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die bank 09 // 2016

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó BANKING

ó BANKING Protokollierungspflicht des Beratungsgesprächs Die Dokumentation der durchgeführten Prüfung bei Anlagegeschäften erfolgt heute zweckdienlich im – laut Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) sowieso anzufertigenden – Beratungsprotokoll. Dieses Protokoll soll gemäß heutigen Plänen im Rahmen der MiFID-II-Umsetzung durch die Geeignetheitserklärung ersetzt werden. Diese dokumentiert die Prüfung und Erfüllung der Anforderungen. Inhaltlich gibt es naturgemäß große Überschneidungen mit der heutigen deutschen Protokollierungspflicht. Beim heutigen Beratungsprotokoll sind verschiedene Informationen über die persönliche Situation, Details zum Beratungsgespräch, Informationen über die empfohlenen Finanzinstrumente sowie die Gründe für die ausgesprochenen Empfehlungen festzuhalten. Der Kundenberater hat das Beratungsprotokoll zu unterzeichnen und dem Kunden auszuhändigen. Der Dachverband der Verbraucherzentralen stellt auf seiner Website (www.vzbv.de) einen Entwurf eines standardisierten Beratungsprotokolls zur Verfügung. Im Vergleich zu den aktuell bei Banken eingesetzten Protokollen ist der Entwurf der Verbraucherzentrale am umfassendsten. Die Protokollvorlagen der Banken sind in der Regel deutlich kompakter. Umsetzung von MiFID I und Beratungsprotokollpflicht Die bisher bekannten Untersuchungen haben sich primär mit der Qualität der Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung in Deutschland beschäftigt (Stiftung Warentest 2010a und 2010b, Verbraucherzentrale 2010 und 2012, Institut für Transparenz 2014 und die BaFin 2010 und 2013). Praktisch sämtliche Untersuchungen kamen zum Schluss, dass die Informationen des Kunden (Kenntnisse und Erfahrungen, finanzielle Verhältnisse, Anlageziele und Risikoprofil) vom Finanzinstitut nicht zufriedenstellend erhoben wurden. Zudem wird bemängelt, dass die Kunden ungenügend über die empfohlenen Produkte informiert werden. Bis heute hat sich jedoch noch keine Untersuchung explizit mit dem Zeit- und Kostenaufwand für die Banken auseinandergesetzt. Um zu prüfen, ob der Aufwand für die Finanzinstitute tatsächlich unverhältnismäßig hoch ist, führten die Autoren eine repräsentative Umfrage bei 1.640 deutschen Banken durch. Davon beantworteten 100 Banken den Fragebogen. Die Umfrageteilnehmer wurden unter anderem zum Zeitaufwand sowie zum Kontrollaufwand der Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung befragt. Umfrageergebnisse Bei den teilnehmenden Banken handelt es sich mehrheitlich um Regionalbanken und sonstige Kreditbanken (68 Institute) und Sparkassen (17 Institute). Ebenfalls unter den teilnehmenden Finanzinstituten sind zwei Landesbanken und weitere Banken. Die teilnehmenden Banken sind allesamt im Privatkundengeschäft tätig. Zeitaufwand Durch die Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung in Verbindung mit der Protokollierungspflicht erhöht sich einerseits der Zeitaufwand für ein Beratungsgespräch, andererseits erhöht sich auch der Kontrollaufwand für die Prüfung der Angaben. Da der Umfang für die Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung größtenteils durch den Gesetzgeber vorgegeben ist, kann von der benötigten Zeit abgeleitet werden, wie effizient die Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung umgesetzt wird. Die Antworten beziehen sich primär auf den Zeitbedarf für die Geeignetheitsprüfung, da diese die umfassendste Prüfung ist und auch die Angemessenheitsprüfung beinhaltet. Im Mittel beträgt der Zeitbedarf für die Kundenberater 26,6 Minuten (Median 20 Minuten). Bei den Teilnehmern benötigen rund 25 Prozent maximal zehn Minuten, weitere 40 Prozent zwischen 10 und max. 20 Minuten, rund 15 Prozent zwischen 20 und max. 30 Minuten und rund 20 Prozent mehr als 30 Minuten ” 1. Unter anderem abhängig von der Anzahl der durchgeführten Beratungsgespräche bedeutet dies für rund drei Viertel (68 Prozent) der Berater einen monatlichen Aufwand von max. fünf 2 Zeitaufwand Beratungsprotokoll/Geeignetheitsprüfung Aufwand des Kundenberaters pro Beratungsprotokoll (Minuten) Aufwand für Compliance pro Beratungsprotokoll (Minuten) Anzahl Anlagegespräche pro Tag mit Geeignetheitsprüfung Anzahl Kundenberater Vollzeitäquivalente für Erfassung/Prüfung der Protokolle Mittelwert 26,6 6,6 29,5 84 1,62 Median 20 3,2 10 30 0,70 26 diebank 09.2016

BANKING ó Stunden. Allerdings gibt es rund zehn Prozent der Kundenberater, die einen Mehraufwand von über 30 Stunden pro Monat haben. Weiterer Zeitaufwand fällt bei der Prüfung sämtlicher durchgeführten Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfungen durch die Compliance-Verantwortlichen an. Im Mittel fällt zur Prüfung eines Beratungsprotokolls in der Compliance-Abteilung ein Zeitaufwand von 6,6 Minuten an. Der Median beträgt 3,2 Minuten ” 2. Somit lässt sich zusammenfassen, dass pro Beratungsgespräch für den Kundenberater einen Mehraufwand durch die Angemessenheits- und Geeignetheitsprüfung von ca. 27 Minuten (Mittelwert) anfällt. In der Compliance-Abteilung werden nochmals ca. sieben Minuten für die Prüfung des Beratungsprotokolls benötigt. Insgesamt werden rund 34 Minuten benötigt. Bei angenommenen Vollkosten von 100 € pro Mitarbeiterstunde bei Kundenberatern und Compliance-Mitarbeitern entspricht dies rund 57 € pro Beratungsgespräch. Pro Bank sind dies im Mittel ca. 260.000 € pro Jahr. Erfassungsqualität Die Erfassungsqualität ist laut Aussage der befragten Kreditinstitute auf hohem Niveau. Im Median beträgt diese fünf (von maximal sechs Punkten). Das arithmetische Mittel beträgt 5,11. Im Vergleich zur Vor-MiFID-Zeit hat sich die durchschnittliche Qualität der Dokumentation von 4,19 auf 5,11 verbessert ” 3. Diese Selbsteinschätzungen decken sich nicht mit den erwähnten kritischen Studien. Dies ist insofern erklärbar, als Compliance nur die Vollständigkeit der vorgegebenen Felder prüft, jedoch nicht die generelle Eignung des vorgegebenen Fragebogens beurteilt. Fazit Je nach Perspektive kann der zusätzliche Zeitaufwand als passend oder als übermäßig beurteilt werden. Der Zeitaufwand bewegt sich für vermögende Kunden in einem vertretbaren Rahmen. In einer seriösen Anlageberatung sollten beispielsweise die Erhebung der Anlageziele und der finanziellen Verhältnisse nicht erst seit der Einführung der Geeignetheitsprüfung berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite ist ein Aufwand von den genannten 57 € für Anlagekunden, die geringe Umsätze einbringen, relativ hoch. Angenommen, ein Kunde ließe sich einmal im Jahr beraten und die durchschnittlichen Umsätze auf das Anlagevermögen betrügen bei einer relativ risikoarmen Anlage 100 Basispunkte und davon verbliebe die Hälfte nach Berücksichtigung von Abwicklungskosten, dann braucht es allein für die Abdeckung der Kosten für die Geeignetheitsprüfung ein Mindestanlagevermögen von 11.400 €. Eine Bank muss jedoch darüber hinaus Gewinn erwirtschaften, sodass in der Praxis von weitaus höheren Mindestanlagesummen ausgegangen werden muss. Ein Weg, solche wertmäßig geringfügigen Kundenbeziehungen trotzdem rentabel zu gestalten, liegt in Verkauf von Produkten mit höheren Margen. Diese sind jedoch typischerweise komplexer und – gerade bei Kleinanlegern – nicht unbedingt geeigneter für Kunden. Ob diese Anreize im Sinn des Regulators sind, darf bezweifelt werden. Der andere Weg der Rentabilisierung ist der einmalige Verkauf von Produkten, die ohne weitere Beratung mehrjährig Erträge abwerfen. Dies senkt die Break-Even-Schwelle bezogen auf die regulatorischen Kosten wesentlich. Es ist nicht auszuschließen, dass die zusätzlichen Kosten für die Durchführung und Dokumentation der Angemessenheit und Geeignetheit bereits heute zur einer stillen Verringerung von Beratungsangeboten für kleine Anlagevermögen geführt haben. ó Autoren: Sandro Ricklin ist bei PwC Switzerland in Zürich tätig. Dr. Christoph Kley ist Dozent für Banking & Finance an der ZHAW School of Management and Law, Winterthur. 3 Erfassungsqualität Beratungsprotokoll und Anteil Execution-Only-Geschäfte Erfassungsqualität des Beratungsprotokolls (aktuell) 1 - 6 (bestes) Erfassungsqualität Dokumentation vor MiFID Anteil Execution-Only- Geschäfte (aktuell) in Prozent Anteil Execution-Only- Geschäfte (vor MiFID) in Prozent Mittelwert 5,11 4,19 69 62 Median 5 4 75 70 09.2016 diebank 27

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