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die bank 08 // 2022

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

MARKT KOMMENTAR ZUR

MARKT KOMMENTAR ZUR NACHHALTIGKEITSPRÄFERENZABFRAGE Grüne Absatzmaschinerie des Finanzvertriebs Als ob es für Anleger nicht schon genug Belastungen in ihren Finanz- und Versicherungsdispositionen gäbe: Seit Jahresbeginn deutlich sinkende Aktienrenditen, geopolitische Unsicherheiten mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs, Anlagechancen bei „politisch inkorrekten“ Aktien der Öl-, Atom- und Rüstungsgüterindustrie, eine hochschnellende Inflation, Anstieg der Kapitalmarktzinsen, sinkende Immobilienrenditen usw. marktkonzept des Bundesverbands Investment und Asset Management (BVI) verständigt. Es handelt sich um eine „Kreuzung“ aus der EU-Taxonomie, der Principal Adverse Impact Indicators (PAI) sowie der EU-Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR, zu Deutsch Offenlegungsverordnung). Auffälliges Wachstum „grüner Geldanlagen“ dank „umettiketierter“ Fondsprodukte Die SFDR hatte vor Einführung der Präferenzabfrage die Finanzprodukthersteller stark beschäftigt, da sie konventionellen Fonds Nachhaltigkeit einhauchten, um sie als Artikel 8- oder Artikel 9-Fonds i. S. der Offenlegungsverordnung etikettieren zu können. So stellte Nun sorgt vermutlich auch noch die in Kraft getretene Umsetzung der jüngsten MiFID II-Novelle für weitere Herausforderungen. Seit Anfang August sind die meisten Anlageberater verpflichtet, Privatpersonen in einem systematischen und strukturierten Prozess zu befragen, ob sie bei ihrer Geldanlage Nachhaltigkeit berücksichtigen wollen und wenn ja, auf welche Weise. Hat ein Anleger in der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage den Pfad der Nachhaltigkeit eingeschlagen, so werden am Ende seinen Nachhaltigkeitsvorstellungen entsprechend Anlageprodukte vom Berater zugeordnet und zur Wahl für einen Vertragsabschluss gestellt. Bei diesem sog. Mapping hat sich die Banken- und Fondsindustrie in Deutschland auf das Zielder US-Datenanbieter Morningstar Anfang des Jahres verwundert fest, in welch hoher Zahl und Geschwindigkeit Nachhaltigkeitsfonds aus dem Boden geschossen waren. Und die Lobby der deutschen Nachhaltigkeitsfinanzindustrie, das Forum Nachhaltige Geldanlagen, klärte in ihrem aktuellen Marktbericht auf, dass das enorme Wachstum grüner Geldanlagen vor allem auf „umettiketierte“ Fondsprodukte zurückzuführen sei. Es dürfte heutzutage wohl kaum einen Anbieter von Finanzanlagen geben, der nicht vom durch Politik und Regulierung ausgelösten „Nachhaltigkeits-Bonanza“ profitieren möchte. Zwar machen einige der größeren Finanzproduktanbieter mit Greenwashing-Verdächtigungen von sich Rede, und selbst die ansonsten 16 08 | 2022

MARKT eher schlafmützige deutsche Finanzaufsicht (BaFin) hat den medial hochstilisierten Greenwashing-Fall der Fondsgesellschaft DWS aufgegriffen (nachdem die SEC die Deutsche- Bank-Tochter zur Rede gestellt hatte). Trotz alledem scheint in Deutschland ein grünes Finanzprodukt-Biotop entstanden zu sein. Jetzt fehlt nur noch, dass Privatanleger beherzt zugreifen. Denn die äußern in Befragungen zwar, dass sie sich durchaus vorstellen können, ihre Spar-Euros in grüne Anlagen einzubringen, aber zwischen Theorie und Praxis klafft eine enorme Lücke. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass früher oder später von EU-Kommission und -Parlament, unterstützt von Lobbyisten, Maßnahmen zur „Zwangsbeglückung“ privater Anleger für mehr Nachhaltigkeit in Gang gesetzt wurden – u. a. mittels der Nachhaltigkeitspräferenzabfrage. wägbarkeiten von Lebensläufen und -umständen stark zugenommen haben, Zeit ein immer knapperes Gut für die Bewältigung auch nur der Basisaufgaben eigener Finanzen und Versicherungen geworden ist u. a. m. Es drängt sich der Eindruck auf, dass mittlerweile der Rettung des Welt(!)klimas und der Bewältigung anderer Nachhaltigkeitsnöte von der Politik für Privatanleger eine höhere Priorität zugewiesen wird, als der Sicherstellung der privaten Nachhaltigkeit wie z. B. im Bereich der privaten Altersvorsorge. Diese politische Okschaftlichen Studien, die überhaupt einen solchen – als Impact bezeichneten – Wirkungsgrad unzweifelhaft belegen können. Die seit geraumer Zeit angeworfene Absatzmaschinerie von Finanzvertrieben zum massenhaften Verkauf grüner Finanzprodukte bewirkt ganz nebenbei eine Renaissance der eigentlich gerade von Verbraucherschützern oft gescholtenen provisionsgetriebenen, produktorientierten Absatzpolitik. So ist seit langem bekannt, dass reiner Produktabsatz die eigentlichen Bedarfe – gerade von Anlegern mit geringem und mittleren Einkommen – nicht befriedigend decken kann. Das Erkennen, Planen und Umsetzen individuell und bedarfsadäquat empfohlener Anlage-, Kredit- und Versicherungsprodukte bleibt nämlich auch heute schon im Bankalltag nur allzu oft auf der Strecke. In der Denkschablone „Nachhaltigkeit“ kommt anders gesagt die finanzielle Nachhaltigkeit der Privatkunden zu kurz. Daran hat auch das in den 1990er-Jahren von Wissenschaftlern und Verbraucherschützern empfohlene Konzept der privaten Finanzplanung nichts geändert, das den Finanzbedarf und das Finanzmanagement von Privatkunden fokussiert. Der Produktverkauf steht, wenn überhaupt, im Hintergrund. Dieses Konzept eines beziehungsorientierten Marketings droht jetzt wegen eines neu forcierten, rein produktorientierten, provisionsgetriebenen Absatzes durch den Nachhaltigkeitsüberschwang gänzlich auf der Strecke zu bleiben. Renaissance der provisionsgetriebenen Absatzpolitik Der Weg dahin führte über eine Ergänzung in der Markets in Financial Instruments Directive (MiFID, Finanzmarktrichtlinie). Die aktualisierte MiFID II bezieht die Anforderungen der Taxonomie- und der Offenlegungsverordnung ein. In bestimmten wesentlichen Bereichen greifen sie auch ineinander, aber nur unvollständig. So ist der Begriff „Nachhaltigkeit“ in der Offenlegungsverordnung und der Taxonomie uneinheitlich geregelt. MiFID II verstärkt diese Ungereimtheiten, da die dortigen Anforderungen an nachhaltige Finanzprodukte von der Offenlegungsverordnung abweichen. Nicht nur aufgrund solcher Konstruktionsmängel ist unklar, ob die beabsichtigte Instrumentalisierung von Privatanlegern für wirtschaftspolitisch gewollte Ziele wie die Reduktion des Treibhausgasausstoßes wirklich greift. Bislang mangelt es jedenfalls an wissen- Vielen Verbrauchern fehlt es an finanziellem Basiswissen Dabei wird vor allem in der Wirtschafts- und Verbraucherpolitik ignoriert, dass die Breite der deutschen Privathaushalte nach wie vor über eklatante Lücken im finanziellen Basiswissen verfügt, die Komplexitäten und Unkupation von Sparmitteln der Privatanleger kann zu erheblichen Verwerfungen führen: Z Die längst als überholt geltende verbraucherschutzpolitische Vorstellung, dass die Anlagenkompetenz steigt, wenn Anleger nur umfangreich mit Informationen versorgt werden, ist fatal. Zusätzlich zu der bereits beklagten Schwierigkeit von Privatkunden im Umgang mit den eigenen Finanzen und Versicherungen können die jetzt zusätzlichen Nachhaltigkeitsinformationen leicht zu einem kritischen „Information Overflow“ führen. Dies ist insbesondere deshalb zu erwarten, weil Privatanleger meist nicht in Sachen Nachhaltigkeit und Sustainable Finance ausreichend qualifiziert sind. Z Berater werden in Zukunft ihre verfügbare Zeit und Qualifikation verstärkt Nachhaltigkeitsthemen widmen müssen, was zulasten ei- 08 | 2022 17

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