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die bank 09 // 2018

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

BERUF & KARRIERE

BERUF & KARRIERE MITARBEITER UND COMMITMENT Die feste Bindung sollte ein Ziel der Unternehmensführung sein „Fühlt sich eine Belegschaft im Unternehmen zu Hause und mit ihm verbunden, unterscheidet sie sich in Einsatz, Mitdenken, Problemsensibilität und auch Gesundheit deutlich von einer Belegschaft, die dem Betrieb innerlich distanziert gegenüber steht. Die Kräfte der inneren Bindung an das Unternehmen dürfen in ihrer Auswirkung auf die betriebliche Effizienz nicht unterschätzt werden“, sagt Professor Erich Kirchler, Vorstand des Instituts für Angewandte Psychologie der Universität Wien. die bank: Professor Kirchler, was bedeutet „innere Bindung“ an ein Unternehmen? Kirchler: Grundsätzlich das Gefühl, da gehöre ich hin, da gehöre ich dazu, da fühle ich mich wohl und zu Hause, da gehe ich jeden Morgen gerne wieder hin. Allerdings müssen wir dieses Gefühl sozusagen von seinen Triebkräften her genauer betrachten. Denn die innere Bindung, wir sprechen heute von Commitment, kann von ihrer Motivlage her sehr unterschiedlich sein. Das heißt, wir müssen drei Spielarten der inneren Bindung auseinanderhalten: kalkulierendes, affektives und normatives Commitment. die bank: Bitte erläutern Sie uns das der Reihe nach. Kirchler: Die Bindung an ein Unternehmen kann aufgrund rationalen Kalküls hoch sein. Organisationspsychologisch gesehen hängt das Commitment von der Zufriedenheit, den in eine Beziehung getätigten Investitionen und alternativen Chancen ab. Das heißt: Wird die Tätigkeit in einer Organisation als belohnend erlebt und die für diese Tätigkeit aufzubringenden Investitionen sind überschaubar, dann steigt die Zufriedenheit mit der Arbeit und der Organisation. Wurde ein hoher Aufwand betrieben, um die Qualifikation für eine Tätigkeit in der Organisation und für den Arbeitsplatz zu erreichen, dann liegen hohe Investitionen vor, die ebenfalls bindend wirken können. Bietet der Arbeitsmarkt wenig attraktive Alternativen und die Chancen, etwas Besseres zu finden, sind gering, auch dann ist der Druck, sich weiter an das Unternehmen zu binden hoch. Insgesamt steigt das kalkulierende Commitment, wenn die Zufriedenheit und Investitionen hoch sind und attraktive Alternativen gering. die bank: Im Gegensatz dazu besagt das affektive, also das gefühlsmäßige Commitment was? Kirchler: Dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter nicht rational auf das Unternehmen schaut und Vor- und Nachteile für ein Verbleiben in der Organisation sozusagen durchkalkuliert, sondern sich aus einem starken inneren Gefühl heraus für den Verbleib im Unternehmen entscheidet, sich mit ihm identifiziert und über diese Identifikation eine hohe Bindung entwickelt. Beim affektiven Commitment fühlen sich Belegschaftsmitglieder emotional an das Unternehmen und dessen Ziele gebunden und entwickeln ein Gefühl des organisationalen Citizenship. Sie empfinden sich als „Verkörperung“ des Unternehmens. Die Einzelnen definieren durch die Zugehörigkeit zum Unternehmen ihr soziales Selbstbild und gewinnen daraus ihren Selbstwert. Hohes affektives Commitment wird in der Einstellung zum Unternehmen sichtbar, in der Identifikation mit der Organisation und dem Wunsch, in der Organisation zu verbleiben und nicht nach Alternativen zu suchen. Und das schlägt sich in der Motivation zur Leistung und in der Bereitschaft nieder, sich für die Organisationsziele einzusetzen. Affektives Commitment kann sich in Sätzen ausdrücken wie: Ich fühle mich vom Unternehmen und besonders auch von meinem direkten Vorgesetzten fair behandelt. Ich habe eine Aufgabe, bei der ich meine Stärken einsetzen kann, und meine Arbeit wird wertgeschätzt. Ich werde nicht nur gefordert, ich werde auch gefördert. Mein Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum passen zu meinen Kompetenzen und meiner Persönlichkeit. In Zeiten persönlicher Krisen, Krankheit, familiärer Probleme, Todesfälle, geht das Unternehmen fürsorglich mit mir um. die bank: Und was ist unter normativer Bindung zu verstehen? Kirchler: Das Empfinden, dem Unternehmen sozusagen unter einem Werteaspekt verpflichtet zu sein. Wer sich normativ an ein Unternehmen gebunden fühlt, sieht es als Pflicht an, der Organisation treu zu bleiben und als amoralisch, sich nicht für die Ziele einzusetzen oder gar die Organisation zu verlassen. Dahinter kann 72 09 // 2018

BERUF & KARRIERE beispielsweise die Überzeugung von der Richtigkeit einer Sache oder einer Zielsetzung stehen. Soll heißen: Das Unternehmen folgt einer Vision oder einem Zweck, der für mich Sinn macht und mit dem ich mich identifizieren kann. Im Unternehmen werden Werte gelebt, die mit meinem persönlichen Werten übereinstimmen beziehungsweise damit vereinbar sind. die bank: Wie profitiert ein Unternehmen vom Commitment der Belegschaft? Kirchler: Hohe, insbesondere hohe affektive Bindung fördert Einsatz, Mitdenken und Problemsensibilität. Oder anders ausgedrückt, es fördert die intrinsische Motivation, also die Motivation, aus eigenem Antrieb mitzuziehen, sich für die Organisationsziele einzusetzen. Und das auch über die Regelarbeitszeit hinaus. Womit allerdings auch deutlich wird: Wie alles, hat auch hohe Bindung eine Kehrseite. Kann doch die Work-Life-Balance dadurch bis hin zur Selbstausbeutung in eine Schieflage geraten. Hier ist die Verantwortung der Unternehmensführung für ihre Belegschaft gefragt. Dennoch, die Bindung, das Commitment der Mitarbeiter sollte ein bedeutendes Ziel der Unternehmensführung sein. Korreliert hohe Bindung doch mit dem gerade in dieser Zeit ganz im Vordergrund stehenden innovativen Verhalten. Desgleichen mit geringer Fluktuation und deutlich geringerem Absentismus, also weniger Ausfallzeiten. Nicht zu unterschätzende Auswirkung von Commitment ist auch die hohe Loyalität sowie die damit verbundene wertschätzende Kommunikation über die Organisation. Dadurch wirkt die Belegschaft als „Botschafter“ des Unternehmens und trägt ein positives Bild des Unternehmens nach außen. die bank: Wodurch wird heute die Bedeutung des Commitments in den Hintergrund gedrängt und droht, aus dem Blick zu geraten? Kirchler: Abgesehen von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere einer veränderten Einstellung zur Arbeit, sind es aus dem Blickwinkel der Unternehmen gesehen drei Bereiche, die dafür „verantwortlich“ sind: neue Arbeitsformen, die Digitalisierung und die Führung. So vereinen neue Arbeitsformen eindeutig Chancen und Risiken in sich. Verlieren Mitarbeiter aufgrund von hohen Homeoffice- Anteilen den Kontakt zu ihren Kolleginnen und Kollegen, sind Leiharbeiter für ständig wechselnde Unternehmen tätig, ist es notwendig, für verschiedene Unternehmen zu arbeiten, um ein auskömmliches Einkommen zu erzielen oder weil nur Teilzeitjobs verfügbar sind, wie soll, wie kann dann Bindung entstehen? Das sind zweifelsohne kritische Punkte unserer Arbeitswelt. Unverkennbar verstellt die Digitalisierung – und mit ihr die durch die Algorithmen gegebenen Möglichkeiten, zunehmend mehr betriebliche Prozesse zu automatisieren und Personal einzusparen – den Blick auf die Bedeutung der an das Unternehmen gebundenen und sich ihm verpflichtet fühlenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. So gerät aus dem Blick, wer die tatsächlichen Garanten betrieblicher Prosperität und Vitalität sind. Dass bei diesem Prozess auch ein enormer Wettbewerbs- und Kostendruck eine Rolle spielt, soll nicht unterschlagen werden. Gleichwohl, die Gleichsetzung eines vitalen und prosperierenden Unternehmens mit einem weitgehend von menschlicher Arbeitskraft entkernten Unternehmen ist beides: Irrtum und Irrweg. Vergleichbares gilt für Unternehmen, die vorrangig auf den unternehmerischen Gewinn fokussiert sind, und für Führungskräfte, die auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter nicht eingehen, den Leistungsdruck permanent erhöhen und womöglich auch noch Mitarbeiter gegeneinander ausspielen. Unter den Gesichtspunkten der durch die Bindung erzeugten betrieblichen Wohlfahrtswirkungen ist das schlicht kontraproduktiv. Das bestätigen zahllose Untersuchungen. Gleichzeitig zeigen sie, es muss sensibel geführt werden, um die Mitarbeiter an die Organisation zu binden. Und wie sehr der Führungserfolg von einer differenziellen Führung abhängt, die den Reifegrad der Mitarbeiter berücksichtigt und darauf Rücksicht nimmt, ob sich Mitarbeiter eine Tätigkeit zutrauen oder nicht, und ob sie eine Tätigkeit ausführen können oder nicht. Verbundenheit macht leistungsbereit. Aber soll das eine das andere bewirken, dann darf der Mensch in seiner Bedürfnisstruktur über den Ergebniserwartungen nicht aus dem Blick verloren werden. diebank: Herr Kirchler, vielen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte Hartmut Volk. 09 // 2018 73

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