MANAGEMENT die New York Times. Zu den Ländern, die bei dem Thema „Altersgerechtes Angebot von Finanzdienstleistungen“ schon sehr viel weiter sind, zählt Israel. Auf einer Konferenz konnten die Gründerinnen dort jüngst ihr Geschäftsmodell präsentieren. Eine Skalierbarkeit sei gut machbar. Lediglich die Finanztipps müssten auf das jeweilige Land zugeschnitten werden. Suche nach Investoren wird schwieriger Um zu gründen bzw. das Geschäft auszubauen, brauchen sowohl Brygge wie auch Solaris Geld. Und das in einer Zeit, in der Venture Capital längst nicht mehr so spendabel vergeben wird wie zu Spitzenzeiten. Zuletzt hatten die Berliner im Juni 2022 rund 40 Mio. € bei Bestandsinvestoren eingesammelt, womit sich das bislang insgesamt eingeworbene Kapital auf rund 400 Mio. € summierte. Mit neuem Kapital will das FinTech nun die Kernkapitalquote stärken. „Wir sprechen mit bestehenden Aktionären, sind seit Ende Februar aber auch in Gesprächen mit neuen Investoren. Angepeilt werden 100 bis 150 Mio. €“, sagt Höltkemeyer. Große Wachstumschancen verbunden mit der baldigen Aussicht auf Gewinn stimmen ihn optimistisch, dass auch diese neue Finanzierungsrunde erfolgreich abgeschlossen werden kann. „Nach wie vor mangelt es nicht an Venture Capital. Das Interesse bei den Investoren ist da.“ Darüber hinaus werde das Unternehmen daran arbeiten, börsenfähig zu werden. „Ab 2024 bzw. 2025 könnte es so weit sein. Aber ob wir dann tatsächlich an die Börse gehen, ist eine andere Frage und hängt auch von den Bedingungen an den Kapitalmärkten ab.“ Trotz wirtschaftlicher Turbulenzen und zurückhaltender Investoren gelang es auch Brygge, das nötige Kapital für die Gründung aufzutreiben. Einen Teil steuerten Schwertner und Steinke aus ihren eigenen Ersparnissen bei. Aber auch in der Finanzszene bekannte Köpfe wie André Bajorat, ehemaliger CEO beim API-Spezialisten figo und heute Global Head of Strategy, Products and Solutions bei der DWS Group, konnte das Brygge-Duo überzeugen. Schließlich holten sie noch die Hamburger Investitions- und Förderbank mit an Bord, die mit zwei Förderprogrammen das Fin- Tech unterstützt. Schwertner räumt ein: „VCs schauen heute sehr viel genauer hin. Wir haben aber den Vorteil, dass unser Geschäftsmodell darauf abzielt, sehr früh rentabel zu sein.“ Die Herausforderung bestehe darin, zu kommunizieren, dass man eben nicht die nächste Neobank sei. „Wir müssen zudem Vorbehalte gegenüber der Zielgruppe abbauen und Mauern in den Köpfen einreißen.“ Das bekamen die FinTech-Chefinnen bereits gleich mehrfach zu spüren. „Manch ein Business Angel reagierte ganz empört, weil er meinte, wir hätten ihn nur kontaktiert, weil er älter ist.“ Erträge erzielt Brygge vor allem durch monatliche Abo-Gebühren, die je nach Einkommenshöhe gestaffelt sind. Bei einem monatlichen Gehalt bzw. einer Rente unter 1.000 € ist die Nutzung der Plattform kostenlos, die Preise sind gestaffelt und reichen bis zwölf € im Monat bei Einkommen über 3.000 €. „Binnen fünf Jahren können wir mit unserem Abo-Modell rentabel werden. Unsere Zielgruppe ist so groß, dass wir nur einen kleinen Marktanteil von 0,5 Prozent benötigen“, glaubt Schwertner. Die Höhe des Einkommens ermittelt Brygge über die von den Kunden verknüpften Konten während des Testmonats. Mittelfristig wollen die Gründerinnen einen Teil ihres Umsatzes für soziale Projekte ausgeben, etwa für die Finanzierung von Tablets für Senioren. Während Brygge noch ganz am Anfang steht, muss Solaris schon seit längerem damit klarkommen, dass die BaFin ein Auge auf alle Aktivitäten wirft. Zunächst hatte die Behörde teils schwerwiegende organisatorische Mängel festgestellt. Dabei ging es u. a. um die Bekämpfung von Geldwäsche und die Überprüfung von Kunden. Ende 2021 erhöhte die BaFin die Eigenkapitalanforde- 34 03 | 2023
MANAGEMENT rungen und schickte im Januar 2022 den Berlinern sogar einen Sonderprüfer ins Haus. Anfang 2023 wurde die Kontrolle sogar noch verschärft. Neue Partnerschaften darf Solaris aktuell nur eingehen, wenn die BaFin grünes Licht gibt. Dass Höltkemeyer seinen Job mit dieser schweren Hypothek starten musste, scheint er eher als Antrieb denn als Hindernis zu sehen. „Wir haben die Themen Governance und Regulierung unterschätzt, steuern aber entschieden gegen.“ Die personelle und technische Ausstattung in diesen Bereichen seien deutlich verbessert und das Know-how erweitert worden. Zum Jahreswechsel übernahm Ansgar Finken die neu geschaffene Position des Chief Risk Officer im Vorstand und ist gleichzeitig für Compliance zuständig. In der gleichen Funktion war Finken zuletzt bei der BHW Bausparkasse AG. Erste Ergebnisse werden sichtbar. „Die Anzahl der verdächtigen Transaktionen, etwa mit Blick auf mögliche Geldwäsche, ist im vergangenen Jahr deutlich gesunken“, so Höltkemeyer. Die Prozesse seien zwar besser geworden. Nachholbedarf sieht der künftige CEO jedoch bei der Kommunikation mit der BaFin. Dabei setzt er auch auf einen besseren Austausch mit einem neuen Sonderprüfer, den die Behörde im Januar 2023 schickte. Dieser kontrolliert regelmäßig vor Ort, ob und wie der Finanzdienstleister die festgestellten Mängel beseitigt hat. „Ich legt großen Wert auf einen regelmäßigen persönlichen Austausch mit Sonderprüfer und BaFin. Ich hoffe, dass wir diesen Prozess baldmöglichst abschließen können“, so Höltkemeyer. Schließlich müsse er in jedem Kundengespräch erklären, was die BaFin-Aufsicht für das Geschäft bedeute. Das sei nicht gerade förderlich. Trotz der Restriktion bei der Aufnahme neuer Partner peilt das Berliner Unicorn 2023 erstmals einen Gewinn und ein Wachstum in einem Korridor von 30 bis 40 Prozent an. Gut positioniert sieht sich Solaris mit seiner europäischen Aufstellung. Die großen Unternehmenskunden würden oftmals eine Präsenz in genau den Märkten voraussetzen, in denen Solaris bereits mit Niederlassungen vertreten ist: Neben dem Kernmarkt Deutschland seien dies Großbritannien (via Contist) sowie Frankreich, Italien und Spanien. „Mit unseren Lizenzen könnten wir zwar schon mehr als 30 Länder bedienen, werden uns aber zunächst auf die bestehenden Standorte fokussieren.“ Auch weitere Zukäufe seien nicht geplant, es gebe genug Potenzial, organisch zu wachsen. „Eine gute Übernahme-Chance würden wir uns aber genau anschauen.“ Mit der BaFin hat Brygge keine Berührungspunkte. Noch hat das Hamburger Unternehmen keine eigene Finanzdienstleistungslizenz für den Open-Banking-Zugriff erworben, sondern greift auf einen externen Dienstleister zurück. „Langfristig streben wir jedoch eine eigene Zahlungsinstitutslizenz an“, so Schwertner. Das sei jedoch eine Frage der Ressourcen. Bei der Kontenverknüpfung etwa könne Brygge dann die Benutzerfreundlichkeit verbessern und wäre nicht auf Dritte angewiesen. Jetzt will sich Brygge erst einmal darauf konzentrieren, Kunden für die Plattform zu begeistern. Auch im Familienkreis gibt es erste Erfolge. „Meine 70-jährige Mutter hat jüngst ihre erste Online-Überweisung gemacht“, freut sich Schwertner und hofft künftig auf regen Zulauf. Dann könnte sie sich auch einen Traum erfüllen. „Wir würden zu gern einen Werbespot vor der Tagesschau schalten.“ Autorin Eli Hamacher ist Diplom-Volkswirtin und arbeitet seit 30 Jahren als Wirtschaftsjournalistin. Die Freelancerin schreibt für „die bank“ vor allem über die Branche und Porträts über einzelne Unternehmen. Ein weiterer Fokus ihrer Arbeit sind Auslandsmärkte. 03 | 2023 35
Laden...
Laden...
Laden...