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die bank 07 // 2016

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó IT & KOMMUNIKATION

ó IT & KOMMUNIKATION diebank: Welche Art von neuen Geschäftsmodellen sind in diesem Kontext viel versprechend, welche nicht? Mylius: Von mehr als 500 InsurTechs weltweit lassen sich viele sehr interessante Ansatzpunkte und Ideen finden. In Deutschland wiederum existiert aus Investorensicht großes Interesse an den digitalen Versicherungsordnern wie Clark, Knip oder FinanceFox. Das Geschäftsmodell ist jedoch grundsätzlich nicht neu, nutzen doch alle digitalen Versicherungsordner den rechtlichen Status eines Versicherungsmaklers und finanzieren sich aus den laufenden Courtagen der Versicherer. Genau dieses Abonnement- Geschäftsmodell mit stetig wiederkehrenden Erlösen löst das große Interesse der Investoren aus. Die Kommunikation über die digitalen Kanäle wird konsequent kundenorientiert ausgerichtet, zudem setzen die neuen Mitbewerber Maßstäbe bei der Gestaltung von Benutzeroberflächen. Gleichzeitig ermöglicht die effiziente Ausgestaltung der Prozesse mittelfristig hohe Margen. Allerdings haben hier die Start-ups mit den identischen Herausforderungen zu kämpfen wie analoge bzw. bereits etablierte Marktakteure. Zudem entstehen vergleichsweise hohe Kosten für die Gewinnung neuer Kunden, die auf Dauer auch nicht in dieser Form aufrechterhalten werden können. Darüber hinaus sehen wir auch im Kontext der Vergleichsportale spannende Entwicklungen: Hier ist zu beobachten, dass eine Ausweitung des Angebots in Richtung von Gewerbekunden stattfindet. Zudem wird ähnlich wie bei den Geschäftsmodellen der digitale Versicherungsordner zunehmend das Thema Beratung fokussiert, z. B. im Sinn von Vergleichsstrecken und Selbstberatungsfunktionalitäten. Das wiederum könnte perspektivisch die etablierten Vermittler mit ihren heute eher analogen Geschäftsmodellen in bestehenden Segmenten bedrohen. diebank: Handelt es sich bei den App-Angeboten eher um eine Add-on-Strategie, oder haben manche Geschäftsmodelle ein disruptives Potenzial? Mylius: Eine App ist zunächst nur die Ausprägung eines Frontends hin zum Endkunden. Viele Versicherer sind in diesem Bereich tätig und bieten ihren Kunden Apps mit spezifischen Funktionalitäten an – von der Rechnungs-App zur Einreichung von Arztrechnungen in der PKV bis hin zu Kundenportalen zur Verwaltung von Versicherungsverträgen. Digitale Versicherungsordner wie Knip oder Getsafe haben heute betrachtet noch kein großes disruptives Potenzial, da derzeit zunächst die Digitalisierung von heute in Papier vorliegenden Versicherungsverträgen im Vordergrund steht. Nur wenn die Geschäftsprozesse insgesamt digitalisiert werden, und damit meine ich insbesondere auch die Schnittstellen zu den Versicherern, und nur wenn gleichzeitig auch eine professionelle, den regulatorischen Anforderungen entsprechende Beratungslogik digital unterstützt aufgebaut wird, würde ich von disruptivem Potenzial sprechen wollen. diebank: Damit dieser Prozess insgesamt in Gang kommt, müssten sich die in diesem Geschäftsbereich aktiven Start-ups jedoch noch stärker mit den Regularien und insbesondere auch mit der notwendigen Transparenz für Endkunden – Stichwort Maklerauftrag – auseinandersetzen, oder? Mylius: Zweifellos. Wenn dies nicht geschieht, dann wird der Gegenwind aus der Branche weiter zunehmen, was die Positionierung dieser Start-ups erschweren wird. Neben den digitalen Versicherungsordnern lassen sich jedoch weitere Geschäftsmodelle ausmachen, die disruptives Potenzial haben könnten. So z. B. die Peer-to- Peer-Geschäftsmodelle wie Friendsurance. Denn richtig zu Ende gedacht, können mit diesem Geschäftsmodell etablierte Anbieter in der heutigen Wertschöpfungskette ausgeschaltet werden. diebank: Wie sieht es mit den deutschen Angeboten im internationalen Kontext aus. Können diese eigenständig mithalten oder sind sie lediglich Copycats? Mylius: Unserem Eindruck nach sind einige deutsche InsurTechs tatsächlich Copycats. Wirklich neue Ideen gibt es nicht sehr viele. Hervorzuheben wäre aber einerseits der bereits angesprochene Anbieter Friendsurance, der sehr frühzeitig das Peer-to-Peer-Geschäftsmodell eingeführt hat. Hier gibt es wiederum international einige Copycats, die allerdings die Ursprungsidee sehr gut weiterentwickelt haben, z. B. Bought By Many. Aber auch MassUp bietet als technische Plattform für den Vertrieb von Small Protection Insurance interessante Ansatzpunkte, die auch in Zusammenarbeit mit Versicherern erschlossen werden können. diebank: Welche Rolle spielt die InsurTech in Großbritannien und den USA sowie weiteren globalen Leitmärkten? Mylius: Natürlich fließen seitens der Investoren immer noch deutlich größere Summen in Start-ups aus dem angelsächsischen Raum. Insofern haben die USA und Großbritannien auch eine führende Rolle in diesem Gebiet. Jedoch sind Versicherungsmärkte neben einer eigenen Regulatorik oft noch von weiteren spezifischen Faktoren geprägt. Beispielsweise boomt in den USA vor allem das Thema Private Krankenversicherung – dort existieren mit Oscar und Zenefits sogar zwei Unternehmen mit einer Milliarden-Bewertung, sogenannte Unicorns. In Großbritannien spielen aufgrund einer geringeren Anzahl individueller Risikomerkmale in den Kfz-Tarifen die Telematiktarife bereits eine größere Rolle – dementsprechend gibt es denn auch einige Start-ups in diesem Bereich. diebank: Wie werden die Global Player aus der Versicherungsbranche hierzulande aber auch die internationalen Marktführer auf die digitale Herausforderung reagieren bzw. wie tun sie dies bereits? Mylius: Gerade die großen und internationalen Versicherungskonzerne versuchen derzeit, über vielfältige Ansätze Schritt zu halten 62 diebank 07.2016

BANKING ó und ihrerseits Innovationen zu entwickeln, z. B. durch die Gründung von Labs, Inkubatoren, Acceleratoren oder VC-Fonds. Teilweise wirkt dies noch etwas unstrukturiert, aber es ist ja durchaus legitim, erst einmal verschiedene Vehikel zur Steigerung des eigenen Innovationsgrads auszuprobieren. Ein solches Trial-and-Error-Vorgehen trauen sich jedoch noch nicht viele Unternehmen bzw. teilweise existieren schlichtweg auch einfach nicht die finanziellen Mittel dafür. Das Thema hat auf jeden Fall große Bedeutung – und zwar ebenso bei den kleinen und mittelgroßen Versicherern wie bei den globalen Konzernen. diebank: Sind Inkubatoren-Modelle, Acceleratoren und Start-up- Entwicklungszentren tatsächlich der Königsweg zur Open Innovation, die am Ende Zählbares hervorbringen? Mylius: Momentan passiert in diesen Bereichen sicherlich sehr viel. Große, gewachsene und eher konservative Unternehmen – und dazu zählen ja viele Banken und Versicherer – müssen geeignete Methoden finden, um den eigenen Innovationsgrad zu steigern. Dafür eignen sich Instrumente wie z. B. Acceleratoren und Inkubatoren durchaus. Wichtig ist hier eine realistische Erwartungshaltung: Innovation besteht auch aus dem Ausprobieren, und Scheitern ist eher die Regel als die Ausnahme – das erfordert schon einen signifikanten Kulturwechsel. Zudem sollte auch sichergestellt sein, dass die entstehenden Innovationen mit den bestehenden Unternehmen verzahnt werden. Am Ende geht es um einen kulturellen Wandel in den Unternehmen, der professionell und mit verschiedenen Ansatzpunkten eingeleitet werden sollte. Es lassen sich aber durchaus einige Ableitungen aus ähnlichen Marktentwicklungen ziehen, so sollte man sich z. B. die Entwicklung des Biotech-Markts anschauen. Hier hat das reine Gründen von Labs oder Acceleratoren nicht immer zum Ziel geführt. diebank: Und noch ein Ausblick: Wie sieht die „Versicherung 2.0“ der Zukunft aus, in der sich hybride Angebote treffen? Mylius: Hier werden sicherlich digitale Algorithmen und selbst lernende Systeme – Stichwort künstliche Intelligenz – die Welt der Risikoberechnung/ des Underwritings bestimmen und auch interessante Ansätze in der Kundenberatung ermöglichen. Auch ein Ausbau der Peer-to-Peer-Modelle ist vorstellbar, so etwa auch unter Anwendung der Blockchain-Technologie. Letztlich wird es auch gelingen, den einen oder anderen Pure Digital Player auf der Versicherungsseite zu etablieren. Gute Beispiele dafür lassen sich z. B. in Asien finden. Letztlich wird aber der Faktor Mensch bzw. der persönliche Berater, der dem Kunden die komplexe Welt der Versicherungen erklärt, immer seine Daseinsberechtigung haben. Allerdings nur, wenn auch die Bereitschaft besteht, gewisse digitale Komponenten in das eigene Geschäftsmodell einzubauen. fi INTERVIEW diebank: Wo und wie bleibt denn der persönliche Kundenkontakt via Makler oder Versicherungsvertreter bestehen, wo werden sich digitale Geschäftsmodelle eigenständig etablieren können? Mylius: Mittelfristig erwarten wir eine Annäherung der beiden Vertriebsformate: Klassische, etablierte Versicherungsmakler werden ihr Angebot entsprechend den Möglichkeiten der Digitalisierung ergänzen bzw. teilweise neu ausrichten müssen. Für die persönliche Beratung wird es jedoch immer einen Bedarf geben – vielleicht aber in Zukunft dann häufiger über einen Video-Chat als über einen klassischen Besuch in der Versicherungsagentur. diebank: Herr Mylius, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch. Die Fragen stellte Lothar Lochmaier. 07.2016 diebank 63

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