Aufrufe
vor 3 Jahren

diebank 07 // 2020

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

SCHWERPUNKT

SCHWERPUNKT ZAHLUNGSVERKEHR Basierend auf den bisherigen Erfahrungen im Hinblick auf die T2-Konsolidierung lässt sich sagen, dass wohl die Mehrheit der Kreditinstitute bei der Umstellung ihrer originären Zahlungsverkehrssysteme (ZV-Systeme) auf einem guten Weg ist. Die zeitlichen Vorgaben der EZB werden sie im Wesentlichen einhalten können. Aber es läuft derzeit für viele Institute auf eine reine Pflichtveranstaltung hinaus. Der Fokus liegt auf den vom Big Bang im November 2021 betroffenen ZV-Systemen, beispielsweise dem zentralen Liquiditätsmanagement mit dem zentralen Geldkonto und spezifischen Geldkonten für Zahlungen von Großbeträgen, Securities Settlement und Instant Payments. Eine Migration aus einem Guss mit einer neuen Zahlungsverkehrsstrategie, die alle Systeme und Abläufe enthält, peilen viele Banken nicht an. In vielen Migrationsplänen für November 2021 sind vor allem diejenigen Systeme nicht enthalten, die nicht direkt dem Zahlungsverkehr zuzuordnen sind, jedoch durch Schnittstellen mit den ZV-Systemen verbunden sind. Sie müssen allerdings ebenfalls an die neuen Gegebenheiten angepasst werden. In der Übersicht in ÿ 2 sind das die hellblau markierten „transaktionsauslösenden bzw. verarbeitenden Systeme“, vornehmlich aus dem Handelsbereich, aber auch dem Personalwesen und Aktivgeschäft. Diese Software-Anwendungen sind in der Regel nicht direkt im Zahlungsverkehr angesiedelt, sondern in zahlungsverkehrsfernen Fachbereichen. Demzufolge erhöhen sie natürlich allein aufgrund der horizontalen Diversifizierung die Anzahl der einzubindenden Bereiche und damit die Projektkomplexität sowie den Abstimmungsbedarf. Besonderheiten der Drittsysteme einplanen Unabhängig von der Planung: Wichtig ist, dass Banken sich mit den spezifischen Anforderungen der einzelnen Drittsysteme vertraut machen. Folgende Aspekte können die Anpassungsarbeiten erschweren und womöglich das Erreichen des Projektziels gefährden: Z Jedes System ist anders und erfordert unter Umständen eigene Herangehensweisen. Diese Methodik sollten Banken im Gesamtprojektplan festhalten. Z Ein Drittsystem kann sowohl Euro- als auch Fremdwährungszahlungen erzeugen. Das bedeutet einen zusätzlichen Aufwand durch die ISO-20022-Umstellung für Fremdwährungszahlungen. Z Drittsysteme werden womöglich von externen Dienstleistern betreut. Diese müssen Banken einbinden, dadurch steigt die Zahl der Projektbeteiligten. Z Drittsysteme sind häufig sogenannte Altsysteme und damit nicht ausreichend dokumentiert. Banken müssen tiefer in die Systemanalyse einsteigen und entsprechend Zeit und Ressourcen vorsehen. Z Zudem ist die Systemarchitektur häufig veraltet. Das zwingt zu Anpassungen an die Gegebenheiten, obwohl damit die Kosten für den IT-Betrieb anwachsen. Z Die Zahlungsverkehrskomponente ist nur ein Nebenprodukt des Drittsystems. Andere, fachlich geprägte Anforderungen haben häufig Vorrang. Z Für Drittsysteme fehlt oft spezifische Zahlungsverkehrsexpertise. Die Systemverantwortlichen müssen sich erst einarbeiten. Die Folge sind Ressourcenengpässe und -überlastungen. In der Praxis ergeben sich zudem Unterschiede, wie Zahlungsverkehr von den Drittsystemen abgewickelt wird. Folgende beispielhafte Konstellationen können auftreten: 1. Das System arbeitet vollkommen autark und übergibt Euro-Zahlungsaufträge ohne Einschaltung des ZV-Systems an SWIFT oder TARGET2. Buchungen werden direkt erstellt und an die Buchungssysteme übergeben. 2. wie 1., das Drittsystem übergibt jedoch Zahlungsaufträge über das ZV-System zur Durchführung der Embargo-Prüfungen. 3. Das Drittsystem verarbeitet Zahlungsaufträge sowohl vollkommen autark als auch mithilfe des ZV-Systems – je nach Vorgang. 4. Das Drittsystem erstellt zwar Zahlungsaufträge, den weiteren Prozess und die Buchung übernimmt jedoch das ZV-System. Fallstricke bei der Migration Angesichts der Fülle an Handlungsfeldern und Besonderheiten besteht bei einer nachgelagerten Umstellung der Drittsysteme das Risiko, dass sich Banken verzetteln und noch über Jahre einen Rattenschwanz an Folgeprojekten hinter sich herziehen. Denn eines sollte nicht unterschätzt werden: Die Konsolidierung betrifft eine Vielzahl von IT-Systemen und noch mehr Schnittstellen. Es gibt durchaus Institute mit bis zu 100 Systemen mit einer Anbindung an den Zahlungsverkehr. Die Menge übertrifft nicht selten in Summe die Anzahl der direkten ZV-Systeme eines Kreditinstituts. Diese Drittsysteme wurden über die Zeit an das Kernbanksystem angedockt und übermitteln Informationen häufig in unterschiedlichen Formaten. Aktuell behelfen sich viele Banken, indem sie eine Art Konverter zwischenschalten, der Datenformate in das korrekte TARGET- oder SWIFT-Format umwandelt. Die Umwandler müssen im Zuge der Migration ebenfalls angepasst werden. Ein zusätzlicher Aufwandstreiber, der auf die Banken wartet, sind die neuen Datenfelder. Nach der TARGET-Konsolidierung wird es etwa 30 neue Datenfelder geben, für die es in den derzeitigen Systemen der Banken kein Pendant gibt. Die Institute müssen somit Regeln definieren, wie sie die Datenfelder in ihren internen Systemen korrekt zuordnen. Dazu müssen sie die Logik hinter jedem Feld genau verstehen. Die Interpretation gestaltet sich derzeit schwierig. Es ist teilweise noch unklar, welche Informationen in welchen Datenfeldern stehen. Das erfordert einen engen Austausch mit der EZB, und diesen Aufwand müssen die Projektmanager einkalkulieren. Handlungsempfehlung: Zahlungsverkehr aus einem Guss entwickeln Es ist aus Sicht der Banken zunächst plausibel, wenn sie sich angesichts der vielen weiteren Projekte dazu entscheiden, sich bei der T2/ T2S-Konsolidierung auf die reinen ZV-Systeme zu konzentrieren. Kurzfristig reduziert sich der Aufwand erst einmal. Es sprechen allerdings einige Argumente dafür, auch diejenigen Systeme, die aus Sicht einzelner Institute weniger ge- 60 07 // 2020

SCHWERPUNKT ZAHLUNGSVERKEHR 2 | Systeme im Zahlungsverkehr, Formate und Schnittstellen Banken & Clearing Formale Prüfung » Syntax » Compliance » Disposition Abwicklung » Bearbeitung » Dokumentation Clearing » Formatierung » Leitwegermittlung Banken & Clearing Interne Systeme Statische Daten » Adressdaten » Kontodaten » Personendaten Konditionen » Abrechnungen » Rechnungsstellung Nachforschungen » Dokumentation » Kommunikation Buchungssysteme SWIFT Kundenzugänge Angrenzende nicht ZV-Systeme, z. B.: » Treasury, Funding » Kreditgeschäft (inkl. Leasing, Factoring, Bürgschaften) » Depotgeschäft » Compliance » Trade Finance / Garantiegeschäfte » Personalwirtschaft » Archiv/Berichtswesen/Datenausgabe/Druckausgabe » angeschlossene Institute (z. B. Sparkassen, Volks- oder Raiffeisenbanken) SWIFT Kommunikation schäftskritisch sind und die die Banken aus diesem Grund später umstellen wollen, dennoch so zeitnah wie möglich zu migrieren. Es ist zunächst unter dem Strich effizienter, wenn ähnliche Sachverhalte in einem Rutsch abgehandelt werden. Banken können so Synergien nutzen und das Automatisierungspotenzial ausschöpfen. Das gilt beispielsweise für die anstehenden System- und Fachtests. ZV-Nachrichten sind gut standardisierbar, auslagerungsfähig und lassen sich somit gut automatisieren. Darüber hinaus ist eine Migration aus einem Guss auch mit Blick auf die Zukunft des Bankgeschäfts und die strategische Ausrichtung sinnvoll. Je früher alle Systeme auf die neuen (erweiterten) Formate umgestellt sind, desto schneller profitieren Banken maximal von den Vorteilen, die die Harmonisierung bietet. Banken können durch die Umstellung Struktur und Umfang des Datenhaushalts neu definieren und ein leistungsfähiges Data Warehouse entwickeln. Sie können Cloud- Strategien prüfen und sich anonym mit anderen Nutzern vergleichen. Denkbar sind zudem das Zusammentragen von zeitkritischen Informationen, die automatisierte und gezielte Weiterleitung von Informationen, individualisierte Vorgaben (z. B. Länder, BICs, Schlüsselwörter) sowie das Lernen aus Mustern mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Ein weiteres Ziel, die standardisierte Schnittstelle zwischen Bankkunden, Behörden und internen Stellen, ließe sich ebenfalls schneller und einfacher realisieren. Die aktuelle Harmonisierung ist somit eine enorme Chance, die Vorteile der Konsolidierung umfassend zu nutzen. Zudem vermeiden Banken weitere – gefühlt endlose – T2/T2S- Konsolidierungsprojekte, die mit anderen dringenden Projektvorhaben kollidieren würden. Und: SWIFT hat die MX-Migration, die parallel mit der T2-Umstellung erfolgen sollte, um ein Jahr verschoben. Daraus ergeben sich möglicherweise Freiräume, die Banken für die Umstellung der Drittsysteme nutzen können – auch wenn die Frist, bis zu der beide Welten parallel laufen dürfen, von SWIFT nicht verlängert wurde. FAZIT Die T2/T2S-Konsolidierung ist ein hochkomplexes Thema für die Banken, weil so viele verschiedene IT-Systeme direkt und indirekt betroffen sind. Der Fokus auf die eigentlichen ZV-Systeme ist nachvollziehbar, verschiebt den Aufwand allerdings nur in die Zukunft mit dem zusätzlichen Nachteil, viele Synergien durch das Zusammenpacken von Arbeiten zu verpassen. Die Umstellung bietet eine exzellente Gelegenheit, die gesamte Systemarchitektur zu betrachten und zukunftsgerichtet aufzustellen. Banken können Schnittstellen reduzieren und vereinheitlichen und so ihren IT-Betrieb deutlich verschlanken – ein Problem, das speziell Großbanken stark umtreibt. Zudem können die Institute ihre vielen internen Nachrichtenformate vereinheitlichen und damit die aufwendigen Übersetzungssysteme abschaffen. Je früher alle Systeme auf die neuen (erweiterten) Formate umgestellt sind, desto schneller können Banken den maximalen Nutzen erzielen, den diese Formate bieten, und in Form verbesserter Leistungen an ihre Kunden weitergeben. Die Empfehlung kann deshalb nur lauten, sich mit dem Gesamtpaket Zahlungsverkehr zu befassen und so von sämtlichen Vorteilen, die die Harmonisierung mit sich bringt, zu profitieren. Autor Uwe Schulze, Senior Consultant bei Sopra Steria, ist Experte für Zahlungsverkehr und berät Institute bei der Umstellung auf die neuen Standards bei Zahlungsverkehrsnachrichten. 07 // 2020 61

die bank