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die bank 03 // 2017

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

DIGITALISIERUNG DIGITALE

DIGITALISIERUNG DIGITALE ANLAGEBERATUNG 2.0 Robuste Robos Die nächste Stufe der FinTech-Evolution dringt tiefer in die Digitalisierung der Anlageprozesse des Robo Advisory vor. Ziel ist, für jeden einzelnen Kunden ein spezifisches Portfolio zu konstruieren, das eine robuste Performance aufweist und die definierten Ziele erfüllt. Dabei kommen Methoden der künstlichen Intelligenz (AI) zum Einsatz, die die gängigen Portfolioansätze überbieten. Die Erprobungsphase des Robo Advisory in den letzten Jahren war ertragreich. Die Branche widmet diesen Finanztechnologien jetzt große Aufmerksamkeit, und die Bereitschaft, digitalisierte Angebote wie Anlageassistenten zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen, ist stark gestiegen. Bei einigen Anbietern kannibalisiert das Robo Advisory zwar die bestehenden Kanäle, für die meisten ergibt sich jedoch die Möglichkeit, ganz neue Kundengruppen anzusprechen, wie etwa junge und digital affine Menschen. Die meisten Robo-Lösungen zeigen heute einen starken Fokus auf das Nutzererlebnis und die Kosten. In der Tat sind die Prozesse sehr einfach und auch transparent geworden. Viel Aufwand fließt in die nutzerfreundliche und anziehende Gestaltung des Frontends, doch kratzt dies nur an der Oberfläche der technischen Möglichkeiten im Zeitalter der Digitalisierung. Die Kernprozesse der Anlage werden dagegen technologisch nur unzureichend angefasst. Markowitz-Ansatz ist ungeeignet Ein Schwerpunkt liegt in der Portfoliokonstruktion und im Rebalancing. Die wissenschaftliche Grundlage folgt dem bekannten Ansatz des US-amerikanischen Ökonomen Harry Markowitz. Hier werden die Eckparameter Ertrag, Risiko und Diversifikation das erste Mal konsistent zusammengeführt. Viele Anbieter von Anlagerobos nutzen diese Attribute in der Darstellung ihrer Angebote und verweisen auf die nobelpreisgekrönte Leistung von Markowitz. Das klingt gut, aber die Markowitz-Theorie stammt aus den 1950er Jahren und gilt heute als Small-Data-Ansatz. Damals stand wenig Rechenkapazität zur Verfügung, und die Wissenschaft war sich noch nicht bewusst, dass die empirischen Schätzparameter des Ansatzes, wie Varianzen und Korrelationen, große Instabilität und Unterperformance produzieren. Aus moderner Perspektive entpuppt sich die Markowitz-Lösung somit als überholt. Zwar gibt es eine Vielzahl von Verbesserungen des Markowitz-Ansatzes, doch noch immer wird eine Vielzahl mathematischer Annahmen getroffen, wie etwa lineare Korrelationen der Investments in einem Portfolio, die der komplexen Dynamik der realen Finanzmärkte nicht standhalten. Durch die Globalisierung, den Informationsfluss und die überlagernden Zentralbankeffekte sind die Finanzmärkte stark verwoben. Sogar vermeintlich stark diversifizierte und diversifizierende ETFs sind davon betroffen. Trotzdem wird bei der automatisierten Anlageberatung eine ganze Palette an ETFs genutzt, um über verschiedene Regionen, Branchen, Assetklassen und Risiko-/Ertragsprofile zu diversifizieren. Diese Kategorien verschwimmen jedoch zusehends, denn die ETFs sind heute stark miteinander vernetzt. Portfoliotheorien in der Praxis überdenken Die lineare Finanzmathematik blendet diese dominierenden Effekte jedoch systematisch aus. Benötigt wird hingegen ein anderer mathematischer Ansatz, um eine digitale und robuste Kapitalanlage zu ermöglichen. Explizit wären hier die maschinelle Intelligenz sowie insbesondere Graph- und Netzwerkanalysen zu nennen. Komplexe Finanzmarktdynamiken folgen einer hierarchischen Graphstruktur: es gibt auf der obersten Stufe die Meta-Assetklassen. Darunter existiert eine Vielzahl von immer weiter heruntergebrochenen Gruppierungen, die über die Sub-Assetklassen bis hin zu einzelnen Positionen reichen. Diese Graphstrukturen lassen sich durch maschinelle Intelligenz aus den Kurzzeitreihen der ETFs mittels der Graphansätze gewinnen. ÿ 1 zeigt eine solche Struktur für Anleihen- und Aktien-ETFs. Diese ETFs gehören zu den am meisten gehandelten und liegen in vielen Robo-Portfolios. Im linken Ast des Graphbaums befinden sich die Aktien-ETFs, im rechten die Anleihen-ETFs. Die Äste teilen sich immer wieder bis hinunter zu den einzelnen ETFs. Diese Struktur wurde nicht vorgegeben, sondern von der maschinellen Intelligenz „gelernt“. Auf der Y-Achse ist die Korrelationsdistanz aufgetragen. Dies ist die Umrechnung der Korrelation in eine Distanz, sodass sich bei einer Korrelation von 1 eine Distanz von 0 ergibt. Je tiefer in der Struktur die ETFs verbunden sind, desto stärker deren Korrelation. Die Markowitz-Lösung dagegen ignoriert diese hierarchische Graphstruktur. Jüngere Analysen der Robustheit intelligenter Methoden, bei denen auch simulierte Eingangsdaten genutzt wurden, um die Generalisierungsfähigkeit der Aussagen sicherzustellen und nicht nur Aussagen für empirische Sondersituationen zu treffen, haben gezeigt, dass die traditionellen Methoden wie Markowitz und auch Risk Parity von den Graphansätzen stark dominiert werden, denn außerhalb der Backtests ergibt sich eine robustere risikoadjustierte Performance. Kurioserweise wird sogar eine geringere Portfoliovarianz realisiert als im klassischen Minimum-Varianz- Ansatz, obwohl letzterer die minimale Portfoliovarianz erzielen sollte. Dieses Ergebnis bedeutet in der Konsequenz, dass die gängigen Portfoliotheorien in der Praxis überdacht werden müssen. 60 03 // 2017

DIGITALISIERUNG 1 | Hierarchie der Abhängigkeiten der ETFs 1,2 1,0 Korrelationsdistanz 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 Utilities Financials Materials Energy Tech DJIA S&P 500 UK Germany France EAFA Europe Japan Asia Asia ex Japan Emerging Markets China Barclays 1-3Y US Corp bonds Total bonds Index TIPS 20Y + Gov‘t 7-10Y Gov‘t Es ist auch klar, warum die Graphansätze funktionieren: Finanzmärkte sind komplexe adaptive Systeme, die starke Vernetzungsstrukturen aufweisen. Der Graphansatz lernt diese Struktur direkt aus den Daten, ohne weitere ökonomische und oftmals zweifelhafte Annahmen zu treffen. Seit Jahrzehnten nutzen Biologen, Physiker und Sozialwissenschaftler deshalb Graphanalysen, die auch zum Standardwerkzeug von Social-Media-Plattformen wie Facebook und LinkedIn gehören. Ebenso verwendet Google eine graphbasierte Suchfunktion für relevante Dokumente. Die Technik der Graphanalyse hat gezeigt, wie wichtig die Verknüpfungen bei der Nutzung von Massendaten (Big Data) sind. Diversifikation ist kostengünstiger und effektiver Was bedeutet diese Erkenntnis nun konkret für die neuen Technologien im Bereich WealthTech bzw. Robo Advisory? Um dies zu zeigen, wurde ein eigener Robo-Investmentprozess aufgebaut, der Portfoliokonstruktion und Rebalancing auf Basis der Graphintelligenz ermöglicht. Der Einfachheit halber variiert das Aktien-/Anleihe-Verhältnis je nach Kundenprofil. Getestet wurde der Ansatz anhand einer Datenhistorie über mehrere Finanzmarktkrisen mit verschiedenen Rebalancierungshäufigkeiten und Aktien/Anleihe-Verhältnissen. Danach wurde die realisierte Performance gemessen. Neben der klassischen Sharpe-Ratio (Rendite-/Risikoverhältnis) wurde auch der Pain-Index berechnet. Das ist die Fläche der Draw-Down-Kurve, die anzeigt, wie stark und lange der Investor unter den Draw Downs leidet. Der hier vorgestellte Graphensatz erzielt nicht nur eine gute Rendite, sondern mindert auch das potenzielle Leid auf dem Weg dorthin. Geringe Draw Downs sind zudem wichtig für die treffsichere Zielerreichung des Investors. Beim Graphansatz können die Marktrenditen durch die überragenden Diversifikationseigenschaften indirekt abgeschöpft werden, ohne explizite Renditeschätzer abgeben zu müssen. Diversifikation ist immer noch die kostengünstigste und effektivste Methode im Umgang mit der Unsicherheit der Finanzmärkte. Die zentrale Annahme des Ansatzes ist, dass die Märkte vernetzt sind. Weitere Annahmen sind rein methodischer Natur. Die Lernregeln der maschinellen Intelligenz sind standardisiert und deterministisch, womit sie sich zur (Beratungs-)Dokumentation und Transparenzerhöhung eignen. Es ist auch möglich, fortschrittlichere Ansätze, Schätzer und Views einfließen zu lassen, was die Ergebnisse weiter verbessern kann. Auch die Kombination der Graphmethode mit spezifischen Stilen eines bestehenden Robo-Ansatzes ist möglich. Ein Robo, der z. B. in die Fama-French-Faktoren über ETFs investiert oder das Risk-Parity- Konzept umsetzt, kann die Graphdiversifikation im finalen Portfolioaggregationsschritt hinzufügen, um seine Performance weiter zu stabilisieren. Bei vielen anderen Produkten geht man oft von einer Basisleistung aus und generiert eine Palette an lukrativen Zusatzleistungen. Dies ist auch mit dem Graphansatz möglich. Zudem können auch Kundenberater diesen Ansatz nutzen, um ihr Advisory zu verbessern (WealthTech bzw. AdvisoryTech). FAZIT Mit dem Graphansatz kann ein Investmentportfolio unter einen Schutzschirm gebracht werden, der das Vernetzungsrisiko automatisch überwacht (graphbasierter „Portfolio Health Check“). Der Berater oder Kunde erhält automatisch Vorschläge, wie das Portfolio in wenigen Schritten geheilt werden kann. Dem Kunden können stark individualisierte Portfolios angeboten werden, die eine Vielzahl an Wunschinvestments beinhalten und eine Graphdiversifikation darüber legen. Die Robustheit und Generalisierungsfähigkeit des Ansatzes macht dies möglich. Darüber hinaus können dem Kunden weitere sinnvolle Titel zu seinem Bestandsportfolio vorgeschlagen werden, um das Vernetzungsrisiko geschickt zu reduzieren. Mehrere Depots des Kunden können über APIs aggregiert und einer ganzheitlichen Graphanalyse zugeführt werden. Autor: Dr. Jochen Papenbrock ist Gründer und CEO von Firamis. 03 // 2017 61

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