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die Bank 09 // 2017

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

BERUF & KARRIERE

BERUF & KARRIERE klassischen Vorgehen stellt jedoch der Fakt dar, dass, um die gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen, der zukünftige Plan nicht in Stein gemeißelt sein darf, und es daher nicht lohnend ist, eine detaillierte Planung weit in die Zukunft zu machen. Außerdem sollte an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Empirie umso besser funktioniert, je mehr Daten zur Verfügung stehen. Daraus folgt, dass das Einholen von Kunden- bzw. Stakeholder-Feedback essentiell ist und ein go-live des entwickelten Produkts erst am Ende des Projektes es schwierig bis unmöglich machen kann, dieses Feedback einzuholen. Der zweite Grundpfeiler von agilem Vorgehen ist die Selbstorganisation. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass agile Entwicklung dort angebracht ist, wo komplexe Probleme gelöst werden und das Vorgehen zur Lösung dieser Probleme daher nicht vollständig planbar ist. In diesen Fällen, in denen man selbst das genaue Vorgehen zur Lösung der Probleme nicht kennt, ist es nicht sinnvoll, genaue Regeln vorzugeben, wie diese komplexen Probleme gelöst werden müssen. Die in agilen Teams arbeitenden Mitarbeiter sollten daher möglichst die Freiheit haben, selber eine effiziente und effektive Lösung für die zu bewältigenden Probleme erarbeiten zu können und sollten bei der Findung dieser Lösung nicht unnötig durch Prozesse eingeschränkt sein. Da völlige Freiheit zum zielgerichteten Finden von Lösungen ein sehr hohes Maß an Selbstdisziplin erfordert, sollte das Erarbeiten von Lösungen nicht in völliger Abwesenheit von Prozessen geschehen. Vielmehr sollten agile Teams dabei unterstützt werden, sich selber notwendige Prozesse zu geben. Die Erarbeitung und kontinuierliche Anpassung solcher Prozesse nennt man Selbstorganisation. Probleme und Lösungen auf dem Weg zur empirischen Prozesskontrolle Wie bereits im letzten Abschnitt angerissen, ist das Validieren von in der Vergangenheit getroffenen (Planungs-)Annahmen eine leicht verständliche und eingängige Idee. Die daraus resultierenden Konsequenzen, sowohl des veränderlichen zukünftigen Plans als auch der Notwendigkeit von regelmäßigem Feedback durch Nutzer, jedoch weniger. Ein prominentes Beispiel, das diese Problematik verdeutlicht, ist die Vereinigung von Budgetplanung mit agilen Projekten. Typischerweise möchte man für ein gegebenes Budget eine Zusicherung über die Leistung, die man für dieses bekommt. Nicht zuletzt funktionieren so auch alle Transaktionen im privaten Umfeld. Die Grundannahme, dass sich agile Projekte mit komplexen Problemen beschäftigen (für die kein hinlänglich bekannter und anwendbarer Lösungsweg existiert), führt diesen Wunsch allerdings ad absurdum: Wenn nicht nur die Lösung der Probleme selbst, sondern insbesondere auch der Weg zu deren Lösung unbekannt ist, dann ist es bestenfalls möglich, eine (sehr ungenaue) Schätzung für die Kosten einer Lösung anzugeben. Was man jedoch sicher zusagen kann, ist, dass das zur Verfügung stehende Budget aufgrund von regelmäßiger Neu-Fokussierung auf die wertschaffensten Arbeiten optimal verwendet wird und die Schätzung der Gesamtkosten sich auf- 82 09 // 2017

BERUF & KARRIERE grund der im Projektverlauf gewonnenen empirischen Daten immer weiter präzisiert. Diese Zusicherung allein jedoch als Grundlage für eine Budgetgenehmigung zu nehmen, setzt ein enormes Vertrauen zwischen den beteiligten Parteien voraus. Da ein solches Vertrauen im Allgemeinen nicht gegeben ist, muss es geschaffen werden, und dies funktioniert im Allgemeinen nur durch Transparenz. Durch Transparenz über die eingegangenen Risiken, die durchgeführten Arbeiten und die entdeckten Probleme kann Vertrauen aufgebaut werden, was nach und nach mehr Flexibilität in der Projektplanung ermöglicht. Wichtig ist hier zu beachten, dass Vertrauen immer auf Gegenseitigkeit beruht. Transparenz wird nur in Arbeitskulturen aufrechtzuerhalten sein, in denen eine transparente Darstellung von Problemen nicht abgestraft wird. Das bedeutet, dass das Melden von Problemen keinesfalls mit schlechter Leistung gleichgesetzt werden darf, andernfalls mangelt es an Transparenz, und es kann kein Vertrauen aufgebaut werden. Ein weiteres Problem auf dem Weg zu empirischer Prozesskontrolle ist das wiederholte Einholen von Kunden- bzw. Stakeholder-Feedback, was in etablierten klassischen Prozessen von Finanzinstitutionen nicht vorgesehen ist. Um hier Fortschritte zu erzielen, muss es agil arbeitenden Teams ermöglicht werden, ihr Produkt beginnend mit einer minimalen Version desselben in schrittweise verbesserten Versionen den Kunden bzw. Stakeholdern zur Verfügung zu stellen. Denn nur so kann sinnvolles Feedback eingeholt und zur weiteren Planung verwendet werden. Häufig sieht man im Projekt selbst, dass Mitarbeiter Lösungen entwickeln, die an bestehenden Prozessen vorbei oder um diese herum funktionieren (sogenannte Work-Arounds), um schnell zu einer funktionierenden Lösung zu kommen oder frühzeitig Feedback zu erhalten. Dies verursacht aber natürlich unnötige Mehrarbeit und ggf. auch instabile Lösungen. Langfristig ist es hier notwendig, die Mitarbeiter soweit als möglich von unnötigen Prozessen zu befreien und es ihnen zu ermöglichen, selbst passende Prozesse zu entwickeln, die es ihnen erlauben, ihre Ziele effizient und effektiv zu verfolgen. Dies sollte langfristig zu einer Kultur der Selbstorganisation führen. Probleme und Lösungen auf dem Weg zur Selbstorganisation Grundvoraussetzung für eine solche Kultur der Selbstorganisation ist zunächst die Bildung echter Teams. Denn während in typischen Finanzinstitutionen Mitarbeiter aus organisatorischer Sicht in Teams arbeiten, so werden in Realität häufig doch einzelne Themen einzelnen Mitarbeitern zugeordnet. Dies führt dann schon auf Arbeitsebene zu Silodenken und Kompetenzgerangel. Um diesem entgegenzuwirken und echtes Teamwork zu schaffen, ist es unumgänglich, dass Teams die Ergebnisse ihrer Arbeit gemeinschaftlich verantworten. Nur durch geteilte Verantwortung fördert man die Etablierung von Intra-Team-Prozessen zur Sicherstellung von adäquater Arbeitsaufteilung, Qualitätssicherung und Wissensaustausch, da sich jedes Mitglied des Teams gemeinschaftlich für die Erreichung der Teamziele verantwortlich fühlt. Genau diese eigenverantwortliche Etablierung von Intra-Team-Prozessen ist mit Selbstorganisation gemeint. Typische Finanzinstitutionen sehen sich an dieser Stelle zwei Herausforderungen gegenüber. Zum einen führt geteilte Verantwortung in einem Team nahezu zwangsläufig zu Konflikten zwischen Teammitgliedern, die unterschiedlicher Meinung in Bezug auf praktische beliebige arbeitsrelevante Themen sind. Diese Konflikte müssen - in Abwesenheit einer kontrollierenden Führung - aufgearbeitet und beigelegt werden, wobei es hier zwingend notwendig ist, dass ein Konsens oder zumindest eine Entscheidung gefunden wird. Diese Rolle der Unterstützung der Selbstorganisation fällt in Scrum dem Scrum Master zu. Wichtig ist an dieser Stelle, dass diese Rolle sinnvollerweise nicht von jemandem ausgeführt wird, der den Teammitgliedern gegenüber weisungsbefugt ist, da hier die Versuchung sehr groß ist, den Teammitglieder nicht zu einer Entscheidung zu verhelfen, sondern diese einfach vorzugeben, was wiederrum den Aufbau einer Kultur der Eigenverantwortung und Selbstorganisation behindert und daher nur der letzte Ausweg sein sollte. Weiterhin sollten eigenverantwortliche Teams in der Lage sein, ihre selbstgesteckten Ziele auch selbst zu erreichen. Das heißt, dass alle zur Erreichung der Ziele notwendigen Fähigkeiten in einem Team vorhanden sein müssen (cross-funktionale Teams), da so Kommunikationsverluste minimiert werden und Verantwortungsgefühl gestärkt wird. In häufig hochspezialisierten Teams ist dies nicht immer der Fall, und zusätzliche Fähigkeiten müssen oft über einen gewissen Zeitraum hinweg aufgebaut werden. Dieser Aufbau findet normalerweise nicht sofort statt, daher ist es an dieser Stelle meist hilfreich, sich die benötigten Fähigkeiten sowie das notwendige zusätzliche Wissen am Markt zuzukaufen, um die Teams von Anfang an arbeitsfähig zu machen. FAZIT Echte Agilität in einem Finanzinstitut erfordert einen fundamentalen Wechsel der Firmen- und insbesondere auch der Führungskultur hin zu mehr Vertrauen gegenüber den eigenen Mitarbeitern und im Gegenzug zu mehr Übernahme von Verantwortung durch selbige. Während manche Aspekte von Agilität, wie z. B. die empirische Prozesskontrolle, auch aus sich heraus Mehrwert bringen, verursacht die bloße Anwendung von Aspekten und Artefakten agilen Vorgehens ohne inhaltliches Verständnis häufig mehr Schaden als Nutzen. Ein tiefgehendes Verständnis der der Agilität zugrunde liegenden Prinzipien ist daher unumgänglich und eine entsprechende Schulung sowie ein Coaching der ersten Projekte sehr wichtig, um vom agilen Vorgehen effektiv zu profitieren und den Begriff der Agilität nicht im eigenen Unternehmen zu verbrennen. Autor: Dr. Cornelius Mund ist zertifizierter „Professional Scrum Trainer“ und Senior Manager bei der d-fine GmbH. 09 // 2017 83

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