DIGITALISIERUNG Dr. Daniel Pehle Dr. Lukas Friedrich Lang Andreas Lukic noch die Haltung, selber nach vorne marschieren zu wollen. Auch das ähnelt übrigens der Situation, wie wir sie in den 1990er-Jahren in anderen Branchen erlebt haben. Sievers: Bislang war die Debatte weitgehend von der Frage geprägt, wer gewinnt, FinTechs oder Banken. Ich denke, dass man stärker differenzieren muss. Auf der einen Seite haben wir das Modell, in dem die Bank zum reinen Produktprovider wird und FinTechs den Kunden besitzen. Das ist dann die allseits diskutierte Verdrängung. Für mindestens genauso spannend halte ich es, etablierte Wertschöpfungsketten aufzubrechen und neu zu gestalten. Das ist eine ganz andere Form von Disruption und ein völlig anderer Innovationsprozess. Banken und Fin- Techs bringen hier gemeinsam eine Innovation hervor und treiben diese voran. Beide arbeiten symbiotisch zusammen statt gegeneinander. Ich bin fest davon überzeugt, dass Banken FinTechs genauso brauchen wie die FinTechs die Banken. die bank: Sind für FinTechs auch Kooperationen mit Nicht-Banken interessant, z. B. mit großen Stadtwerken oder Telekommunikationsanbietern, die ja über den erforderlichen Kundenzugang verfügen? Thabe: Man muss einen Schritt weiter denken und sich fragen: was könnte diese Kooperation für den Kunden an Mehrwert bringen? Es gibt heute bei Nicht-Banken viele Prozesse, die an der Stelle enden, wo Finanzdienstleistungen benötigt werden. Deckert: Verantwortliche in Banken könnten sich durchaus mal die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll sein kann, auch als klassische Bank mehr als nur die normalen Bankleistungen anzubieten. Ein Kunde hat ja nicht primär das Bedürfnis, einen Kredit zu bekommen. Der will ein Geschäft machen, will irgendwie mobil sein oder gesund. Diese Grundbedürfnisse gilt es zu bedienen. Für Banken gibt es da durchaus Möglichkeiten. Andererseits erlebe ich diese totale Kundenzentriertheit auch in der Diskussion unter den FinTechs in dieser Konsequenz noch nicht. Auch dort dominiert die „Bankendenke“, bloß mit anderer Geschwindigkeit. Generell wird in der Bankenwelt noch immer zu wenig aus der Sicht des Kunden gedacht, sondern nach wie vor aus den Produkten heraus. Die werden halt ein bisschen „bunter“ gemacht. Ob Kunden das aber wirklich goutieren, wage ich zu bezweifeln. Letztlich gibt es nur sieben oder acht Grundbedürfnisse des menschlichen Seins. Mehr Plattformen oder Key Player braucht ein Mensch in seinem Leben auch nicht. Und am Ende gibt es für jedes dieser Grundbedürfnisse vielleicht noch zwei oder drei Alternativen. die bank: Wenn sich alles so dramatisch ändert und Banken noch mehr als die klassischen Leistungen anbieten sollen: Wie wird die Bankenwelt 2025 aussehen? Sievers: FinTechs werden die Banken nicht ablösen, große Banken wird es auch weiterhin geben. Allerdings werden wir eine Konsolidierung erleben. Diejenigen, die sich auf das Neue einlassen und sich an die Spitze der Bewegung setzen, können enorm gewinnen zu Lasten derjenigen, die zu lange versuchen, sich gegen das Unvermeidliche zu stemmen. Für die heutigen Großbanken wird es enorme Chancen geben. Vorausgesetzt, sie lassen sich auf das Neue ein – auch, wenn dies kurzfristig für das Bestandsgeschäft ein gewisses Kannibalisierungsrisiko birgt. Es wird auch eine stärkere Arbeitsteilung entlang der Wertschöpfungskette geben. Derjenige, der den Kunden besitzt, wird sich stark darauf fokussieren, diesen Kunden optimal zu bedienen. Egal, ob das Produkt aus dem eigenen Haus kommt oder nicht. Auf der anderen Seite wird es diejenigen geben, die alles darauf trimmen, der beste Produkthersteller zu sein. Lang: Wir werden drei Dinge sehen: Zum einen leistungsfähige, technologiegetriebene FinTechs, die teilweise nur eine App programmieren und damit erfolgreich sind. Zweitens wird es in veränderter Form und Grösse weiterhin die etablierten Banken geben. Und wir werden, drittens, Hybrid-Konstruktionen haben – initiiert z. B. von Google, Facebook und Apple-Bank -, die mit ihrer Marktmacht neue Produkte und Vertriebsformen mit enormer Durchschlagskraft implementieren werden. Pehle: Wenn wir von einer Apple-Bank als Zukunftsszenario reden, müssen wir uns fragen, warum Apple, Amazon und dergleichen nicht schon längst ins Bank- und Versicherungsgeschäft eingestiegen sind. Kundenzugang und vor allem Daten, Marke, technische Kompetenz, Geld usw. sind ja hinreichend vorhanden. Es gibt offenbar andere Gründe für die Zurückhaltung als den, dass sie es nicht könnten. Henker: Wenn wir uns den FinTech-Bereich anschauen, müssen wir uns eingestehen, dass wir selbst noch nicht so recht wissen, ob die aktuelle Entwicklungsrichtung wirklich diejenige ist, die innerhalb von 20 Jahren einen echten Big Player entstehen lässt. Der Wandel vollzieht sich in diesem Segment doch mit einer solchen Dynamik und Geschwindigkeit, dass die meisten Kunden noch gar nicht wissen, welche Möglichkeiten es heute schon gibt. Warum also sollte ein Unternehmen wie Google in einen derart unsicheren Bereich einsteigen?Von daher wird es noch zehn Jahre dauern, bis Google ins Banking einsteigt. 52 02 // 2017
DIGITALISIERUNG Dr. Tim Sievers Prof. Dr.-Ing. Thomas Schildhauer Dr. Tim Thabe Lang: Ich glaube, es wird schneller gehen.Das Unternehmen besitzt kraft seines Geschäftsmodells unglaublich viele Informationen über den gesamten Finanzdienstleistungssektor weltweit. Und diesen Schatz wird Google irgendwann monetarisieren wollen und selbst etwas anbieten. Lukic: Warum es überhaupt noch eine so große Zahl Banken gibt, darüber könnte man trefflich diskutieren. In Zukunft wird es diese große Zahl jedenfalls nicht mehr geben. 8o Prozent der alten Spieler werden wohl vom Markt verschwinden. Und was die FinTechs angeht: auch da gibt es leider immer diese Wellen. Im Augenblick gibt es extrem viele Start Ups in extrem vielen Bereichen. Wir können davon ausgehen, dass sich das sehr schnell ändern wird. Investoren sind nun mal Herdentiere. Pehle: Die meisten FinTechs setzen dort an, wo Banking aus ihrer Sicht nicht mehr zeitgemäß ist. Das allein ergibt aber nicht zwingend echten Zusatznutzen für Kunden. Den Modellen, die traditionelles Banking mit den neuen technischen Möglichkeiten punktuell ergänzen, fehlt aus meiner Sicht ein wichtiges Element: der Aufbau eines sogenannten Ökosystems, in dem die eigentlichen Bedürfnisse der Menschen abgedeckt werden, und nicht mehr nur vom Bankprodukt her gedacht wird. Aus meiner Sicht steckt im Banking mehr an Daten drin, auf dem ein Ökosystem aufsetzen kann, als z. B. bei Reisebuchungen. Nehmen wir den Versicherungsmarkt: Dort gibt es mittlerweile Leistungsprogramme, die Versicherer in Kooperation mit branchenfremden Partnern erstellen, um etwa das Thema Gesundheit weit über die Absicherung finanzieller Risiken hinaus abzudecken - durch Services zur Risikoprävention, Discounts beim Kauf gesundheitsfördernder Produkte und vieles mehr. Das gleiche Prinzip gilt im Banking: Kundenkenntnis auf Basis der vorhandenen und wo nötig zusätzlichen Daten steigern, relevante Bedürfnisse erkennen und mit allem bespielen, was notwendig und sinnvoll ist. Ob diese Zusatzleistungen von FinTechs kommen oder nicht, dürfte Kunden ziemlich egal sein. Digitalisierung rückt das Kundenbedürfnis in den Mittelpunkt. Banken, die ihre Kundschaft nicht bedienen können, laufen langfristig Gefahr, zu Produktlieferanten in die Ökosysteme anderer reduziert zu werden oder Teil der von Herrn Lukic genannten 80 Prozent werden. die bank: Herr Dr. Deckert, als langjähriger COO der UBS Deutschland kennen Sie die Herausforderungen für Banken bestens. Wie sollten die Etablierten vorgehen, um nicht vom Markt zu verschwinden? Deckert: Bei vielen wird es schlicht und einfach darum gehen, zu überleben, so hart das auch klingen mag. Das Management muss sein Augenmerk auf drei große Themenfelder richten. Erstens: Wie lässt sich das eigene Modell so umbauen, dass noch genügend Revenues generiert werden? Der zweite große Block an dringlichen Aktivitäten betrifft notwendige strukturelle Anpassungen: Hinten, im Back Office, müssen die Banken ihre Legacy Systeme weiter aufräumen. Die wesentliche Frage aber wird sein: Was mache ich vorn beim Kunden? Wie kann ich neue Dinge schneller umsetzen? Da fehlen noch die zielführenden Modelle. Man kann in die Digitalisierung natürlich 1 Mrd. € investieren, wie ein großes Institut das jetzt plant. Aus meiner Sicht dauert es allerdings viel zu lang, bis sich bei den bestehenden Strukturen substanziell etwas bewegt. Besser wäre es, die richtigen Antworten auf die Frage zu finden, wie man die eigenen Strukturen öffnen kann. Banken werden vermehrt – parallel zum bestehenden traditionellem Geschäft – neue digitale Wege und Geschäftsmodelle aufbauen müssen, die nicht auf dem bestehenden Legacy System mit all den Schwächen und veralteten Strukturen basieren. Ich bin überzeugt, dass die Zukunft solchen hybriden Modellen gehören wird. Und dann gibt es, drittens, noch den Block, der die organisatorischen und die kulturellen Herausforderungen betrifft: wie sehen in den bestehenden Organisationen Lösungen aus, mit denen es gelingt, die Digitalisierung und alles was damit zu tun hat, schneller durchgesetzt zu bekommen? Einzelne Abteilungen damit zu beauftragen, wird nicht ausreichen. Das kann allenfalls ein Anfang sein. Für die meisten Etablierten wird es sehr schwer, diesen Change zu bewältigen. Aber hier muss man ansetzen. Horch: Was die FinTechs betrifft: Sie müssen vor allem die Frage beantworten, wie ein echter Mehrwert aussehen könnte. Ob ein Kunde einen Fonds bei einer Bank kauft oder online, ist letztlich gleich, es ändert sich ausschließlich das Medium, nicht aber das Gefühl. FinTechs werden das Backend in der Finanzindustrie sicher nicht neu erfinden. Aber es müsste jemanden geben, der eine innovative Lösung für dieses „Wie“ findet. die bank: Vielen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte Volker Lindemann. 1 Vgl. die bank 09/2016 und 12/2016. Die hier abgedruckte Version ist eine gekürzte Wiedergabe des tatsächlichen Gesprächs. Die vollständige Fassung finden Sie ab sofort auf unserer Webseite www.die-bank.de. 02 // 2017 53
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