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die bank 04 // 2021

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MARKT UNTERNEHMER ALS

MARKT UNTERNEHMER ALS WEGBEREITER IN UNSICHEREN ZEITEN Vergessene Einsichten aus dem Werk von John Maynard Keynes John Maynard Keynes, dessen Tod sich am 21. April 2021 zum 75. Mal jährte, ist der Nachwelt vor allem durch seine revolutionären Erkenntnisse zur Rolle des Staats in Erinnerung geblieben. So hat seine „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ aus dem Jahr 1936 maßgeblich dazu beigetragen, dass heute unter Ökonomen und Politikern weltweit kaum ein Zweifel an der staatlichen Verantwortung für die Stabilisierung der Wirtschaft in Krisenzeiten besteht. iStock-1182694782.jpg Demgegenüber ist weitgehend in Vergessenheit geraten, dass Keynes in seinem Hauptwerk zugleich eine neue Sichtweise auf die Funktion von Unternehmern entfaltet hat, bezeichnenderweise im Kapitel zur langfristigen Erwartungsbildung in der Volkswirtschaft. Hinsichtlich der hohen Wertschätzung unternehmerischer Tätigkeit unterschied sich Keynes kaum von seinem wissenschaftlichen Rivalen Joseph A. Schumpeter, zu dessen Unternehmertheorie er in seiner Schrift „Vom Gelde“ ausdrückliche Zustimmung bekundet hatte. So stellte Unternehmertum für Keynes nicht allein einen Beruf, sondern vielmehr einen Lebensstil dar, der auf die aktive Mitgestaltung einer sich permanent verändernden 18 04 // 2021

MARKT Welt abzielte. Dementsprechend mussten sich Unternehmer durch Charaktereigenschaften wie Mut, Gestaltungswillen und Eigenverantwortung auszeichnen. In diesem Zusammenhang verwendete Keynes erstmals den später vielzitierten Begriff Animal spirits für das Verlangen, schaffend bzw. unternehmerisch tätig zu sein. Langfristiges Handeln trotz allgegenwärtiger Unsicherheit Die genannten Charaktereigenschaften hielt Keynes für unverzichtbar, weil ökonomische Aktivitäten stets mit Ungewissheiten verbunden sind. Hierbei handelte (und handelt!) es sich nicht nur um kalkulierbare Risiken, sondern in erster Linie um fundamentale Unsicherheiten, für die keinerlei Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich sind. Welcher Unternehmer kann schließlich die Folgen von Regierungswechseln (Keynes nannte hier die Wahl Roosevelts zum US-Präsidenten) oder – aus heutiger Sicht – mögliche Kosten von Pandemien berechnen? Daher war es für den Ökonomen umso wichtiger, dass Unternehmer trotz allgegenwärtiger Unsicherheiten langfristige Erwartungen bildeten und unter Einsatz eigener Mittel danach handelten. Durch ihre Investitionen schufen sie die Voraussetzungen für Innovationen und Beschäftigungsaufbau und ermöglichten damit stabile Wachstumsphasen. Unternehmertum war also für Keynes mit positiven externen Effekten für die Gesellschaft insgesamt verbunden. Geprägt durch das Edwardianische Zeitalter, konnte Keynes miterleben, wie technischer Fortschritt, der von Unternehmern durchgesetzt wurde, das Leben breiter Bevölkerungsschichten verbesserte. Daher betonte er selbst in Anbetracht der Weltwirtschaftskrise und ihrer sozialen Härten das Fortschrittspotenzial seiner Zeit, auch wenn er dabei – wie in seinem Essay „Economic possibilities for our grandchildren“ – mitunter übertrieb. Er vertraute darauf, dass Unternehmer weiterhin für Innovationen und Wohlstand sorgen würden, wenn der Staat in Krisenzeiten die Voraussetzungen dafür gewährleistete. Keynes, der nach seinem Studium für anderthalb Jahre im India Office tätig gewesen war und dies als wenig erfüllend empfunden hatte, wusste, dass schöpferische Impulse in einem Klima unternehmerischer Freiheit am besten gedeihen konnten. Deshalb wandte er sich stets dagegen, dass der Staat Aufgaben an sich zog, die von privaten Unternehmen erledigt werden konnten. Er zögerte daher auch nicht mit Kritik an den Verstaatlichungsprogrammen der britischen Regierung unter Clement Attlee ab 1945. Dadurch zeigte Keynes, dass sein Bekenntnis zum politischen Liberalismus, das er in der Schrift „Am I a Liberal?“ abgegeben hatte, auch sein ökonomisches Denken durchzog. In seinen Augen sollte der Staat mit seiner Stabilisierungsfunktion primär die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich unternehmerische Tätigkeit entfalten konnte. Somit mussten sich staatliche Eingriffe daran messen lassen, dass sie die Dynamik von Unternehmern nicht behinderten. Gefahr durch Finanzmarktspekulation Neben staatlichen Beeinträchtigungen sah Keynes noch eine zweite Gefahr für das Unternehmertum, und zwar durch spekulative Aktivitäten im Finanzsektor. Spekulanten, die anstelle langfristiger Fundamentaldaten vor allem kurzfristige Trends an den Börsen verfolgten, konnten aus seiner Sicht unternehmerische Aktivitäten empfindlich beeinträchtigen. Hier hatte Keynes vor allem das Risiko von Blasenbildungen durch spekulatives Herdenverhalten im Auge. Gefahr sah er insbesondere dann, wenn Investitionen nicht länger von unternehmerischen Motiven gesteuert wurden, sondern Finanzmärkte das Geschehen bestimmten und die Kapitalbildung „zum Nebenprodukt eines Kasinos wurde“. An dieser Stelle erweist sich Keynes‘ Sichtweise als geradezu prophetisch, denn er beschrieb ein Problem, das im Laufe des 20. Jahrhunderts immer neue Facetten entfaltete und von Ökonomen als Finanzialisierung bezeichnet wird. Heutige Kritiker verweisen dabei auf die Gefahr, dass Zukunftsinvestitionen unterbleiben, weil Finanzinvestments attraktivere Renditen versprechen. Autor FAZIT Es zeigt sich somit, dass Keynes‘ Überlegungen nicht als Ausdruck etatistischen Denkens verstanden werden sollten, sondern vielmehr als Ratschläge eines entschiedenen Liberalen. Dadurch ergibt sich zugleich ein Rahmen, in den seine wirtschaftspolitischen Postulate einzuordnen sind. Politiker, deren Maßnahmen unternehmerische Aktivitäten lähmen, können sich daher ebenso wenig auf Keynes berufen wie Unternehmensvorstände, die nach einer Subventionierung überlebter Geschäftsmodelle durch den Staat rufen. Gerade der aktuelle Innovationsbedarf zur Bewältigung der Klimakrise macht deutlich, dass unternehmerisches Handeln heute mehr denn je ein Gebot der Stunde ist. Dr. Christian Hecker ist Mitglied im Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik und Mitarbeiter bei der Deutschen Bundesbank. Der vorliegende Beitrag stellt ausschließlich seine persönliche Meinung dar. 04 // 2021 19

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