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die bank 02 // 2017

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

REGULIERUNG Gericht

REGULIERUNG Gericht geprüft werden, ob die Sanierungsaussichten während des Moratoriums rechtfertigen, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zurückzustellen. Das Spannungsfeld zwischen den Interessen der Gläubiger und der Intention des Gesetzgebers, möglichst frühzeitige Sanierungsmaßnahmen zu fördern, ist insbesondere bei der Frage der Insolvenzantragspflicht klar erkennbar. Die Kommission hat den Bedenken einzelner Mitgliedstaaten Rechnung getragen und es ihnen ermöglicht, die Antragspflicht beizubehalten. Das heißt, dass einzelne Mitgliedstaaten Schuldner, die sich bereits im vorinsolvenzlichen Verfahren befinden und zahlungsunfähig werden, trotzdem zwingen können, einen Insolvenzantrag zu stellen. Wenn das vorinsolvenzliche Verfahren jedoch nicht bei den Insolvenzgerichten angesiedelt ist, befassen sich dann in einem solchen Fall mehrere Gerichte mit den Verfahren. Aber auch bei nur einem Gericht wird ein Insolvenzverwalter aktiv und die Kosten des Verfahrens steigen. Für Schuldner und Gläubiger könnte damit ein wichtiger Anreiz entfallen, das Verfahren zu nutzen. Vermögens- und Geschäftsführungskontrolle: Der Schuldner soll die Kontrolle über sein Vermögen und die Geschäftsführung behalten. Unter anderem für den Fall, dass ein Moratorium verfügt wird, das alle Gläubiger betrifft, kann der Schuldner von Amts wegen dazu verpflichtet sein, einen Restrukturierungsexperten an Bord zu holen. Dieser kann eine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erhalten, er kann den Schuldner als Mediator bei den Verhandlungen mit den Gläubigern unterstützen oder er kann darüber hinaus als Sachwalter die Aktivitäten des Schuldners überwachen. Ziel des Verfahrens: Ziel des Verfahrens ist es, dass die Gläubiger einen Restrukturierungsplan annehmen, durch den die Insolvenz des Unternehmens abgewendet wird. Dabei ist es auch möglich, dass dieser Plan nur eine einzelne Gläubigerkategorie, wie z. B. die Finanzgläubiger, umfasst. Sowohl in Frankreich (mit der Sauvegarde Financière Accélérée) als auch in England (mit dem Scheme of Arrangement) wurden mit solchen partiell kollektiven Verfahren gute Erfahrungen gemacht. Der Vorteil ist, dass Gläubiger, die von einem Restrukturierungsplan nicht betroffen sind, in das Verfahren nicht einbezogen werden müssen. Betroffene Gläubiger sind dagegen in homogene Klassen einzuteilen, die zumindest zwischen gesicherten und ungesicherten Gläubigern unterscheiden. Zudem müssen die betroffenen Gläubiger umfassend informiert werden. Abgestimmt wird in den einzelnen Klassen. Verbindlichkeit des Restrukturierungsplans: Ein mehrheitlich beschlossener Restrukturierungsplan, der in Rechte von Gläubigern eingreift, die gegen das Restrukturierungsvorhaben gestimmt haben, oder die Aufnahme von Fresh Money vorsieht, wird für alle Gläubiger verbindlich, wenn ihn ein Gericht bestätigt. Stimmen einzelne Klassen dem Restrukturierungsplan nicht zu, kann das Gericht den Plan gleichwohl per Zustimmungsersetzung (Cross-Class Cram-Down) bestätigen. Dies ist aber nur möglich, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind: Zum einen darf ein Gläubiger durch den Plan nicht schlechter gestellt werden als in einem Abwicklungs- oder Verkaufsszenario. Zum anderen dürfen nachrangige Gläubiger nicht durch den Plan besser gestellt werden als die überstimmte Gläubigerklasse. Zudem können Anteilseigner – insbesondere, wenn sie mit keinerlei Zahlung rechnen dürfen – überstimmt werden, wenn die Annahme des Plans an ihrem Widerstand zu scheitern droht. Besonderer Schutz: Finanzierungsmaßnahmen, das sog. Fresh Money sowie Zahlungen und sonstige Transaktionen im Zusammenhang mit einem Sanierungsverfahren sollen zum Beispiel vor Insolvenzanfechtung oder Haftung besonders geschützt werden und dürfen Vorrang gegenüber sonstigen Forderungen einnehmen. Frühwarnsysteme für kleinere und mittlere Unternehmen: Insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen sollen über sog. Early Warning Tools wie zum Beispiel Buchhaltungs-, Monitoring- oder Berichtspflichten einen besseren und früheren Zugang zu Restrukturierungsmaßnahmen erhalten. Wichtig sind zudem die Vorgaben des Richtlinienvorschlags für Gerichte sowie Restrukturierungs- und Insolvenzexperten, mit denen die Effizienz von Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren gesteigert werden soll. Diese Vorgaben sind – anders als die oben genannten, die innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden müssen –durch die Mitgliedstaaten innerhalb von drei Jahren umzusetzen: Die Kommission erwartet von Gerichten und Experten eine angemessene Aus- und Fortbildung, Unabhängigkeit und Kompetenz, die Einführung eines Verhaltenskodex sowie klare, transparente und faire Auswahlverfahren, die auf Erfahrung und Expertise basieren. In grenzüberschreitenden Fällen verlangt die Kommission ausdrücklich und zu Recht, dass Experten mit entsprechender Erfahrung und Infrastruktur sowie der Fähigkeit, direkt mit ausländischen Verwaltern, Gerichten und öffentlichen Stellen zu kommunizieren und zu kooperieren, bei der Bestellung bevorzugt werden. Schließlich hat die Kommission vorgegeben, dass die Beteiligten wesentliche Verfahrensmaßnahmen elektronisch vornehmen können. Das beinhaltet auch, dass ausländische Gläubiger ihre Forderungen 48 02 // 2017

REGULIERUNG in einem deutschen Verfahren elektronisch anmelden und elektronisch über einen Plan abstimmen können. ZIELEINLAUF 2019? DER WEG ZUM VORINSOLVENZLICHEN SANIERUNGSVERFAHREN Das Bundesjustizministerium steht den Plänen der EU-Kommission bis dato grundsätzlich offen gegenüber, hat diese aber zunächst mit Zurückhaltung aufgenommen. Schließlich steht im Jahr 2017 hierzulande zunächst die Evaluierung der ESUG-Insolvenzrechtsreform an. Bereits im Rahmen dieser Reform war ein mögliches vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren diskutiert worden. Der Gesetzgeber entschied sich aber letztlich dagegen. Durch die Richtlinie wird er jetzt nicht umhinkommen, das Verfahren auch im deutschen Recht einzuführen. Autor: Patrick Ehret ist Partner im Geschäftsbereich Internationale Sanierungsberatung / Cross-Border Restructuring and Insolvencies bei der Kanzlei Schultze & Braun. Die Europäische Kommission hat ihren Richtlinien-Vorschlag am 22. November 2016 vorgelegt. Offiziell heißt dieser Vorschlag „Richtlinie über präventive Restrukturierungsverfahren, eine zweite Chance und Maßnahmen zur Effizienzsteigerung von Sanierungs-, Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren“. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Das Ziel könnte 2019 erreicht werden: Mit dem Richtlinien-Vorschlag setzt die EU-Kommission eine Initiative um, die sie mit einer Empfehlung vom 12. März 2014 angestoßen und im Aktionsplan für die Schaffung einer Kapitalmarktunion vom 30. September 2015 erneut aufgenommen hat. Mit der Vorlage des Richtlinien-Vorschlags beim Europäischen Parlament und beim Rat wurde das ordentliche Gesetzgebungsverfahren der EU eingeleitet. Wenn die EU den Vorschlag als Richtlinie beschließt – das dürfte frühestens im Lauf dieses Jahres geschehen – verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten dazu, die vorgegebenen Mindeststandards einzuhalten und die Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht umzusetzen. Dabei müssen die Mitgliedstaaten unter Umständen ihre jeweiligen Insolvenzordnungen anpassen. Spätestens dann – also voraussichtlich 2019 – wird der Werkzeugkasten der Restrukturierer in Europa um ein Instrument bereichert, dessen Grundzüge in allen EU- Staaten harmonisiert sind. 02 // 2017 49

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