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die bank 02 // 2018

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

MANAGEMENT WEG VON DEN

MANAGEMENT WEG VON DEN FINANZKENNZAHLEN Schnellere Kreditvergabe durch Industrie 4.0-Daten Die Digitalisierung der Industrie bietet auch Chancen für die Finanzierung. Und die Unternehmen sind bereit, diese konsequent zu ergreifen. Laut einer aktuellen Studie würden 85 Prozent der mittelständischen Industriebetriebe Kreditgebern Echtzeit-Daten aus ihrer Produktion zur Verfügung stellen, um Kreditentscheidungen zu beschleunigen, die Darlehen flexibler zu gestalten und den Zinssatz zu senken. Die vierte industrielle Revolution erfasst derzeit die Finanzierung, und die Banken ziehen nicht mit. Statt sich darauf einzustellen, dass deutsche Mittelständler seit Jahren in digital vernetzte Produktionsanlagen investieren, arbeiten die Institute wie vor zwei Jahrzehnten: Ihre Kreditzusagen basieren auf vergangenheitsbezogenen Finanzkennzahlen und dinglichen Sicherheiten. Und sie knüpfen die Interventionsrechte, die zu einer Anpassung der Konditionen oder im Extremfall zur Kündigung führen, an die Entwicklung von Bilanz, GuV und BWA. Die Folge: Die Banken stellen das Erreichen einer kritischen Situation beim Kreditnehmer erst Monate nach dem jeweiligen Stichtag fest. Aber je länger Kreditgeber und Kreditnehmer damit warten, den Vertrag anzupassen, desto wahrscheinlicher wird ein größerer Schaden oder gar ein Ausfall des Darlehens. Die mittelständische Industrie ist in dieser Hinsicht bereits weiter, und sie wünscht sich andere, auf Echtzeit-Daten beruhende Kreditverträge – eine „Finanzierung 4.0“. Schon heute setzen 77 Prozent der befragten Unternehmen Maschinen und Anlagen ein, deren Sensoren anhand von Echtzeit-Daten eine weitgehend selbstständige Fertigung im Sinn einer Industrie 4.0 bewältigen können. Und 73 Prozent der Betriebe nutzen selbst Anlagen, die Daten an den jeweiligen Hersteller liefern, zum Beispiel im Rahmen von Service- und Wartungsverträgen. Das belegt die Studie „Industrieller Mittelstand und Finanzierung 4.0“, für die Creditshelf und die TU Darmstadt 187 Vorstände und Geschäftsführer befragt haben. Mehr Tempo, weniger Bürokratie Unabhängig davon, wie weit die Unternehmen in puncto Echtzeit-Erfassung sind: 85 Prozent aller Betriebe sind grundsätzlich bereit, ihren Kreditgebern Industrie-4.0-Daten zur Verfügung zu stellen, wenn sie diese von einer Investition überzeugen oder ihnen die Möglichkeit geben wollen, die Performance der finanzierten Anlage während der Laufzeit zu prüfen. Die übrigen Befragten haben Bedenken, sie befürchten Industriespionage oder misstrauen der Datensicherheit ihrer Hausbank. Zudem traut nahezu jeder Dritte seiner Bank eine solche Analyse nicht zu. Top-Manager, die auf eine „Finanzierung 4.0“ setzen, erhoffen sich davon in erster Linie schnellere Kreditentscheidungen. Mehr als die Hälfte der Befragten wollen eine unbürokratischere Kreditaufnahme erreichen, fast ebenso viele versprechen sich davon eine flexiblere Laufzeit sowie einen niedrigeren Zinssatz. Weitere Argumente für das Vorlegen der Echtzeit-Daten sind die Hoffnung auf eine höhere Variabilität bei der Kreditsumme und den Verzicht auf dingliche Sicherheiten. Schnelleres Eingreifen durch ständiges Monitoring In der Praxis hätte eine Bank, welche die Herstellungs- oder Durchlaufzahlen einzelner Maschinen in Echtzeit kennt, noch weitere Möglichkeiten: Erstens könnte sie die Betriebe besser überwachen und – im Fall von Problemen – schneller reagieren als auf Basis der Finanzinformationen aus Bilanz, GuV und BWA. So könnte sie ein Darlehen zeitnah den geänderten Rahmenbedingungen anpassen. Zweitens könnte ein Kreditgeber die Daten künftig in das Rating der Firma einbeziehen und drittens wirklich maßgeschneiderte Finanzierungen anbieten. Die Voraussetzungen dafür – nämlich die Echtzeit-Daten – sind oftmals in den Industriebetrieben vorhanden. Und die Studie zeigt: 47 Prozent der Unternehmen arbeiten bei ihren Investitionsentscheidungen bereits mit Modellen, welche industrielle Daten in einen Zusammenhang zu den Finanzkennzahlen stellen. Hier fließen insbesondere die Betriebsstunden und Verbrauchswerte ein, außerdem die Wartungsintervalle sowie die Durchlaufzeiten und Reklamationen. Weitere 42 Prozent der befragten Unternehmen sind gerade dabei, so ein Modell aufzubauen. ÿ 1 Echtzeit-Daten bleiben ungenutzt liegen Doch das Potenzial ist weitaus größer. Gut jeder zweite Industriebetrieb räumte in der Befragung ein, dass ihm sowohl das Knowhow als auch die technische Ausstattung fehlt, um die im eigenen Unternehmen oder beim Kunden erfassten Echtzeit-Daten auszuwerten. Viele der heute erhobenen Industrie-4.0- Daten bleiben also ungenutzt oder werden sogar falsch interpretiert. Daher erstaunt es nicht, dass die konventionelle Kredit-Finanzierung neuer Maschinen, Anlagen und Geräte über die Hausbank mit 42 Prozent beziehungsweise 46 Prozent 20 02 // 2018

MANAGEMENT 1 | Industrieller Mittelstand und Finanzierung 4.0 Arbeiten Sie in Ihrem Unternehmen bei Finanzierungsentscheidungen bereits mit einem Modell, dass Ihre industriellen Daten (Verbrauchswerte, Durchlaufzeiten, Ausschussquote, Reklamationen ...) in einen Zusammenhang zu ihren Finanzkennzahlen stellt? Nein 11 % 47 % Ja Nein, ist aber im Aufbau 42 % Quelle: nach wie vor einen hohen Stellenwert für die mittelständischen Industriebetriebe einnimmt. Die Studie zeigt aber auch: Mit 46 Prozent hat nahezu jede zweite dieser Firmen Probleme damit, ihre Bank von einer Investition zu überzeugen. Und nur 16 Prozent der Betriebe bezeichnen dies als leicht oder sogar sehr leicht. Entsprechend aufgeschlossen stehen die Unternehmen neuen Finanzierungsformen gegenüber: Fast neun von zehn Befragten halten ein Finanzierungsmodell für attraktiv, bei dem die Kreditkonditionen nicht vorrangig von historischen Finanzkennzahlen und vorhandenen Sicherheiten bestimmt werden, sondern von Daten, die die Performance der Investition belegen und jederzeit überprüfbar machen. Das betrifft nicht nur eigene Anschaffungen, sondern auch die – von 59 Prozent der befragten Industriebetriebe angebotene – Absatzfinanzierung, bei der der Verkäufer einer Anlage oder Maschine dem Kunden gleich eine Finanzierungslösung mitliefert. Vorbild sind hier die Automobilhersteller, die ihre Autobanken gegründet haben. Auch das Laser- und Maschinenbau-Unternehmen Trumpf hat ein hauseigenes Kreditinstitut gegründet. Und für die Zukunft können sich 92 Prozent der Finanzentscheider vorstellen, ihren Kunden Leistungsdaten-basierte Finanzierungsmodelle zu offerieren. FinTechs als Finanzierungs-Partner Eine herkömmliche Bank ist dazu nicht mehr zwingend erforderlich, und vonseiten der Industrie auch nicht unbedingt erwünscht: Mindestens jedes zweite Unternehmen, das bisher keine Absatzfinanzierung anbietet, wäre bereit, dies künftig doch zu tun, wenn es dazu kein Kreditinstitut als Partner bräuchte. An dieser Stelle kommen FinTechs ins Spiel. Sie können den Absatzkredit sowie den dazugehörigen Vertrag prüfen, eine schnelle Finanzierungszusage ermöglichen, das Darlehen auszahlen und die Rückzahlung an den Kreditgeber verwalten. Als Kreditgeber bieten sich dabei beispielsweise erfahrene Investoren an, wie Family Offices, High-Net-Worth-Individuals, Private Debt Funds und auch Privatbanken. Mit den endfälligen Unternehmenskrediten steht ihnen eine neue Anlageklasse offen, die bislang nicht verfügbar war. FAZIT Die Finanzierung emanzipiert sich von den klassischen, vergangenheitsbezogenen Kennzahlen. Auf der Basis von Echtzeit- Daten könnte ein Industrieunternehmen eine Absatzfinanzierung anbieten, ohne eine Partnerbank ins Boot holen oder eine eigene Banklizenz beantragen zu müssen. Es wäre damit in der Lage, den Kunden Konditionen für seine Maschinen und Anlagen einzuräumen, die diese über ihre Hausbank in der Regel nicht erhalten hätten. Das wiederum dürfte sich günstig auf den Absatz auswirken. Mit der Finanzierung 4.0 entsteht also eine Industrie-4.0-Anwendung, die weit über die schlichte Verbesserung bestehender Fertigungsprozesse hinausgeht. Dies ist die Chance für innovative FinTechs, die sich auf eine begrenzte Problemstellung spezialisiert haben und die etablierten Geschäftsmodelle der Banken mit neuen Ansätzen attackieren. Sie könnten hier die Lücke schließen und in eine Vorreiterrolle gehen. Autoren Dr. Tim Thabe, Diplom-Kaufmann, MBA und Chartered Financial Analyst (CFA), ist Gründer und Geschäftsführer des Online-Marktplatzes creditshelf. Vor dessen Gründung war er als COO weltweit für alle operativen und risikorelevanten Aspekte des internationalen Unternehmenskundengeschäfts der Schweizer Großbank UBS verantwortlich. Prof. Dr. Dirk Schiereck, Leiter des Fachgebiets Unternehmensfinanzierung an der TU Darmstadt und Research Fellow am Real Estate Management Institute an der EBS Universität Oestrich-Winkel. Er gehört zum wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Derivate Verbands (DDV) in Frankfurt am Main. 02 // 2018 21

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