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die bank 02 // 2020

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die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

MARKT EINFLUSS

MARKT EINFLUSS VERHALTENSPSYCHOLOGISCHER FAKTOREN Behavioural Finance in der Geldanlage Die Praxis der Geld- und Kapitalanlage sowie der damit verbundenen Anlage- und Vermögensberatung lässt sich in vielen Fällen nicht mit der klassischen Kapitalmarkttheorie und dem Leitbild des Homo Oeconomicus erklären. Behavioural Finance hingegen analysiert das real beobachtbare Anlageverhalten vor dem Hintergrund begrenzter Rationalität und unter Einbeziehung kognitiver verhaltenspsychologischer Faktoren. Deren Einfluss war Gegenstand einer aktuellen multiperspektivischen Studie. Das Forschungsgebiet der Behavioural Finance versucht die Defizite der klassischen Kapitalmarkttheorie und des korrespondierenden Menschenbilds des Homo Oeconomicus insofern auszugleichen, als es den Akteuren anstelle vollständiger nur begrenzte Rationalität unterstellt und das tatsächlich beobachtbare, durch emotionale Prozesse beeinflusste Anlageverhalten untersucht wird. Dabei werden verhaltenspsychologische Faktoren in die Betrachtung integriert, um das Verhalten der Marktakteure realitätsnäher prognostizieren zu können. Solche, auch Heuristiken genannte verhaltenspsychologischen Faktoren können in diverser Form sowie in unterschiedlichen Phasen des Anlageprozesses auftreten. Daraus resultiert eine hohe Relevanz für die Anlage- und Vermögensberatung, da mit der Möglichkeit der besseren Vorhersehbarkeit von Anlageverhalten auch die Entwicklung des Markts insgesamt besser eingeschätzt werden kann und sich Anlage- und Beratungsfehler leichter vermeiden lassen. Vor diesem Hintergrund wurde eine multiperspektivische Studie konzipiert, die die unterschiedlichen Sichtweisen von Anlage- und Vermögensberatern, privaten und institutionellen Anlegern sowie wissenschaftlichen Vertretern integriert und analysiert hat, welche Heuristiken aus Sicht der unterschiedlichen Experten wann im Prozess der Anlageberatung auftreten und wie sie diesen ggfs. beeinflussen. 1 ÿ 1 Der aktuelle Forschungs- und Erkenntnisstand ist stark von quantitativer Forschungsmethodik dominiert und basiert zumeist auf standardisiert erhobenem Datenmaterial sowie damit verbundener statistischer Auswertungsmethodik. Explorative, qualitativ geprägte Forschung auf der Basis von Experten- bzw. Tiefeninterviews ist dagegen kaum vertreten. Ferner konzentriert sich die bisherige Forschung im Wesentlichen auf das Anlegerverhalten, sodass die Auswirkungen von Behavioural Finance auf den Prozess der Anlage- und Vermögensberatung weitestgehend unerforscht sind. Um diese Erkenntnisdefizite auszugleichen, basiert die vorliegende Studie auf Tiefeninterviews mit selektierten Experten, die das Auftreten und die Relevanz unterschiedlicher Heuristiken im Prozess der Anlageberatung zu ergründen versuchen. ÿ 2 Ergebnisse zur Abhängigkeit von Referenzpunkten Der Dispositionseffekt bezieht sich auf die Tatsache, dass Anleger dazu tendieren, Gewinne zu früh zu realisieren, während sie an Verlusten zu lange festhalten. Die Anlagepraxis zeigt, dass dieser Faktor allgegenwärtig ist und Anlageberater vor große Herausforderungen stellt. Mit der Realisierung eines Verlusts verbindet der Anleger ein Gefühl des Versagens, weshalb er diese Vorgehensweise in den meisten Fällen vermeidet. Ein befragter Anlageberater erläuterte dazu, dass Kunden zu diesem Verhalten tendieren, weil sie sich zu wenig mit der jeweiligen Anlage auseinandersetzen und dementsprechend nicht einschätzen können, wie die zukünftige Entwicklung aussieht. Das steht im Einklang mit dem bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Ein befragter privater Anleger war davon überzeugt, dass es durchaus vorkommen könne, dass er Gewinne zu früh realisiere. Jedoch konnte er durch seine Erfahrung und die Optimierung des Timings den Einfluss des Dispositionseffekts vermindern. Bei den befragten institutionellen Investoren konnte dieses Verhalten ebenfalls festgestellt werden, jedoch nicht die explizite Ausprägung der Heuristik im Kontext der Anlageinvestition. Die Verlustaversion ist eine Heuristik, wonach Anleger verlustbringenden Anlagen eine höhere Bedeutung beimessen als gewinnbringenden Investitionen. In der Anlage- und Vermögensberatung ist dieser Effekt ebenfalls offensichtlich. Demnach konzentriert sich der Kunde stark auf diejenigen Anlagen, die sich nicht durch eine gute Performance auszeichnen konnten. Dabei liegt der Fokus weniger auf dem Gesamtportfolio als vielmehr auf den Einzelanlagen. Ist die Performance des Gesamtportfolios demnach positiv, wird dies vom Anleger nicht honoriert, da sein Fokus auf der verlustbringenden Investitionsentscheidung liegt. Dies bestätigte der befragte Privatinvestor; ihn beschäftigen Verluste zumeist stärker als die realisierten Gewinne. Zusätzlich reflektierten die Interviews, dass der Dispositionseffekt mit zunehmender Erfahrung durchaus abnehmen könne – was jedoch nicht eine gleichzeitige Minimierung der Verlustaversion zur Folge habe. Die Wahl falle 14 02 // 2020

MARKT oft auf Anlagen, die bereits bekannt und durch steigende Kurse gekennzeichnet seien. Aufseiten der institutionellen Investoren spiele die vorliegende Heuristik keine Rolle; hier liege der Fokus auf dem Gesamtportfolio, nicht auf einer Einzelbetrachtung. Die Unterschiede in den aufgezeigten Verhaltensweisen wurden von den befragten Wissenschaftlern bestätigt. Sie stellten heraus, dass vor allem private Investoren und weniger die institutionellen Anleger von der genannten Heuristik betroffen seien. Der Splitting-Effekt besagt, dass eine höhere Auswahlmöglichkeit an Anlagen zu höheren Investitionen führen kann. In vergangenen Studien wurde deutlich, dass dieser Heuristik nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, da der Fokus auf der Heuristik des Framings liegt. Daher erscheint es als besonders interessant, den Einfluss des Effekts in Bezug auf die Anlage- und Vermögensberatung zu untersuchen. Ein Anlageberater bestätigte, dass eine große Auswahl dazu führen kann, dass der Anleger mehr investiere – zumal ein großes Angebot auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine passende Anlagemöglichkeit beinhaltet. Jedoch sollte die Auswahl nicht zu groß sein, da der Anleger aufgrund seiner begrenzten Rationalität nicht in der Lage sei, dies zu verarbeiten. Der befragte private Investor bestätigte den Splitting-Effekt: Sein Investitionsvolumen sei höher, wenn ihm mehr Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Richtet man den Fokus aber auf die institutionellen Anleger, wird deutlich, dass die Entscheidungen nicht anhand der Auswahlmöglichkeiten, sondern mithilfe der durchgeführten Analysen und Bewertungen getroffen werden. Die befragten Wissenschaftler waren der Meinung, dass institutionelle Anleger weniger vom Splitting-Effekt beeinträchtigt sein sollten als private Anleger. Bedient man sich zusätzlich noch der Heuristik des Framings, kann der Kunde durchaus dazu bewegt werden, mehr Kapital in verschiedene Anlagemöglichkeiten zu investieren. Folglich kann Framing einen positiven Einfluss auf die Anlageentscheidungen ausüben, wenn die Anleger von der Inves- 02 // 2020 15

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