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die bank 04 // 2021

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

BERUF & KARRIERE

BERUF & KARRIERE SELBSTBEWUSSTSEIN – WICHTIG WIE NIE ZUVOR DIE EIGENEN GRENZEN SPRENGEN Die Digitalisierung revolutioniert die Berufswelt. Grundlegend neue Berufsbilder verdrängen die vertraute Ordnung. Das zerrt an den Nerven der Arbeitnehmer, das „Gift“ der Verunsicherung macht ihnen zu schaffen. „Doch es gibt ein ‚Gegengift‘: Selbstvertrauen“, sagt Dr. Christine Scheitler, Führungskräfte-Coach aus dem württembergischen Affalterbach, im Interview. die bank: Weshalb gerade Selbstvertrauen, Frau Dr. Scheitler? Christine Scheitler: Selbstvertrauen ist das Rückgrat der selbstbestimmten wie selbstbewussten Handlungsfähigkeit, eine Schlüsseleigenschaft in unserer Zeit der Transformation. Und die wird heute dringend gebraucht. Drückt doch der Begriff „disruptiv“ der Wirtschaft den Stempel auf. Die Macht dieses Worts wird in der Übersetzung erst so richtig deutlich: „ein Gleichgewicht, ein System zerstörend“. Wie dieses Bröckeln des Vertrauten und Gewohnten zu schaffen macht, offenbart sich wohl am deutlichsten im alltäglichen Miteinander. Privat wie am Arbeitsplatz wuchert eine zunehmende unterschwellige Angespanntheit. Und die macht sich als schnell aufflammende Aggressivität Luft. Sich von dem belastenden Sog des Geschehens nicht destabilisieren zu lassen, gelingt eigentlich nur noch mit einem festgefügten Selbstvertrauen. die bank: Wie definieren Sie diese offensichtlich so ungemein unterstützende Eigenschaft Selbstvertrauen? Scheitler: Selbstvertrauen ist das Kraft und Ruhe gebende Bewusstsein, Anforderungen, Widersprüchen und Verwerfungen im Leben nicht ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Wer aus Selbstvertrauen heraus lebt, vertraut auf die eigenen Fähigkeiten und Stärken, lässt sein Lebensgefühl nicht vom Äußeren diktieren. Aus dieser Einstellung zu sich selbst baut sich eine grundlegende Überzeugung von persönlicher Bewältigungsfähigkeit auf. Daraus erwächst der Wille, mit den Aufgaben, die die Zeit stellt oder die eigenen Wünschen entspringen, umzugehen, sowie auch das Vermögen, sich bietende Möglichkeiten zu erkennen und zu ergreifen. die bank: Sie verstehen also Selbstvertrauen als psycho-mentale Basis für eine unerschrocken-zupackende Lebensbewältigung? Scheitler: Eindeutiges Ja! Das unterstreicht mein Erleben in der geschützten Atmosphäre von Vier-Augen-Gesprächen: Ohne Selbstvertrauen gewinnen Ohnmachtsgefühle bis zur Resignation die Herrschaft, obwohl von der persönlichen 60 04 // 2021

BERUF & KARRIERE Qualifikation her gesehen zu diesen Gefühlen nicht im geringsten Anlass besteht. Das ist im Übrigen eine Beobachtung, die auch feinfühlige Chefs im Umgang mit ihren Mitarbeitern machen. Zeigt sich doch beim genauen Hinsehen gar nicht einmal so selten, dass vermeintliche Versager eher verzagt als tatsächlich leistungsschwach sind. die bank: Welche Bedeutung hat Selbstvertrauen für die Beziehungsfähigkeit? Scheitler: Die Rolle des Selbstvertrauens im Blick auf die Beziehungs- und im weiteren Sinne auch die Teamfähigkeit kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Selbstvertrauen ist die vielfach verkannte Basis dafür, tragfähige Beziehungen zu anderen aufbauen, gestalten und erhalten zu können. Mit Menschen ohne Selbstvertrauen zusammenzuleben oder zusammenzuarbeiten, das ist eine ständig vom Absturz bedrohte Gratwanderung. Geht doch schwach ausgeprägtes Selbstvertrauen meist mit einem stark ausgeprägten Misstrauen einher! Wer in sich unsicher ist, fasst jedes Wort, jede Geste, jede Mimik falsch auf, empfindet die andere Sichtweise als Zurücksetzung der eigenen Person, interpretiert sie als Besserwisserei oder Kritik, jedes Nein als persönliche Verletzung. die bank: Hat Selbstvertrauen nicht auch eine Kehrseite, die Selbstverliebtheit? Scheitler: Und ob! Bei jeder Gelegenheit immer wieder das Anhimmeln der eigenen Person durchschimmern zu lassen, ist eine arge Prüfung für andere. Und das insbesondere dann, geht diese Selbstverliebtheit Hand in Hand mit Selbstüberschätzung. Das kann auch direkt verletzen. Überheblichkeit als abstoßendster Ausdruck oft durch nichts begründeter Selbstüberschätzung ist enorm frustrierend. Und aus dieser Frustration heraus kann es zu Zusammenstößen kommen, bei dem privat wie im Beruf einiges nur schwer reparierbar zu Bruch gehen kann und geht! Ebenso wie selbstunsichere sind selbstverliebte Vorgesetzte eine schlimme Belastung für die Zusammenarbeit. die bank: Wie entwickelt sich Selbstvertrauen in einem Menschen? Scheitler: Es gibt Glückliche, die lassen sich durch nichts erschüttern, die vertrauen quasi von Natur aus darauf, mit den Anforderungen des Lebens klarzukommen, ohne aus diesem Vertrauen zu sich selbst heraus überheblich zu werden. Andere haben das Glück, in einer Umgebung aufzuwachsen, in der sie Vertrauen zu sich selbst entwickeln, sich selbst ausprobieren und auch korrigieren können. Wem als Kind verdeutlicht wurde, dass Hinfallen und wieder Aufstehen genauso zum Leben dazu gehört wie Fehler zu machen, und dass beides keine Katastrophe ist, bekommt ein ganz anderes Gefühl für sich als jemand, der umgehend als Dummkopf oder Tölpel hingestellt wird. Was in der Quintessenz heißt, Menschen lassen sich auch zu selbstunsicheren Wesen machen. Ein bedeutungsvolles Wissen auch für das Vorgesetztenverhalten! die bank: Und wer von diesem Glück stiefmütterlich bedacht wurde? Scheitler: Wenn auch beides hinsichtlich des persönlichen Selbstvertrauens eine gewichtige Rolle spielt, darf doch nicht der blockierende Schluss daraus gezogen werden, damit seien die Weichen ein für allemal gestellt. Selbstvertrauen hat auch ganz viel mit persönlicher Anstrengung zur Persönlichkeitsentwicklung zu tun, es lässt sich auch in beharrlichen kleinen Schritten erarbeiten! Praktisch bedeutet das, den Blick auf sich selbst zu verändern. Und das wiederum heißt, sich bewusst zu machen, dass man durchaus etwas zustande bringt. Viele sind aber einfach nicht bereit, Lob und Anerkennung als persönliche Stärkung zu empfinden, sondern kontern dieses Lob abweisend mit der Bemerkung, das sei doch bloß Zufall gewesen oder es ginge bestimmt noch besser und überhaupt, andere seien doch viel besser. die bank: Wie manche die Kunst beherrschen, sich selbst klein zu machen, ist also schon bemerkenswert? Scheitler: Und auch traurig! Dabei ist es keineswegs eine unüberwindliche Hürde, sich aus dieser immer wieder selbst herbeigeführten Prophezeiung zu lösen. Sich vor Augen zu führen, wie vieles schon gelang, wie viele schwierige Situationen schon gemeistert wurden und welch beglückendes Gefühl sich dabei eingestellt hat, das gibt Boden unter den Füßen. Langsam, aber zuverlässig formt sich daraus Selbstvertrauen und, wie es der kanadische Psychologe Albert Bandura genannt hat, eine „selbstverständliche Selbstwirksamkeitserwartung“. Menschen mit Selbstvertrauen, so Banduras Erkenntnis, sind motivierter, strengen sich mehr an und sind ausdauernder in der Auseinandersetzung mit Schwierigkeiten. In der Schlussfolgerung kann das für mich nur heißen: Zutrauen zu sich selbst zu entwickeln, ist für die, denen es daran mangelt, aus meiner Sicht die wichtigste Aufgabe, der sich ein Mensch gerade unter der heutigen Veränderungsdynamik stellen muss und kann! Hafis, der große persische Dichter und Mystiker aus dem 14.Jahrhundert sagte das so: „Du bist deine eigene Grenze. Erhebe dich darüber.“ Die Fragen stellte Hartmut Volk. 04 // 2021 61

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