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die Bank 04 // 2017

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

BANKEN IN DER

BANKEN IN DER VERANTWORTUNG Perspektiven schaffen, Europa stärken Zeitenwende, Epochenwandel, Ende der westlichen Welt? Wer in den letzten Wochen und Monaten die Einschätzungen von Wissenschaftlern, Politikern und Journalisten studiert hat, kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass Europa und die Welt vor einschneidenden Veränderungen stehen. Was ist Übertreibung, was ist realistische Bestandsaufnahme? Die Fakten sprechen zunächst einmal für sich. Die gegenwärtige, in ihrem Kern freiheitliche Welt- und Handelsordnung sieht sich seit einiger Zeit erheblichen Schlägen und Widerständen ausgesetzt. Protektionistische Bestrebungen gehen Hand in Hand mit einer Renationalisierung des politischen Denkens, das sein Heil in Abschottung und geschlossenen Grenzen sucht. Die Herrschaft des Rechts wird von immer mehr Staaten und Akteuren massiv in Zweifel gezogen. Über allem aber steht die Frage: Was ist mit den Vereinigten Staaten? Werden auch sie sich von Prinzipien lossagen, die sie seit Ende des Zweiten Weltkriegs stärker als fast alle anderen Staaten unterstützt und verinnerlicht, ja denen sie teilweise überhaupt erst zur Geburt verholfen haben? Was es für Konsequenzen haben kann, wenn sich die USA aus ihrer weltpolitischen Verantwortung weiter zurückziehen sollten und in ihrem Verhalten unberechenbarer werden, vermag heute noch niemand vorherzusehen. Dass die Welt aber dadurch sicherer wird, ist nicht zu erwarten – im Gegenteil. Wo also stehen wir heute, im Frühjahr 2017? Mindestens das lässt sich sagen: Dem Annus horribilis 2016 droht das Jahr 2017 in nichts nachzustehen. Die gegenwärtigen Erschütterungen bekommt gerade auch die Europäische Union zu spüren. Der Verbund der 28, bald nur noch 27 Staaten hat seinerseits mit einer Bürde ungelöster Probleme und Widersprüche zu ringen. Doch hier ist der Punkt gekommen, an dem die Geschichte ins Positive gewendet werden kann und gewendet werden muss. Denn aller tatsächlichen und eingebildeten Krisen zum Trotz: Die Europäische Union verfügt nach wie vor über einen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kapitalstock, der in der Welt einzigartig ist. Wenn sich die Akteure heute auf das Machbare konzentrieren und die Aufgaben von morgen und übermorgen nicht aus dem Blick verlieren, wird die Union den widrigen Zeiten mehr als nur standhalten können. Banken und Europa Die privaten Banken in Deutschland haben die Idee eines vereinten Europas in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten uneingeschränkt unterstützt. Der Gedanke eines offenen Wirtschaftsraums, in dem Waren, Dienstleistungen, Ideen, Menschen und Kapital unbeschränkt zirkulieren können, hat von jeher etwas Faszinierendes an sich. 6 04 // 2017

Hinter allem aber steht der Gedanke einer immer engeren Bindung von einst verfeindeten Nationen, die aus dem europäischen Projekt ein Friedensprojekt gemacht haben. Banken als elementare Bestandteile einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung sehen sich in der Verantwortung, für dieses friedliche, vereinte, freie und solidarische Europa einzutreten, das nach innen wie nach außen handlungsfähig sein muss. Für die Branche gilt nach wie vor das Credo: Wenn wir die EU nicht hätten, müssten wir sie erfinden. Da wir sie glücklicherweise haben, müssen wir sie verbessern. EU in gefährlichem Fahrwasser Es nützt dabei nichts, die gegenwärtigen Realitäten zu leugnen. Die Europäische Union schlingert in durchaus gefährlichem Fahrwasser. Autoritäres Regierungshandeln in einzelnen Staaten droht unsere liberale Werteordnung von innen zu untergraben. Populistische Strömungen stellen in fast allen Mitgliedsländern eine existenzielle Herausforderung dar. Wie unter einem Brennglas hat die Flüchtlingsfrage deutlich gemacht, welche gewaltigen Herausforderungen sich in der näheren Nachbarschaft der EU zusammengebraut haben und was es für den Zustand und die Belastungsfähigkeit der EU bedeutet, wenn ihre Mitglieder zu einheitlichem bzw. solidarischem Handeln nicht fähig oder nicht willens sind. Dann der Brexit-Entscheid vom Juni 2016. Er war auch für die Finanzwirtschaft ein schwerer Schock. Wir private Banken bedauern ausdrücklich, dass eine Mehrheit der britischen Bevölkerung für den Austritt aus der Europäischen Union votiert hat. Der sich nun konkretisierende Verlust eines wichtigen Mitgliedslands ist ein Novum in der Geschichte der EU, das am Selbstverständnis der Union kratzen wird. Die ökonomischen Folgen für die verbleibenden Mitgliedstaaten mögen überschaubar sein; der politische Verlust ist aber gewaltig. Zu einer dauerhaften Zerreißprobe für die Währungsunion haben sich derweil die anhaltenden ökonomischen Schwierigkeiten in verschiedenen Euro-Ländern entwickelt. Insbesondere die Wachstumsschwächen Griechenlands, Italiens und auch Frankreichs bergen noch erhebliche Risiken in sich. Die Währungsunion, so viel scheint sicher, ist noch nicht über den Berg. Summa summarum also ist die Gefahr, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ihren großen Kapitalstock verspielen, nicht völlig von der Hand zu weisen. Europäischen Geist beschwören Doch wie schon angedeutet: Die EU-Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, den Fliehkräften entgegenzuwirken. Einerseits ist hierfür ein pragmatisches Vorgehen notwendig, andererseits muss es der EU und ihren Mitgliedern gelingen, einen neuen europäischen Geist zu beschwören. Gerade in weltpolitisch bewegten Zeiten gibt es keine andere Option als diejenige, enger zusammenzuarbeiten und die Union so zu stärken, dass sie auf der internationalen Bühne eine wichtige Rolle spielen kann. Dies heißt aber auch: Wir brauchen mehr EU für das Große und möglicherweise etwas weniger EU für das Kleine. Eine engere Zusammenarbeit und ein engerer Zusammenschluss bedeuten eben nicht zwangsläufig, auf ein vereinheitlichtes Europa hinzusteuern, das die Völker mehrheitlich wohl auch gar nicht wollen. Pragmatische Lösungen im europäischen Geist – was kann das heißen? Aus Sicht der privaten Banken sind drei Aspekte von großer Bedeutung: 1. Reform der Währungsunion in Angriff nehmen In den vergangenen Jahren ist viel unternommen worden, damit die Schuldenkrise einzelner Euro-Staaten nicht die Währungsunion als Ganze in existenzielle Gefahr bringt. Die Stabilisierungsmaßnahmen haben gewirkt, aber das Fundament, auf dem die Währungsunion steht, ist noch längst nicht robust genug. Noch harren viele Fragen einer endgültigen Antwort: Wie kann sichergestellt werden, dass die Schuldenkriterien des Europäischen Stabilitätspakts an Verbindlichkeit hinzugewinnen und in der Zukunft tatsächlich dauerhaft befolgt werden? Welche Bindewirkung soll das in den Europäischen Verträgen verankerte No-Bail-Out-Prinzip künftig haben? Wann wird es ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten geben? Müssen und sollten die 04 // 2017 7

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