DIGITALISIERUNG 1 | Schematischer Aufbau des Experiments Gesamtsample 96.597 Kunden Zufällige Zuordnung Kontrollgruppe Schwaches Treatment Starkes Treatment Kunden je Gruppe 32.208 32.185 32.204 Frage: „Wie gut kennen Sie Ihre monatliche Haushaltsausgabenverteilung?“ Treatment Frage: „Bitte schätzen Sie Ihre monatlichen Ausgaben für Wohnkosten und Freizeitaktivitäten.“ Die Abbildung zeigt den schematischen Aufbau des Experiments. 96.597 Kunden wurden zufällig in drei Gruppen aufgeteilt, die entweder kein Treatment (Kontrollgruppe), nur eine Frage (Schwaches Treatment) oder zwei Fragen (Starkes Treatment) erhielten. te kognitive Dissonanz verspüren zwischen dem angegebenen Selbstvertrauen in die finanziellen Fähigkeiten und der wahrgenommenen Schwierigkeit, Ausgaben einzelner Kategorien tatsächlich korrekt anzugeben. 64.389 zufällig ausgewählte Kunden der Deutschen Bank, die PFM bereits aktiviert hatten, wurden zur Teilnahme an einer der beiden Treatmentgruppen eingeladen. 32.208 ebenfalls zufällig ausgewählte PFM-Nutzer erhielten keine Einladung und konnten somit nicht kognitiv beeinflusst werden. Sie dienten als Kontrollgruppe. Innerhalb dieser 96.597 Kunden lag ein besonderer Fokus der Analysen auf ca. 2.400 Kunden, die in den vorangegangenen sechs Monaten Endsalden von durchgängig weniger als 50 € auf ihren Girokonten aufwiesen und ihr Konto häufig überzogen. Es wurde vermutet, dass diese Gruppe von einem verbesserten Liquiditätsmanagement am meisten profitieren könnte. Diese in ihrer Liquidität eingeschränkten Kunden waren gleichmäßig über die beiden Treatmentgruppen sowie die Kontrollgruppe verteilt. 2 Erhöhung der Nutzungsintensität durch Denkanstöße möglich Für Haushalte mit angespannter Liquidität konnte der Nudge, der die Generierung einer kognitiven Dissonanz anstrebt („starkes Treatment“), eine Steigerung der PFM-Nutzungsintensität um ca. 60 Prozent erzielen (gemessen durch das Auszählen von Log-ins). Dieser Anstieg war statistisch signifikant und wurde über den gesamten Beobachtungszeitraum von April bis Dezember 2016 beobachtet. 3 Dieses Ergebnis konnte in der Gesamtgruppe aller Kunden in der Tendenz bestätigt werden. So konnte in der Gruppe des starken Treatments (kognitive Dissonanz) eine erhöhte Nutzung des PFM von ca. 65 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe beobachtet werden. Anders als in der Gruppe der liquiditätsbeschränkten Haushalte ist dieser Anstieg in der Gesamtgruppe jedoch zeitlich begrenzt auf die Treatmentphase, in der der Fragebogen mit den Denkanstößen geschaltet war. Für den gesamten Beobachtungszeitraum war die Erhöhung der Nutzungsintensität statistisch nicht signifikant. Gleichzeitig zeigte sich, dass Haushalte mit geringer Liquidität, die lediglich das schwache Treatment erhielten, ebenfalls keine dauerhafte, signifikante Erhöhung der PFM-Nutzung aufweisen. Es lässt sich daher vermuten, dass Kunden in finanziell angespannten Situationen zwar einen stärkeren Denkanstoß (kognitive Dissonanz des starken Treatments) benötigen, um aktiv zu werden, im Anschluss aber eine erhöhte, nachhaltige Nutzung des PFM auch über die Treatmentphase hinaus aufweisen. Diese Verhaltensunterschiede im Vergleich zum durchschnittlichen Haushalt könnten von einem anders wahrgenommenen Nutzen durch eine verbesserte Ausgabentransparenz getrieben sein, in Abhängigkeit von der jeweiligen Haushaltsliquidität. Unterstützung bei Verbesserung der Liquidität Neben einem Effekt der Nudges auf die Nutzungsintensität des PFM wurde in einer multivariaten Panel Regression der Treatmenteffekt auf die Haushaltsliquidität untersucht. Hierfür wurde die Entwicklung der Girokontosalden am Monatsende in Treatment- und Kontrollgruppen miteinander verglichen. Entsprechend der Ergebnisse zur PFM- Nutzung zeigt sich, dass Haushalte mit angespannter Liquiditätslage, die die Befragung mit dem Element der kognitiven Dissonanz erhielten (starkes Treatment), ihre Liquidität statistisch signifikant verbessern konnten. So erhöhten diese Kunden ihre Girokontosalden um durchschnittlich 450 € im Vergleich zur Kontrollgruppe. 4 Dies ist umso bemerkenswerter, da Kunden dieser Gruppe unmittelbar vor Beginn des Experiments durchschnittlich stark negative Girokontosalden aufwiesen. Bei einem Vergleich der Durchschnittswerte im Zeitverlauf zeigt sich, dass auch die Kontrollgruppe ihre Liquidität erhöht. ÿ 2 Dies gelingt jedoch deutlich schlechter als in der Gruppe, die das starke Treatment erhält 60 04 // 2018
DIGITALISIERUNG 2 | Durchschnittliche Girokontosalden in den Testgruppen Durchschnittlicher Girokontensaldo in € 500 0 10 11 12 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 1 - 500 - 1.000 - 1.500 Gruppe „starkes Treatment“ Kontrollgruppe Abbildung 2 zeigt durchschnittl. Girokontosalden der Haushalte mit finanziellen Schwierigkeiten in der starken Treatment- und Kontrollgruppe. Der schraffierte Bereich markiert die Treatmentphase (April und Mai 2016). und den PFM fortan signifikant häufiger nutzt. 5 Die Gruppe hingegen, die lediglich das schwache Treatment erhielt und für die auch kein signifikanter Anstieg der PFM-Nutzung beobachtet werden konnte, konnte ihre Liquidität im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht verbessern. Zur Erhöhung der Robustheit der Ergebnisse wurde die Analyse für alle 96.597 beobachteten Haushalte wiederholt. Dabei bestätigten sich die Beobachtungen in der Tendenz. So konnten positive Effekte auf Girokontosalden in der starken Treatmentgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe identifiziert werden. Jedoch waren diese deutlich geringer, als im exklusiven Vergleich der Haushalte mit finanziellen Engpässen. Es lässt sich resümieren, dass Haushalte ohne Liquiditätsengpässe trotz (kurzfristig) erhöhter Transparenz auf ihre Haushaltsausgaben durch eine gesteigerte PFM-Nutzung keine Notwendigkeit sehen, ihre Liquidität anzupassen. Im Gegensatz dazu können und wollen Haushalte, die aktuell in Liquiditätsengpässen sind und denen dies deutlich bewusstgemacht wird, von einer verbesserten Transparenz und einer erhöhten Nutzung des PFM stärker profitieren. Diese Studie demonstriert somit das Potenzial verhaltenswissenschaftlicher Ansätze für Praktiker und Wissenschaftler, Haushaltsfinanzen zu beeinflussen, insbesondere von Haushalten mit angespannter Liquidität. Im nächsten Schritt gilt es daher, auf diesen Erkenntnissen aufzubauen und die nachhaltige Nutzung digitaler Angebote auch für durchschnittliche Haushalte zu erhöhen. Ähnliche verhaltenswissenschaftlich getriebenen Ansätze in Kombination mit einer häufigeren, sinnvollen Kundeninteraktion, etwa durch Push Nachrichten der PFM, könnten hierbei wegweisend sein. FAZIT In einer Feldstudie konnte gezeigt werden, dass die Nutzung digitaler Bankangebote wie Personal-Finance-Management-Anwendungen (PFM) durch Denkanstöße, die auf verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, erhöht werden kann. Die Denkanstöße wurden den Kunden innerhalb einer Online-Umfrage übermittelt. Gleichzeitig konnte ein positiver Effekt dieser Nudges auf die Haushaltsliquidität beobachtet werden, vor allem für Kunden mit akut angespannter Liquidität. Autoren Dr. Gregor Becker promovierte am Lehrstuhl für Personal Finance der Goethe Universität Frankfurt zur Auswirkung von PFM-Nutzung auf das Bankkundenverhalten. Dr. René Michel ist Leiter des Fachbereichs High Performance Analytics bei der Deutschen Bank und zuständig für die Anwendung von Methoden der Data Science zur Analyse des Privat- und Firmenkundenportfolios. Er war zuvor in der Beratungsbranche tätig und hat in Statistik promoviert. Tobias Niermann ist Leiter des Fachbereichs New Services & Products in der Digitalfabrik der Deutschen Bank. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker ist verantwortlich für die Konzeption und Entwicklung digitaler Produkte wie dem FinanzPlaner MultiBanking. Die Autoren danken Dr. Raimund Blache und Michael Koch (beide Deutsche Bank AG) sowie Prof. Dr. Andreas Hackethal (Goethe Universität Frankfurt) für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Artikels. 1 „Positive Effekte auf Kundenmanagement durch PFM“, die bank 10/2017. 2 Das Experiment wurde durchgeführt zwischen April 2016 und Dezember 2016 (Beobachtungsphase). Hierbei erhielten Kunden der Treatmentgruppen zwischen April und Mai die Einladung zur Teilnahme an der Befragung (Treatmentphase). 3 Durch Anwendung von Instrumental Variable Regressionen wurde die Teilnahmequote an der Umfrage kontrolliert. 4 Gleichzeitig wurde kein Anstieg der aufgenommenen Kredite beobachtet. Somit lag keine kreditfinanzierte Liquidität vor. 5 Eine zusätzliche Analyse zeigt, dass der Effekt von Kunden getrieben wird, die das Treatment auch tatsächlich erhielten (Treatment Effect on the Treated). Dies spricht neben der Randomisierung für eine weitere Kausalität der beobachteten Treatmenteffekte. 04 // 2018 61
NR. 4 April 2018 ZEITSCHRIFT FÜR B
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