MANAGEMENT GESCHÄFTSMODELLE Die Migranten-Bank Mit 17,1 Millionen Menschen hatten in Deutschland im vergangenen Jahr mehr Menschen als je zuvor einen Migrationshintergrund. Wenn sie Geld an ihre Familien daheim verschicken, sei es für Lebensunterhalt oder Schulausbildung, nutzen sie oftmals den globalen Geldtransfer von Western Union. Mit 550.000 Geschäftsstellen in 200 Ländern und Territorien, davon mehr als 7.500 in Deutschland, hat der Finanzdienstleister rund um den Globus ein engmaschiges Vertriebsnetz geknüpft. Trotz steigender Flüchtlings- und Migrantenzahlen stagniert jedoch dessen traditionelles Bargeldgeschäft. Jetzt soll eine verstärkte Digitalisierung den Umsatz ankurbeln. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt der Vizepräsident für Zentraleuropa, Herbert Seitner, wie er neue Kundengruppen erschließen will. Manchmal muss alles sehr schnell gehen. Wenn etwa die Erde gebebt hat. Wie jüngst gleich mehrfach an unterschiedlichen Orten in der Mitte Italiens. Wenn ein Hurrikan ganze Landesteile verwüstet hat. Wie Anfang Oktober 2016 im Südwesten Haitis. Oder wenn während des Urlaubs Cash und Karten gestohlen werden. „Dann brauchen die Menschen Geld und zwar schnell, zuverlässig und unkompliziert“, sagt Herbert Seitner von Western Union. Doch nicht nur Menschen in Not zählen zur Klientel des 1851 gegründeten US-amerikanischen Anbieters von weltweitem Bargeldtransfer. Das Gros stellen Kunden mit Migrationshintergrund, die schon angekommen sind, einen Job gefunden haben und einen Teil ihres Lohns nach Hause schicken, um ihre Familien bei der Finanzierung des Lebensunterhalts oder auch die Kinder bei der Schulausbildung zu unterstützen. Hinzu kommen Flüchtlinge, die aus Kriegsgebieten fliehen. Auf deren Flucht laufen die Geldströme zunächst in die andere Richtung. Dann schicken die Familien Geld, um die Flüchtlinge entlang der Route zu versorgen. Selbst im vom Krieg zum Teil völlig zerstörten Syrien funktioniert der Geldtransfer noch, wenngleich er immer schwieriger wird. Laut Seitner betrieb die Western Union in Syrien Anfang November 2016 noch mehr als 40 Standorte. Insgesamt gut 2,6 Millionen Mal täglich hätten Privat- und Geschäftskunden im Jahr 2015 den Service des führenden Anbieters von weltweiten Geldtransfers genutzt. Seit mehr als 20 Jahren sitzt der im amerikanischen Bundesstaat Colorado beheimatete Finanzdienstleister auch in Frankfurt. Für das Europageschäft erwarb die Western Union Payment Services Ireland Ltd. in Großbritannien einen EU-Bank-Passport, um in der ganzen EU agieren zu können. Wie überall auf der Welt leitet der Konzern auch in Deutschland nur Geld weiter, Beträge anlegen oder Kredite aufnehmen können die Kunden nicht. 261 Millionen Transaktionen von privat zu privat hat Western Union laut Geschäftsbericht 2015 weltweit abgewickelt und insgesamt 82 Mrd. US-$ global verschickt. Im Jahr zuvor waren es 254 Millionen Transaktionen und 85 Mrd. US-$. Zahlen für einzelne Regionen nennt der Konzern nicht. Nur so viel: Von den insgesamt 550.000 Geschäftsstellen in rund 200 Ländern und Territorien befänden sich gut 7.500 in Deutschland, sagt Seitner. Damit hat der Geldverschicker hierzulande fünfmal mehr Vertriebsstandorte als McDonalds. Doch nur 34 der markanten schwarz-gelben Geschäftsstellen betreibt die Migrantenbank in Deutschland in eigener Regie, an Bahnhöfen, auf Flughäfen, in Fußgängerzonen, also Orten mit hoher Besucherfrequenz. Deshalb kommt sie in Deutschland auch mit nur knapp 200 Mitarbeitern aus, weltweit sind es mehr als 10.000 Menschen. Geschäftsmodell ohne Konto, Kredite und Wertpapiere Um das so engmaschige Vertriebsnetz knüpfen zu können, hat sich Western Union mit großen Partnern aus der Finanzbranche verbündet, in Deutschland vor allem mit der Postbank, der ReiseBank, Travelex sowie zahlreichen Sparkassen. Aber auch mehr als 1.000 Einzelhändler, Handyshops und Internet-Cafés haben einen Sticker der Western Union an ihren Eingang geklebt, um für den globalen Geldtransfer zu werben. „Meist sind es Geschäfte von Inhabern mit Migrationshintergrund. So sind wir nahe an unseren Kunden“, erklärt der gebürtige Österreicher. Für ihn eine Win-Win-Situation. Die Western Union stärkt ihr Vertriebsnetz, der Händler erschließt sich eine weitere Einnahmequelle. Denn bei jeder Transaktion fällt eine Provision an. Kommt ein Landsmann zum Beispiel in das Geschäft eines türkischen Inhabers und will Geld nach Ankara überweisen, braucht er dafür kein Konto und auch keine Kreditkarte. Bargeld in Euro genügt. Nach Vorlage von Reisepass oder Personalausweis kann der Sender dem Empfänger in der türkischen Hauptstadt maximal 6.000 € schicken. Für einen Transfer in die Türkei fallen für einen Betrag von 200 € bei einem Versand von der Website Westernunion.de Gebühren zwischen 5 € und 9,90 € an, je nachdem, ob dafür mit Kredit- oder Bankkarte bzw. per Sofortüberweisung oder Banküberweisung bezahlt wird. Wird der Betrag von einer Ver- 62 04 // 2017
MANAGEMENT triebsniederlassung in bar versendet, berechnet Western Union dafür zwischen 9 € für eine Überweisung in Minuten und 4,90 € für die Zustellung am folgenden Tag. Hat Western Union Sender und Adressat überprüft, indem sie die Namen durch verschiedene internationale Sanktionslisten und durch unternehmensinterne Compliance Checks laufen lässt, erhält der Sender nach der Überweisung eine sogenannte Money Transfer Control Number (MTCN), mit der er die Transaktion verfolgen kann. Einige Minuten später steht das Geld zur Auszahlung bereit, so verspricht es Western Union. Der Empfänger muss lediglich seinen Lichtbildausweis vorzeigen und den Namen des Senders, die Höhe des Betrags und das Land, aus dem das Geld geschickt wurde, nennen. Im Schnitt würden weltweit rund 350 € pro Transaktion versendet, erklärt der 41-Jährige. An potenziellen Kunden mangelt es nicht. Allein in Deutschland hatten 2015 mit rund 17,1 Millionen mehr Menschen als je zuvor einen Migrationshintergrund. Deren Anteil an der Bevölkerung beträgt mittlerweile 21 Prozent, errechnete das Statistische Bundesamt. Nach Zahlen des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen sind zudem mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht. „Außerdem haben weltweit zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen“, sagt Seitner. Dem Geschäft der Western Union hat die Entwicklung trotzdem keinen Schub beschert. Die Einnahmen des an der New Yorker Börse (NYSE) notierten Unternehmens lagen 2015 bei 5,48 Mrd. US-$, ein Jahr zuvor waren es 5,60 Mrd. US-$. Der Wert aus 2015 entspricht mehr oder weniger den Einnahmen aus 2011. Und lag der Vorsteuergewinn 2011 noch bei 1,27 Mrd. US-$, so war er 2015 auf 941 Mio. US-$ geschrumpft. Angriff der FinTechs – einfacher, schneller und günstiger Druck kommt von gleich mehreren Seiten. Der Kampf gegen Geldwäsche und illegale Transfers verschlingt immer höhere Kosten. Laut Seitner sind 2.200 der insgesamt 10.000 Mitarbeiter mit dem Thema Compliance beschäftigt. Gleichzeitig steigt die Zahl der Konkurrenten. Große Player wie die US-amerikanische MoneyGram International weiten ihre internationale Präsenz aus. Hinzukommen junge FinTechs wie TransferWise oder Azimo aus Großbritannien, die Online-Geldtransfer-Services von Handy zu Handy anbieten und für sich in Anspruch nehmen, deutlich günstiger als Western Union zu sein. In Deutschland ging in der Start-up-Hochburg Berlin u. a. Cringle mit dem Geschäftsmodell „Geldverschicken unter Freunden“ an den Start. Auch über den Bezahldienst Paypal kann man längst Euro, Dollar oder etwa Pfund von Handy zu Handy verschicken. Weitere Nachahmer stehen in den Startlöchern. So basteln Sparkassen und Genossenschaftsbanken an einem gemeinsamen Überweisungsdienst, dem Geldboten. Last, but not least sind auch Überweisungen innerhalb Europas durch das Sepa-Verfahren einfacher, schneller und günstiger geworden. Will Western Union wieder stärker wachsen, muss das Unternehmen umdenken. Wohin die Reise gehen soll, zeigt das Cover des jüngsten Geschäftsberichts, auf dem zwei fröhlich lächelnde junge Asiatinnen auf ihr Handy schauen. Mit einer neuen App können auch die Western-Union-Kunden direkt via Smartphone Geld in die Welt verschicken. Dafür müssen sie ihr Online-Bankkonto oder eine Kreditkarte mit dem Programm verbinden. Die Empfängerdaten können sie direkt aus ihrem Handy-Adressbuch auswählen. „Mehr als eine Milliarde Bankkonten weltweit können die Nutzer auf diesem Weg oder via Online Banking bei einem unserer Banken- Partner erreichen“, sagt Seitner, der für den Launch der neuen App im Frühjahr 2016 auf dem deutschen Markt verantwortlich war. In den USA liegt der Start schon zwei Jahre zurück. Seit 2011 können die Kunden zudem über die Website des Finanzdienstleisters online Geld transferieren. Seine Online-Dienste bietet Western Union bislang in 37 Ländern an, in der Hälfte davon gibt es die App. Noch sind die online erzeugten Umsätze mit einem Anteil von rund acht Prozent gering. „Mit einem Plus von zuletzt 30 Prozent sind die Wachstumsraten jedoch sehr stark“, unterstreicht Seitner. 04 // 2017 63
NR. 4 April 2017 ZEITSCHRIFT FÜR B
EDITORIAL » Der Diskurs über aktu
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Hinter allem aber steht der Gedanke
nalisierung der Bankenmärkte erfah
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