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die bank 01 // 2023

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

MARKT 1 | Überblick

MARKT 1 | Überblick Zinssätze Nominale und reale Zinssätze für Wohnungsbaukredite in Deutschland sowie nominale und erwartete reale Renditen von Bundeswertpapieren von Januar 1999 bis September 2022 7 5 3 Werte in Prozent 1 - 1 - 3 - 5 - 7 Effektivzinssätze für Wohnungsbaukredite an Private (Neugeschäft; effektiver Jahreszinssatz einschließlich Kosten) Realzinssätze für Wohnungsbaukredite an Private (Neugeschäft; effektiver Jahreszinssatz einschließlich Kosten) Aus der Zinsstruktur abgeleitete Renditen für Bundeswertpapiere mit jährlichen Kuponzahlungen/10-jährige Restlaufzeit/Monatswert Erwartete Realzinsen für Bundeswertpapiere mit 10-jähriger Restlaufzeit (Fisher-Regel; Analysteninflationserwartungen) - 9 Jan 99 Aug 99 Mrz 00 Okt 00 Mai 01 Dez 01 Jul 02 Feb 03 Sep 03 Apr 04 Nov 04 Jun 05 Jan 06 Aug 06 Mrz 07 Okt 07 Mai 08 Dez 08 Jul 09 Feb 10 Sep 10 Apr 11 Nov 11 Jun 12 Jan 13 Aug 13 Mrz 14 Okt 14 Mai 15 Dez 15 Jul 16 Feb 17 Sep 17 Apr 18 Nov 18 Jun 19 Jan 20 Aug 20 Mrz 21 Okt 21 Mai 22 Quelle: Deutsche Bundesbank 2022; eigene Berechnungen; eigene Darstellung. sen bilden und die Widerstandsfähigkeit, die am Wohnimmobilienmarkt des Euroraums zu beobachten war, in gewissem Umfang erklären.“ Das Marktzinsniveau verdient eine vertiefte Betrachtung In ihrem „Financial Stability Review“ von Mai 2022 berechnen weitere Volkswirte der EZB für einen nachfrageinduzierten Immobilienpreisrückgang von 1 Prozent eine Reduktion der Gesamtwirtschaftsleistung innerhalb von zwei Jahren in Höhe von 0,2 Prozent bis sogar 0,9 Prozent. 2 Daher verdient das Marktzinsniveau eine weitere vertiefte Betrachtung. Dazu visualisiert die Abbildung ÿ 1 in diesem Beitrag die Entwicklungen von nominalen und realen Zinssätzen bzw. Renditen für die Zeit der Europäischen Währungsunion. Bei den bordeaux-farbigen Kurven ist gepunktet der nominale und linear der reale Zinssatz für gewichtet durchschnittliche Wohnungsbaukredite in Deutschland im Neugeschäft mit privaten Haushalten zu erkennen. Während der nominale Zinssatz seit Anfang 2021 kontinuierlich anstieg, sank der reale Zinssatz bis Mai 2022 nahezu stetig weiter ab. Im Mai 2022 betrug die Rekorddifferenz beider Zinssätze 8,3 Prozentpunkte. In den beiden Folgemonaten stieg auch der Realzinssatz leicht an. Im Berichtsmonat August 2022 lagen der Nominalzinssatz bei +2,9 Prozent, der Realzinssatz bei -5,4 Prozent und die Zinssatzdifferenz bei 8,3 Prozentpunkten. Der Grund für die verzögerte Realzinssatzanpassung sind die steigenden und hohen Inflationsraten seit Anfang 2021. Wichtig ist hierbei zu berücksichtigen, dass Realzinssätze nicht mehr allein als Differenz von Nominalzinssatz und Inflationsrate (also die sog. Fisher-Regel für kleine Inflationsraten) berechnet werden. Vielmehr ist diese Differenz noch um den jeweiligen Kaufkraftverlust zu diskontieren. 3 Zum Vergleich hätte der Realzinssatz im August 2022 nach der Fisher-Regel -5,9 Prozent anstatt der genannten -5,4 Prozent betragen. Bei negativen Differenzen führt die Diskontierung also zu einem höheren Realzinssatz et vice versa. Weiterhin sind zur Berechnung von Realzinssätzen die korrekten Inflationsraten zu berücksichtigen. Für die Geldpolitik im Eurosystem, also auch für die Deutsche Bundesbank, gelten die „Harmonisierten Verbraucherpreisinflationsraten“ (HVPI). Nicht mehr relevant sind „Nationale Verbraucherpreisinflationsraten“ (NVPI). Im September 2022 betrugen für Deutschland die NVPI 9,9 Prozent, der HVPI aber 10,9 Prozent. Berechnungsmethodik und Auswahl der Inflationsraten besitzen einen großen Einfluss auf die Realzinssätze. In der Abbildung zu diesem Beitrag sind die realen Kreditzinssätze auf Basis der HVPI- Werte berechnet. Die Deutsche Bundesbank selbst ist in diesem Kontext nicht stringent und berechnet und kommuniziert Realzinssätze für Spareinlagen mit dreimonatiger Kündigungsfrist auf Basis der Fisher-Regel und der NVPI. Die Ergebnisse geben also eine verzerrte Wirklichkeit wieder. 16 01 | 2023

MARKT Für August 2022 weist die Zentralbank einen realen Sparzinssatz in Höhe von -7,3 Prozent aus, korrekt berechnet liegt er aber bei -8,0 Prozent – die deutschen Sparer stehen also schlechter da, als es kommuniziert wird. 4 Zinssätze wirken nur für die Zukunft Die bisherigen Überlegungen basieren auf Realzinssatz-Berechnungen im Nachhinein. Doch Zinssätze und dazugehörige Investitionsentscheidungen wirken in die Zukunft. Daher sind Realzinssätze eigentlich auf Basis erwarteter Inflationsraten zu berechnen. Hierzu erhebt die Deutsche Bundesbank eine eigene Datenreihe. Auf Basis der Renditen für Bundeswertpapiere mit zehnjähriger Restlaufzeit berechnet sie auf der Grundlage der Fisher-Regel die erwarteten Realzinssätze für eben diese Bundeswertpapiere. „Im Ergebnis werden die zum Zeitpunkt des Erwerbs der Schuldverschreibungen erwarteten künftigen Realzinsen gezeigt“, heißt es dazu in den Statistiken der Deutschen Bundesbank. Beide Zeitreihen sind als blaue Kurven ebenfalls in der Abbildung zu diesem Beitrag enthalten. Wiederum visualisiert die gepunktete Kurve die nominalen Werte und die linierte Kurve die erwarteten Realzinssätze. Hierbei fällt auf, dass die Differenzen zwischen nominalen und (erwarteten) realen Werten in den meisten Fällen zwischen 1,5 und 2,0 Prozentpunkten liegen. Seit Ende 2021 liegen sie jedoch oberhalb der 2,0 Prozent-Grenze, seit August 2022 beträgt die Differenz sogar 3,1 Prozentpunkte. Die Betrachtung der realen Zinssätze für Wohnungsbaukredite und Bundeswertpapiere hat gezeigt, dass im Betrachtungszeitraum seit Einführung des Euro die realen Verzinsungen langfristig gesunken sind. Bei den erwarteten Realzinssätzen für Bundeswertpapiere ist auch im Jahr 2022 noch keine Trendumkehr zu konstatieren. In der Zinstheorie gilt dagegen die Vermutung langfristig konstanter Realzinssätze, wenn sich die nominalen Zinssätze vollständig an der Inflationsentwicklung ausrichten (das ist der sog. Fisher-Effekt oder Preiserwartungseffekt). Für das betrachtete Zeitfenster ist diese theoretisch belegte Vermutung empirisch nicht zu bestätigen. Das grundsätzliche Problem bei einem unterstellten Preiserwartungseffekt erklärt bspw. der Ökonom Ottmar Issing durch die folgenden drei Gründe: 5 Z Eine direkte Umsetzung höherer Zinsforderungen bereits bei lediglich erwarteten ansteigenden Inflationsraten scheint nicht durchsetzbar zu sein. Z Wirtschaftssubjekte sind nicht in der Lage, mit Sicherheit Inflationsprognosen zu stellen. Z Es existieren keine kollektiv-homogenen, sondern heterogene Inflationserwartungen. Es kann also sein, dass eine Marktseite unter Umständen nicht in der Lage ist, die eigenen Inflationserwartungen durchzusetzen. Autor Prof. Dr. Markus Knüfermann lehrt Volkswirtschaftslehre an der Immobilienhochschule EBZ Business School (FH) und berät freiberuflich Kreditinstitute und Wohnungsunternehmen im Rahmen seiner estma-Analysen. Dazu ist er Aufsichtsratsvorsitzender der FIDUS Finanz AG und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Aukera AG. 1 Battistini, N./Gareis, J./Roma, M. (2022): „Auswirkungen der steigenden Hypothekenzinsen auf den Wohnimmobilienmarkt im Euro-Währungsgebiet.“ In: Europäische Zentralbank (Hrsg.): Wirtschaftsbericht, Ausgabe 6/2022. 2 Vgl. Di Casola, P./Dieckelmann, D./Grothe, M. et al. (2022): „Drivers of rising house prices and the risk of reversal.” In: Europäische Zentralbank (Hrsg.): Financial Stability Review, May 2022. 3 Vgl. Knüfermann, M. (2021): „Wirtschaftspolitisches Wissen für die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft“, 2. Auflage. Springer Gabler, Wiesbaden, sowie Knüfermann, M./Vornholz, G. (2022): „Inflation, Zinswende und Immobilienmärkte – Folgen für die Immobilienpreise.“ In: Immobilien & Finanzierung, 73. Jg. (Heft 9). 4 Vgl. Deutsche Bundesbank (2022): Statistiken. URL: „https://www.bundesbank.de/de/statistiken“ (Abruf diverser Marktdaten und Informationen am 27. September 2022 und 08. Oktober 2022). 5 Issing, O. (2011): „Einführung in die Geldtheorie“, 15. Auflage. Vahlen, München. FAZIT Die Entwicklungen der Nominalzinssätze entsprechen zusammenfassend nicht der Entwicklung der Inflationsraten, sodass zumindest noch die erwarteten Realzinssätze keiner Zinswende unterliegen. Der Einfluss steigender Nominalzinssätze hat nach eigenen Markterfahrungen zwar schon zu Anpassungen der Investitionsaktivitäten auf den deutschen Immobilienmärkten geführt. Gesamtwirtschaftlich steuert aber die Realverzinsung die Investitionstätigkeiten. Solange diese Realverzinsung noch nicht schockartig ansteigt, sind auch keine Crash-artigen Aktionen bei Immobilieninvestitionen, keine Exit-Strategien und Abverkäufe von Immobilien zu erwarten. In diesem Beitrag konnte aber aufgezeigt werden, dass die Realzinssätze in unterschiedlicher Weise berechnet werden. Die mathematisch korrekte Weise mittels Diskontierung identifizierte einen kurzfristigen Trend steigender Realzinssätze bei Wohnungsbaukrediten. Sollte dieser Trend anhalten, wäre auch eine reale Zinswende eingeleitet. In diesem Fall müsste mit deutlichen Korrekturen an der Immobilienpreisentwicklung gerechnet werden. 01 | 2023 17

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