froh sein, dass Arbeitnehmer, die innerlich gekündigt haben, die Firma auch physisch verlassen – immerhin ist jeder fünfte Mitarbeiter ohne emotionale Bindung bereits aktiv auf Jobsuche, ein weiteres Viertel hört sich zumindest um. Doch oft befinden sich unter diesen Mitarbeitern Fachexperten und Leistungsträger, deren Know-how dringend benötigt wird. Innere Kündigung ist ein hausgemachtes Problem: Viele Arbeitnehmer steigen hoch motiviert in den Job ein, werden dann aber zunehmend desillusioniert, weil ihre Bedürfnisse bei der Arbeit ignoriert werden. Insgesamt sagt nur jeder fünfte Arbeitnehmer: „Die Führung, die ich bei der Arbeit erlebe, motiviert mich, hervorragende Arbeit zu leisten“. Zwei von drei Arbeitnehmern hatten im Lauf ihres Arbeitslebens schon mindestens einmal einen schlechten Vorgesetzten. Die Führungskräfte selbst sind sich ihrer Defizite allerdings nicht bewusst – 97 Prozent halten sich selbst für eine gute Führungskraft. Dazu passt, dass letztes Jahr nur 40 Prozent der Führungskräfte eine Weiterbildung besucht haben, um den Umgang mit ihren Mitarbeitern zu verbessern. ÿ 2 Das kann fatale Folgen haben, denn mangelnde Mitarbeiterbindung wirkt sich negativ auf wichtige Wettbewerbsfaktoren aus. Das belegt auch die jüngste Gallup Meta-Analyse. Sie basiert auf der Befragung von 1,9 Mio. Mitarbeitern in 230 Unternehmen aus 49 Branchen (darunter 38 Finanzdienstleister) und 73 Ländern im Lauf der letzten drei Jahre. Durch die Verknüpfung der Befragungsdaten mit „harten“ Kennzahlen verdeutlich die Meta-Analyse den Einfluss der emotionalen Mitarbeiterbindung auf Kosten und Wachstum: So ist beispielsweise die Fehlzeit in Arbeitsgruppen mit hoher emotionaler Bindung (dem oberen Viertel) um 41 Prozent geringer als in Arbeitsgruppen mit niedriger emotionaler Bindung (dem unterem Viertel).Teams mit hoher emotionaler Bindung schneiden in Kundenbewertungen um 10 Prozent besser ab als Teams mit niedriger emotionaler Bindung und sie sind um 20 Prozent produktiver. ÿ 3 Insgesamt belaufen sich die volkswirtschaftlichen Kosten von innerer Kündigung in Deutschland auf eine Summe von 80 bis 105 Mrd. € jährlich. Es wäre allerdings ein weiterer Denkfehler, emotionale Bindung mit Zufriedenheit gleichzusetzen. Könnten sich Mitarbeiter ihr Gehalt oder die Zahl der Urlaubstage aussuchen, dann wären sie wahrscheinlich die zufriedensten Mitarbeiter der Welt. Treten diese Mitarbeiter dann aber auch für ihr Unternehmen ein? Nicht zwangsläufig. Mitarbeiter können gleichzeitig zufrieden und gleichgültig sein. Wer zufrieden ist, wird auch schnell bequem. Emotionale Bindung bedeutet dagegen die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich aus freien Stücken für den Arbeitgeber und dessen Ziele einzusetzen. Je stärker die emotionale Bindung, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Mitarbeiter im Sinn des Arbeitgebers verhält. Je größer die Anzahl der gebundenen Personen, umso leistungs- und wettbewerbsfähiger ist ein Unternehmen. Denn Arbeitnehmer, die emotional nicht an ihren Arbeitgeber gebunden sind, zeigen nicht nur weniger Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Verantwortungsbe- 52 05 // 2017
BERUF & KARRIERE 3 | Emotionale Bindung zahlt sich in barer Münze aus Arbeitsgruppen mit hoher emotionaler Bindung – die oberen 25% – weisen gegenüber Arbeitsgruppen mit niedriger emotionaler Bindung – den unteren 25% – im Schnitt folgende Unterschiede auf: 40 % 20 % 0 % -20 % -40 % Abwesenheit - 41 % Unternehmen mit hoher Fluktuation - 24 % Unternehmen mit niedriger Fluktuation Schwund Arbeitsunfälle Qualitätsmängel - 28 % - 40 % 10 % Kundenkennzahlen 20 % 21 % Produktivität Rentabilität -60 % -80 % - 59 % - 70 % Basis: 230 Unternehmen aus 49 Branchen mit knapp 1,9 Millionen Mitarbeitern aus 73 Ländern. Quelle: Gallup Meta-Analyse.. wusstsein – sie sind auch eher zu einem Jobwechsel bereit. Laut aktuellem Engagement-Index beabsichtigen 84 Prozent der hoch gebunden, aber nur 31 Prozent der nicht gebundenen Mitarbeiter in drei Jahren noch bei ihrer jetzigen Firma zu sein. Und fast jeder fünfte Mitarbeiter hat in den vergangenen zwölf Monaten daran gedacht, wegen seines direkten Vorgesetzten zu kündigen – bei den ‚inneren Kündigern‘ sogar knapp jeder Zweite. Generell sinkt die Treue der Arbeitnehmer seit Jahren kontinuierlich. Plante 2014 noch jeder Zweite, seine gesamte berufliche Karriere beim, derzeitigen Arbeitgeber zu verbringen, waren es 2016 nur noch 46 Prozent. Jeder Jobwechsel wirkt sich negativ auf das Betriebsklima, aber auch auf die Kundenbeziehungen aus. Kunden wünschen sich in der Regel Kontinuität in der Betreuung - jeder Wechsel des Ansprechpartners verunsichert sie. Gleichzeitig sind Fachkräfte immer schwerer zu finden: Versicherer und Finanzdienstleister benötigten 2016 im Schnitt 130 Tage, um eine vakante Stelle neu zu besetzen. Das waren 13 Tage mehr als im Jahr zuvor. Wenn man verlorenes Wissen, entgangene Produktivität, Such- und Ausbildungskosten sowie die Einarbeitungszeit einrechnet, müssen Unternehmen im Schnitt das 1,5-Fache des Jahresgehalts eines Mitarbeiters aufwenden, um ihn gleichwertig zu ersetzen. Kosten, die letztlich durch Führungskräfte verursacht werden, denen es nicht gelingt, die Bedürfnisse der Mitarbeiter am Arbeitsplatz zu adressieren. Was Arbeitnehmern wichtig ist Was also können Unternehmen tun? Sie müssen sich zunächst klarmachen, was Arbeitnehmer vom Unternehmen erwarten. Arbeitnehmern ist zunächst die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes am allerwichtigsten. Das Sicherheitsbedürfnis ist in allen Generationen stark ausgeprägt und deutet auf den Wunsch nach Stabilität in einem generell als unsicher empfundenen Umfeld hin. Mitarbeiter brauchen das Gefühl, dass sie für ein Unternehmen arbeiten, dass in eine positive Richtung steuert. Kurzum: Es geht um das Gefühl, für ein gut geführtes Unternehmen zu arbeiten. Gleichauf im Wichtigkeitsranking ist die Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Freizeit. Es folgen „die Möglichkeit, die eigenen Fähig- und Fertigkeiten einbringen zu können“, ein „tolles kollegiales Umfeld“ und eine „hervorragende Führungskraft“. Das Gehalt kommt dagegen erst auf dem neunten Platz von insgesamt 19 abgefragten Aspekten. Allerdings zahlen nicht all diese Aspekte gleichermaßen auf die emotionale Mitarbeiterbindung ein. Im Gegenteil: Faktoren wie Arbeitsplatzsicherheit, Entlohnung, Sozialleistungen, flexible Arbeitszeiten oder die Zahl der Urlaubstage sind für Mitarbeiter zwar durchaus wichtig, auf deren emotionale Bindung haben sie jedoch kaum Einfluss. ÿ 4 Für die emotionale Bindung – und damit die Motivation der Mitarbeiter – ist beispielsweise „die Möglichkeit, das zu tun, was man richtig gut kann“ fünfmal relevanter als das Gehalt. Großen Einfluss haben auch Dinge wie Führungsqualität, eine „herausfordernde und abwechslungsreiche Tätigkeit“, die Beziehung zu den Kollegen oder die Sinnhaftigkeit der Arbeit. Faktoren, die maßgeblich im Einflussbereich der Führungskraft liegen bzw. von ihrem Verhalten geprägt werden. Wo Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen Doch genau hier liegt der Haken. In punkto Führungsqualität klaffen die Wünsche der Mitarbeiter und die Wirklichkeit in deutschen Unternehmen weit auseinander. Gallup-Untersuchungen belegen, dass immerhin jeder fünfte Arbeitnehmer eine Angstkultur kennt. So erklärt zwar eine Mehrheit der Arbeitnehmer, dass „Fehler zum Lernen und zur Veränderung genutzt werden“, aber gleichzeitig stimmte im Jahr 2015 mehr als 05 // 2017 53
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