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die bank 03 // 2017

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

MARKT teile bringen.

MARKT teile bringen. Einer Bank persönliche Daten freizugeben, die auch Freunde sehen können, kann sich nur ein Viertel der Probanden vorstellen, knapp zwei Drittel lehnen dies rundheraus ab. Eine auffällige Gruppe sind die „Hardliner“. Das sind die 25 bis 30 Prozent der Probanden, die jede Art des Kreditgeschäfts mit persönlichen Daten ablehnen. Diese Gruppe hält auch Datenschutz für sehr wichtig. Die Existenz dieser stattlichen Gruppe der Hardliner führt dazu, dass der Modus (also die häufigste Antwort) bei vielen Fragen bei der kompromisslosen Alternative „stimme überhaupt nicht zu“ liegt. Die resultierende Verteilung der Antworten ist wegen dieser Gruppe bei vielen Fragen stark linksschief. Das bedeutet, dass die extremen Meinungen auf der zustimmenden Seite schwach, auf der ablehnenden Seite aber sehr stark besetzt sind. Eine Bank, die persönliche Daten ihrer Kunden auswertet, könnte sich also der Gefahr aussetzen, von den Befürwortern (hier sind die Extremwerte dünn besetzt) keine besondere Unterstützung zu erhalten, während sie auf der ablehnenden Seite (hier gibt es extreme Meinungen in großer Zahl) mit heftiger Kritik rechnen muss. Erfahrungen der Schufa sind dafür ein ernstzunehmendes Beispiel. Reaktionen nach Informationen über das Bankenvorgehen In Situation II wurden die Probanden auch um eine Skizzierung ihrer wahrscheinlichen Reaktionen gebeten. Die Frage lautete: „Wenn ich von den Vorteilen profitieren könnte, dann würde ich…“. Das zentrale Ergebnis ist, dass die Menschen ihre Facebook-Seiten „schönen“, d.h. manipulieren würden. 58 Prozent würden deshalb weniger spontan Inhalte teilen und Likes vergeben, sondern lieber besser durchdenken. Rechtschreibung und Fotos würden kritischer durchdacht. Auch die Facebook-Kontakte rücken stärker ins Visier, die Probanden würden vermehrt „Freunde“ löschen oder gezielt Freundschaftsanfragen bei hochbewerteten Personen stellen. Seiten mit Karriere- und Bildungsinhalten würden häufiger geliked, dafür jedoch Seiten, die aus dem – vermuteten Blickwinkel eines Kreditgebers – nicht so vorteilhaft sind, nicht mehr so oft bewertet. Allerdings gibt es auch gegenteilige Ansichten, und diese sind sogar in der Überzahl. 52 Prozent lehnen es ab, bestimmte Freunde auf Facebook zu löschen. Gezielt und strategisch bestimmten Personen Freundschaftsanfragen zu stellen, welche einen guten Leumund haben und bei einer Kreditanalyse Pluspunkte bringen müssten, lehnen sogar 71 Prozent ab. Die Mehrheit schreckt also vor Manipulationen ihrer Facebook-Seiten noch zurück, aber ein bedeutender Teil der Probanden, der im Bereich 30 bis 40 Prozent liegt, würde solche Maßnahmen durchführen. Reaktionen nach Framing Im dritten Teil des Fragebogens wurden die Probanden über kritische Details der Kreditwürdigkeitsprüfung mithilfe von Social-Media-Daten informiert. Ihnen wurde erklärt, dass eine Bank durch Bewegungsprofile lernen könnte, in welchen Straßen man sich vorzugsweise bewegt, um aus dem häufigen Vorkommen von „schlechten“ Vierteln Schlüsse zu ziehen. Oder die Bank könnte Schlüsse aus der Zahl der Rechtschreibfehler, der Wortwahl oder der verwendeten grammatikalischen Wendungen ziehen, um die eigenen intellektuellen Fähigkeiten zu ermitteln. Genauso könnte die Bank Freunde analysieren und feststellen, wer mehr oder weniger „günstige“ Eigenschaften hat, wie viele darunter arbeitslos sind oder häufige Jobwechsel vornehmen, 18 03 // 2017

MARKT in schlechten Vierteln leben u. v. m., um aus diesen Daten auf die eigene Kreditwürdigkeit zu schließen. Mit derartigen eindringlichen Beispielen „geframt“, wurden die Probanden noch einmal nach ihrer Bereitschaft gefragt, ihr Facebook- Profil zu manipulieren. Die Reaktionen waren absolut überraschend. Denn die Zustimmung zu manipulierenden Maßnahmen nimmt in einem nicht zu erwartenden Maße zu. So stieg die Zustimmung zur Aussage, mehr auf die eigene Rechtschreibung zu achten, um 28 Prozentpunkte. Die Bereitschaft, die Verlinkung von Fotos zu überdenken, stieg um 20 Punkte und diejenige, bestimmte Fotos zu löschen, um 16 Punkte. Deutliche Steigerungen gab es auch bei den Aussagen, Bildungs- oder Karriereseiten häufiger zu liken sowie Seiten mit möglicherweise eher kritischen politischen oder religiösen Inhalten zu meiden. Die Bereitschaft, Informationen über den eigenen Standort bekanntzugeben, sank um elf Punkte. Auch hinsichtlich Maßnahmen, die sich auf die Freunde beziehen, stieg nach dem Framing die Bereitschaft zu gezielten Manipulationen. Selbst die oben erwähnten Hardliner schwenken um; der Modus bei den extrem ablehnenden Urteilen liegt nur noch bei sechs von zwölf Fragen, gegenüber neun von zwölf vor dem Framing. Alle Aussagen zusammen belegen, in welch hohem Maß Menschen bereit sind, Soziale Medien weniger als Teil der Persönlichkeit zu betrachten, als vielmehr als Instrumente, die man nach Nützlichkeitserwägungen handhabt. Die Menschen agieren pragmatisch-defätistisch. Ihnen ist bewusst, dass sie komplexe Systeme wie die Sozialen Medien als Einzelner nicht verändern können – nicht die Systeme, sondern sie selbst müssen sich anpassen. Die zunehmend sichtbar werdende Kommerzialisierung wird nicht geschätzt, aber man kann sie nicht verhindern. Man kann aber der Kommerzialisierung eigene Manipulationen entgegensetzen, um für sich den größtmöglichen Vorteil herauszuschlagen. FAZIT Der Trend zur Auswertung aller nur möglichen Datenbestände für kommerzielle Zwecke ist eine nicht mehr aufzuhaltende Entwicklung. Gerade die Auswertung persönlichster Daten ist dabei für Unternehmen interessant, weil derartige Daten bisher nicht verfügbar waren. Andererseits lässt sich erkennen, dass die betroffenen Konsumenten die Entwicklung mit Sorge sehen. Sie beobachten die zunehmende Kommerzialisierung ihres ganz persönlichen sozialen Umfelds. Sie erkennen, dass Big-Data-Analysen zur Kreditwürdigkeitsprüfung grundsätzlich eine nachvollziehbare Logik haben. Aber die Menschen mögen es nicht, wenn ihre Privatsphäre durchleuchtet wird. Ändern können sie wenig. Deshalb reagieren sie reziprok mit einer deutlichen „Wie Du mir, so ich Dir“-Mentalität: „Wenn ein Unternehmen meine Daten kommerziell ausbeutet, dann werde ich nicht untätig bleiben, sondern diese Daten so fälschen, dass auch ich Vorteile davon habe.“ Wer sein Facebook-Profil einer Bank freiwillig öffnet, will dadurch keinen Nachteil erleiden; etwas anderes wird als unfair empfunden. Ein Teil der Gesellschaft lehnt das Schnüffeln in privaten Daten aber grundsätzlich strikt ab. Vorreiterbanken müssen deshalb mit heftigem Widerstand rechnen. Die Einführung von Big-Data-Geschäftsmodellen sollte man neugegründeten FinTechs überlassen, die als Newcomer geringere Opportunitätskosten haben. Schon wenige Jahre nachdem sich die Sozialen Netzwerke etablierten, sind sie offenbar bereits dabei, zu rein kommerziellen Einrichtungen zu werden, deren Vorsilbe „sozial“ zur zynischen Staffage wird. Banken tun gut daran, hier zurückhaltend zu agieren. Es ist derzeit noch nicht absehbar, ob sich die manipulierten Daten in Sozialen Medien überhaupt für irgendwelche zielgerichteten Aktionen eignen. Für die Big- Data-Analysten werden die Manipulationen der Mediennutzer eine Herausforderung werden. Autoren: Prof. Dr. Friedrich Thießen, Jan-Justus Brenger M. Sc., Georg Gliem, Annemarie Kühn, Marianne Nake, Markus Neuber, Daniel Wulf, alle Arbeitskreis Big-Data-Analysen am Lehrstuhl Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre der TU Chemnitz. 1 OECAN steht für: Openness to experience, Conscientiousness, Extraversion, Agreeableness, Neuroticism, vgl. https://cambridgeanalytica. org/. 2 Die Autoren bedanken sich bei der Postbank für die Freigabe der Daten, die im Rahmen des Postbank Finance Award erhoben wurden. 03 // 2017 19

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