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die bank 04 // 2015

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó IT & KOMMUNIKATION

ó IT & KOMMUNIKATION Bank Beyond Banking SMART SERVICES Innerhalb der Digitalen Agenda der Bundesregierung ist die Smart-Service-Welt, nach Industrie 4.0, das zweite große Zukunftsprojekt. Grundlage bildet ein Empfehlungsbericht. Er ist das Ergebnis der Arbeit eines Expertenbeirats koordiniert von der Akademie der Technikwissenschaften (Acatech). Der Bericht wurde der Bundesregierung im März auf der Cebit übergeben. In der Smart-Service-Welt stehen digitale Geschäftsmodelle auf Software- und Serviceplattformen im Fokus. Für Banken hat der Bericht hohe Relevanz: Es bestehen Chancen und Risiken fernab des Bankgeschäfts. Für den Weg in die Smart-Service- Welt braucht es Verständnis sowie Überzeugungskraft – Umdenken ist erforderlich. Lars Schatilow Keywords: Digitalisierung, Customer Journey, Corporate Rethinking Das in den USA initiierte Industrial Internet Consortium (IIC) demonstriert eindrucksvoll das große Interesse an unternehmensübergreifenden Kooperationen im digitalen Zeitalter: Über 130 Organisationen weltweit entwickeln schnell realisierbare Industrial Internet Prototypen in Testbeds. Damit wird ein Ökosystem von Firmen geschaffen, das Normen und Standards für die Industrie definiert. Aus Deutschland ist derzeit nur das Unternehmen Bosch sowie die TU Darmstadt im IIC vertreten. Es besteht die Gefahr, dass das international renommierte deutsche Zukunftsprojekt Industrie 4.0 zwar hier erfunden wurde, dessen Monetarisierung allerdings andernorts stattfinden wird. Weckruf für die Wirtschaft Für die Bankbranche hat insbesondere das nächste Zukunftsprojekt der Bundesregierung, die Smart-Service-Welt, große Relevanz: Es ist ein handlungsorientierter Weckruf an Unternehmen, Politik und Gesellschaft, die Bedeutung von branchenübergreifenden Diensten und Dienstleistungen in den Mittelpunkt digitaler Innovationen zu stellen. Denn vor allem auf der Ebene von Services laufen hiesige Unternehmen derzeit Gefahr, die Kontrollpunkte in ihren Wertschöpfungsketten an digitale Plattformbetreiber zu verlieren. Diese Entwicklung zeichnet sich nicht nur in der Taxibranche ab, in der das branchenfremde IT-Unternehmen Uber, ohne in ein einziges Produkt-Asset investieren zu müssen, den gesamten Markt neu definiert. Digitale Serviceplattformen machen dies möglich: Taxis werden über Smartphones der Fahrer zu Smart Products und mit der Plattform verbunden. Nutzer können über die Plattform automatisiert ein Taxi bestellen. Die Folgen: (1) Wer die Beförderung erbringt, ist dem Nutzer egal. (2) Traditionelle Taxiorganisationen werden überflüssig. (3) Der Serviceplattformbetreiber hat den Kundenzugang, genießt das Vertrauen und kann mit branchenübergreifenden Partnern völlig neue, spannende Geschäftsmodelle entwickeln, die dem User auch außerhalb seines Bedarfs nach Mobilität Nutzen stiften. Der Bankbranche stehen die Auswirkungen der Smart Service-Welt unmittelbar bevor: Nutzer wollen je nach Situation die beste Dienstleistung bei Finanzfragen: Wer die Leistung erbringt, ist ihnen zumeist einerlei – es geht um den persönlichen, nachhaltigen Mehrwert. Konkret heißt das beispielsweise: Ein digitaler Service-Plattformbetreiber für Finanzfragen weiß, wann ein Nutzer in einem Geschäft erwägt, ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Er informiert den Nutzer über die Möglichkeit des Kaufs vor dem Hintergrund dessen Finanzlage und erledigt im Fall des Kaufs automatisch die Transaktion mit dem Einzelhändler. Der Nutzer verlässt den Laden und hat mit Finanzen mit gutem Gewissen nichts zu tun. Ob dieser Smart-Service-Anbieter eine Bank, ein IT- Gigant oder Einzelhändler ist, interessiert den Kunden nicht. Er will sich einfach darauf verlassen, dass die Leistung dauerhaft stimmt und sicher ist. Mit den im Februar veränderten Datenschutzbestimmungen sowie der Beantragung einer Banklizenz ist absehbar, dass Facebook in naher Zukunft diesen Finanzservice durch branchenübergreifende Kooperation ermöglichen wird und ein digitales Ökosystem errichtet. Deutsche Banken werden dann mit ihren Produkten auf Zuliefererrollen reduziert sein. Denn die Kundenschnittstelle bedient Facebook, das wichtige Kontrollpunkte in der Retailbanking-Wertschöpfung übernimmt. Das Zukunftsprojekt Smart-Service- Welt ist quasi der eindringliche Versuch der Bundesregierung, das Verständnis in den Unternehmen für derart radikale Veränderungen zu schaffen und den unternehmens- und branchenübergreifenden Aufbau von digitalen Serviceplattformen zu forcieren. Denn anders als bei Industrie 4.0 gibt es keine Zwischenstufe der Risikoeskalation in der Smart-Service-Welt: Es geht nicht mehr nur um Kämpfe der Nor- 56 diebank 4.2015

IT & KOMMUNIKATION ó mierung und Standardisierung, sondern unmittelbar um den Verlust der Kundenzugänge und damit der Wertschöpfung. Digitalisierung missverstanden – Potenziale liegen brach Die Experten des Acatech-Beirats beschreiben in ihrem Empfehlungsbericht: In Unternehmen werde die Digitalisierung meist als Mittel zur Effizienzsteigerung von Prozessen und Abläufen innerhalb bestehender Geschäftsmodelle verstanden. Der Fokus liegt auf der oftmals eiligen Entwicklung und Implementierung von IT- Tools entlang einer Customer Journey, die sich nur an Bankkunden und deren Nutzen orientiert. Die Smart-Service-Welt wird dabei nicht durchdacht – Potenziale liegen brach. Banken vermarkten dann inkrementelle Produktneuheiten als Leuchttürme und laufen damit Gefahr, von der Öffentlichkeit abgestraft zu werden, die weitaus disruptivere Innovationen von Start-ups oder US-amerikanischen IT-Giganten kennt. Denn völlig losgelöst von der Branchenzugehörigkeit steht in der Smart-Service-Welt nur das situative Bedürfnis des Nutzers, in seiner privaten oder beruflichen Lebenswelt, nach digitalen Diensten oder physischen Dienstleistungen im Mittelpunkt. Diese Bedürfnisse zu bedienen, begründet die neue Vision und Strategie und bestimmt die Auswahl von IT, Personal, Partnern und Geschäftsmodellen. Auf diese Weise wird insbesondere das in der Bankbranche bislang nicht vorstellbare Realität: Vermeintliche Konkurrenten entwickeln eine gemeinsame, digitale Serviceplattform und bieten Smart Services mit Akteuren aus Branchen, die fernab des klassischen Geschäfts liegen. Der Anspruch muss dabei lauten: Je exklusiver die Kundschaft, desto mehr bemüht sich die Bank, jedes situative Bedürfnis entweder selbst oder durch seine Smart-Service-Partner möglichst automatisiert zu bedienen. Die Kundenbeziehung ist dann deutlich mehr als bisherige Customer Journeys abbilden. Bank neu erfinden Die Dienstleistung einer Bank umfasst in der Smart-Service-Welt auch das folgende Szenario: Ist ein älterer (Bank-)Kunde in seiner Wohnung gestürzt, meldet der Teppich als Smart Product automatisch den Sturz an die Smart-Service-Plattform der Bank. Angehörige sowie der lokale Pflegedienst werden über die Plattform unmittelbar auf deren mobilen Endgeräten benachrichtigt und können helfen. Wird ein solches Szenario für eine Bank als abwegig begriffen oder vorbeugend, vor dem Hintergrund lästiger Überzeugungsarbeit bei internen und externen Stakeholdern, als „nicht machbar“ erklärt, sind die Folgen absehbar: Entweder der Teppichhersteller, der Pflegedienst, der Mobilfunkanbieter, ein Angehöriger oder völlig fremder Akteur mit Geschäftssinn entwickelt die digitale Service-Plattform. Denn als deren Betreiber stiftet er in der Wahrnehmung der User den größten Nutzen, genießt ihr Vertrauen und ist dadurch in der Lage zu bestimmen, welche weiteren Anbieter Services auf seiner Plattform offerieren dürfen. Er definiert damit Marktzugänge – auch für Banken, wenn er bestimmt, welchen Finanzpartner er für integrierte Bezahlmodelle zulässt. Aufgrund der Datenhoheit wird es ihm zudem möglich, eine Vielzahl weiterer Smart-Service-Geschäftsmodelle branchenübergreifend zu entwickeln und anzubieten. Die Bank spielt dann in einem extrem kundenzentrierten digitalen Ökosystem keine Rolle. Derart disruptive Geschäftsmodell-Spiele, die durch intelligente Daten (Smart Data) möglich werden, sind in digitalen Strategien der meisten großen Bankhäuser derzeit nicht anzutreffen. Vor allem die aktuell beliebten Customer Journeys bei digitalen Transformationsprozessen verhindern den Eintritt von Banken in die Smart-Service- Welt. Es besteht Nachbesserungsbedarf. Umdenken erzeugen Die Experten im Smart-Service-Welt-Beirat von Acatech sind sich einig: Hürden für Deutschlands Industrie wie auch Bankbranche liegen weniger in der IT-Fähigkeit als vielmehr in deren kreativer Nutzung für Wertschöpfung beyond Banking. Es fehlt die Vorstellungskraft bei internen wie externen Stakeholdern sowie der unnachgiebige Gestaltungswille von Vorständen für den erforderlichen großen Wurf. Mit Blick auf die derzeitigen Visionen von hiesigen Banken kann diese These als bestätigt gelten: Ziel ist es weiterhin, der Branchenprimus zu sein – auch im digitalen Zeitalter. Umdenken ist erforderlich. Fazit Die Smart-Service-Welt eröffnet Banken zahlreiche Chancen, die erkannt und aufgrund des branchenübergreifenden Wettbewerbsdrucks zeitnah ergriffen werden müssen. Für deren Erschließung muss sich die Haltung diverser Stakeholdergruppen verändern. Dafür braucht es eine Umdenkund Mobilisierungskampagne (Corporate Rethinking): Der Bankvorstand formiert sich symbolisch als Innovationsteam, formuliert eine Vision für die Smart-Service- Welt und verkündet den Weg dorthin als ergebnisoffenen Suchprozess: Interdisziplinäre Freiwilligen-Teams (Beta-Teams) aus der IT, kreativen Mitarbeitern, zukunftsorientierten Kunden und Partnern entwickeln und erproben Smart-Service-Pilotprojekte. Sie bilden die Keimzelle der Erneuerung. Neben kreativen Geschäftsmodellen entstehen dabei neue Muster der Zusammenarbeit. Sie werden durch weitere Kampagnenmaßnahmen in die gesamte Organisation getragen und erlebbar. Der Bankvorstand muss dabei kontinuierlich die wahrnehmbar treibende Kraft sein. Der Weg in die Smart-Service-Welt ist daher vor allem eine kommunikative Kraftanstrengung. Er bietet jedoch die Chance auf Neuerfindung für die nächste Ära von Wertschöpfung. ó Autor: Dr. Lars Schatilow war Mitglied im Acatech-Expertenbeirat Smart-Service-Welt. Er ist Spezialist für Digitale Transformation bei Deekeling Arndt Advisors in Communications GmbH, Düsseldorf. 4.2015 diebank 57

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