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die bank 05 // 2015

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó BERUF & KARRIERE

ó BERUF & KARRIERE Flexibilität als Überlebenshilfe INTERVIEW Die Realität unserer Arbeitswelt empfinden viele als mitunter irritierend widersprüchlich. Selbstdarsteller geben häufig den Ton an, die Kontinuierlichen und Zuverlässigen riskieren, als Langweiler eingeordnet zu werden, und die Leistungsstarken kennen Beförderungen oft nur vom Hörensagen. Verkehrte (Arbeits-)Welt? Der Soziologe und Zeitdiagnostiker Professor Manfred Prisching von der Universität Graz bringt im Interview etwas Licht in dieses Dunkel. fi INTERVIEW diebank: Professor Prisching, wir leben, so ist allenthalben zu hören, in einer Leistungsgesellschaft. Aber Leistung im althergebrachten Sinn als etwas ganz Konkretes, Vorzeigbares und Nachprüfbares hat erkennbar einen Bedeutungswandel erfahren. Irgendwie scheint ein anderes Leistungsverständnis den Ton anzugeben. Was sagt der Gesellschaftswissenschaftler dazu? Manfred Prisching (64) studierte zunächst Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre. Er arbeitete an den Instituten für Rechtsphilosophie, für Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik und für Soziologie der Universität Graz. 1985 habilitierte er sich mit einer groß angelegten Arbeit über Krisen für Soziologie und ist seit 1994 als Universitätsprofessor tätig. Prisching erhielt den Kardinal-Innitzer-Preis (1985), den Josef-Krainer-Forschungspreis (1994) und den Wilfried-Haslauer-Forschungspreis für Zeitgeschichte (1996). Er ist Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und wirkte als Gastprofessor an den Universitäten Salzburg, Innsbruck und Linz. 1995/96 nahm er die Schumpeter-Gastprofessur an der Harvard University wahr. 2005/06 lehrte er an den Universitäten New Orleans, Little Rock und Las Vegas. Prisching: Wir haben es heute mehr mit einer Erfolgsgesellschaft als mit einer Leistungsgesellschaft zu tun. Leistungsgesellschaft genau genommen würde bedeuten: Wir können exakt messen, was die Leistung ist, und sie dann entsprechend belohnen. Zum Beispiel mit Aufstieg im Beruf. Im Gegensatz zu früher haben wir es aber heute in wachsendem Umfang mit Berufen und beruflichen Situationen zu tun, in denen die Leistung so konkret nicht mehr messbar ist: Management, Beratung, Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Lobbying und vieles andere mehr ist als definitiv erbrachte Leistung nur schwer fassbar. Und in dieser Erfolgsgesellschaft geben zwangsläufig auch andere Persönlichkeitszuschnitte den Ton an. diebank: Auftritt und Selbstdarstellung sind so etwas wie das Zünglein an der Erfolgswaage? Prisching: Wer sich in diesem Umfeld behaupten will, der muss so auftreten und sich so darstellen können, dass sie oder er etwas überzeugend behaupten und darstellen kann, ohne es im althergebrachten Sinn auch belegen beziehungsweise beweisen zu können. Das klassische mehr Sein als Scheinen hat sich damit zwangsläufig tendenziell ins Gegenteil verkehrt. Das erleben wir Tag für Tag. Ob das zu unser aller Nutzen ist, lassen wir mal dahingestellt sein. Allerdings ist es auch eine klassische soziologische Feststellung, dass wir immer Theater spielen, das heißt eine Fassade aufbauen, uns besser darstellen, als wir wirklich sind, ein auf Außenwirkung ausgelegtes Selbst vorführen. Und da wir nur schwer, wenn überhaupt, zuverlässig in andere Menschen hineinschauen können und umgekehrt sie nicht in uns, wird die Sache sozusagen zum Kommunikationsproblem: Es geht um Inszenierung, um Rollenspiel, um Signale. 72 diebank 5.2015

BERUF & KARRIERE ó diebank: Gibt es so etwas wie gesellschaftlich angesagte Leitbilder zur Selbstdarstellung? Prisching: Auf jeden Fall. In fließendem Übergang von einer momentan gesellschaftlich generell angesagten zu einer situationsspezifischen Selbstdarstellung finden sich diese Leitbilder einer idealen Personenbeschreibung einmal abgesehen von Twitter und Facebook in den angesagten oder gruppenspezifischen Lifestyle-Journalen, sie finden sich unter den mittlerweile allgegenwärtigen Kontaktanzeigen und natürlich in den Stellenausschreibungen. Im Hinblick auf die erwünschten idealen Verhaltensmodelle als Vorgesetzter, Mitarbeiter oder Unternehmensberater sind viele Elemente gesellschaftlich vorgegeben. Da muss alles stimmen: was und wie man etwas sagt, was man rollenspezifisch tut und lässt: Tonfall, Satzbau, Blickweise, Körperhaltung, Frisur, Kleidung, Aktentasche. Aber es soll ja auch Leute geben, die fallen aus der Rolle, denen ist das alles egal und trotzdem kommen sie an und haben Erfolg. diebank: Gibt es nun auch gesellschaftlich heikle, problematische Aspekte in Sachen Selbstdarstellung? Prisching: Zwei Dinge sind vor allem problematisch: Wahrheit und Lüge. Die einfache Wahrheit ist problematisch, weil niemand mit ihr rechnet, sondern ohnehin ein bisschen Darstellungskosmetik und Schönfärberei vorausgesetzt wird. Wer würde denn auch seine persönliche Durchschnittlichkeit betonen? „Wissen Sie, ich bin ein ganz normaler Mensch, mit ganz normalen Macken und Mucken!“ Undenkbar, obwohl klar ist, dass die allermeisten Menschen durchschnittlich sind – weil dies einfach eine statistische Tatsache beziehungsweise Notwendigkeit ist. Auf der anderen Seite sind Lüge, Bluff, Erfindung problematisch, weil sie in Wahrheit nicht durchzuhalten sind. Irgendwann fliegt man auf. diebank: Konkret heißt das? Prisching: Es ist unklug und kurzsichtig, aus der eigenen Person ein Potemkinsches Dorf zu machen. Nur eine Fassade zu errichten, davor kann nur gewarnt werden. Es muss einen Kern von Authentizität geben, der „wirklichkeitsähnlich“ ist. Es wird nicht funktionieren, wenn sich introvertierte Typen extravertiert darstellen und sich beispielsweise als große Kommunikatoren verkaufen. Ebenso wenig wird es funktionieren, wenn sich zwar leistungsstarke, aber das Rampenlicht eher scheuende Fachkräfte als geborene Führungskräfte darstellen. Das sind vorgespielte Rollen, die sind in der Härte der Praxis nicht durchzuhalten. Wie fl Es ist auch eine klassische soziologische Feststellung, dass wir immer Theater spielen, d. h. eine Fassade aufbauen und uns besser darstellen, ein auf Außenwirkung angelegtes Selbst vorführen. auf dem Theater oder beim Film, nicht jede als erstrebenswert angesehene Rolle liegt denjenigen, die sie anstreben. Man kann alles ein bisschen zurechtbiegen, aber nicht eine Realität oder genauer, eine persönliche Identität erfinden. Vor allem anderen fängt alles bei der eigenen Identität an. Oder moderner gefragt: Wer bin ich? Wer darauf keine andere Antwort hat als BMW-Fahrer, Rolex-Träger oder Madonna-Fan, wer sich also über derlei „Spielzeug“ definiert, ist aus meiner Sicht ein hoffnungsloser Fall. diebank: Jeder von uns muss sich auf irgendeine Weise darstellen, richtig? fl Wir haben es heute in wachsendem Umfang mit Berufen und beruflichen Situationen zu tun, in denen die Leistung so konkret nicht mehr messbar ist. Prisching: Ja. Fatal wird es allerdings, wenn ein fehlinterpretiertes Ich auf eine fehlinterpretierte Situation stößt – wenn man also die gegebene Konstellation nicht versteht oder partout nicht verstehen will. Diese Form der Fehlsichtigkeit ist ja heute an der Tagesordnung. Wir leben in einer liquiden Welt. Alles ist flüssig und flüchtig. Damit müssen wir zurechtkommen. Auch und gerade in der Selbstdarstellung. Das eine einzige, für alles gültige Rollenverständnis hilft nicht mehr weiter. Wir sind in der Postmoderne. Wir benötigen die persönliche (Rollen-)Flexibilität zwingend als Überlebenshilfe. Und dazu eben auch die Fähigkeit zu dieser Flexibilität. Daran zu arbeiten bleibt niemandem erspart, ausgenommen natürlich diejenigen, denen das Leben als Einsiedler in Waldestiefen als Ideal vorschwebt. Der Irrtum, der nur nicht gemacht werden sollte, ist, diese Flexibilität mit den gerade en vogue befindlichen Persönlichkeitsprofilen, mit dem momentan Angesagten zu verwechseln. Die Flexibilität, die gefragt ist, die schützt, bewahrt und weiterhilft, ist die Flexibilität, die aus einem Kern von Authentizität entspringt, aus zumindest der Ahnung, was man tatsächlich ist, was man durchhalten kann, was man sein kann. Eine realistische Selbsteinschätzung als leitende Wegweisung zur Selbstdarstellung schafft Boden unter den Füßen, auch in unserer flüssigen Welt. diebank: Professor Prisching, vielen Dank für dies Interview. Das Gespräch führte Hartmut Volk. 5.2015 diebank 73

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