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die bank 02 // 2016

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó BERUF & KARRIERE

ó BERUF & KARRIERE tigsten Validitätskonzepte unterscheiden sich voneinander. Während die Konstruktvalidität angibt, in welchem Maße ein Verfahren das misst, was es messen soll, gibt die prognostische (oder prädiktive) Validität auf der Grundlage statistischer Messungen darüber Auskunft, ob prognostizierte Effekte (empirisch) tatsächlich eintreten bzw. eingetreten sind. Dazu werden zwei Entitäten, z. B. ein distinktes Beurteilungskriterium und ein abgrenzbar ableitbarer Effekt in der beruflichen Leistung, ins Verhältnis zueinander gesetzt und in Form einer Korrelationsziffer ausgedrückt. Eine Validität von 1.0 weist einen vollständigen Zusammenhang zwischen Kriterium (Prädiktor) und Erfolg aus. Dieser vollständige Zusammenhang ist in der Praxis aufgrund von Fehlern und Artefakten allerdings nicht erreichbar. Eine Validität von 0.0 zeigt an, dass es zwischen beiden Entitäten keinen Zusammenhang gibt und entsprechende Ableitungen oder Vorhersagen unzulässig wären. Gute Validitäten im personalwirtschaftlichen Kontext liegen oberhalb von 0.5. Kombiniert man unterschiedliche Verfahren der Urteilsbildung miteinander, ist es bei solider Konstruktion möglich, insgesamt höhere Validitätswerte zu erzielen. Man spricht dann von inkrementeller Validität. Wertvolle Impulse für das Recruiting Die Akzeptanz von Auswahlverfahren ist ein Indikator für deren betriebliche Praktikabilität. Verfahren, die von Führungskräften und Mitarbeitern gut angenommen werden, lassen sich leicht in die personalwirtschaftliche Praxis überführen. Der Grad der Akzeptanz basiert in der Regel auf der subjektiv wahrgenommenen Selbstwirksamkeit (Kontrollüberzeugung) und der Augenscheinvalidität des eingesetzten Instrumentariums. Je höher beide Effekte sind, desto höher ist die Akzeptanz. Allerdings stehen die beiden Faktoren zu den anderen Gütekriterien der Mitarbeiterbeurteilung (Objektivität, Reliabilität und Validität) nicht immer in einem konstruktiven Verhältnis. Vielmehr weisen Methoden mit hoher Akzeptanz trendmäßig eher geringe Werte in den „harten“ Gütekriterien auf ” 1. In Anlehnung an die Methodenlehre der evidenzbasierten Medizin werden im Rahmen evidenzbasierter Eignungsdiagnostik die maßgeblichen Gütekriterien auf der Basis randomisierter kontrollierter Studien (Randomized Controlled Trial RCT) erfasst und bewertet. 1 Außerdem werden einzelne dieser Studien immer wieder in Meta-Analysen gebündelt und aggregiert. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse lassen sich heute eindeutige Aussagen darüber treffen, welche eignungsdiagnostischen Verfahren geeignet sind und welche nicht – immer im Sinn, dass die prognostische Validität ausschlaggebend ist ” 2. Grundsätzlich lassen sich drei Gruppen von Personalauswahlverfahren in ihrer Validität unterscheiden: Gute Instrumente, deren prädiktive Validität 0.5 übersteigt (insbesondere Intelligenztests, strukturierte Interviews und Arbeitsproben), durchschnittliche Instrumente mit einer Validität um 0.3 bis 0.4 (z. B. Assessment Center, unstrukturierte Interviews) und ungeeignete Instrumente mit einer Validität um 0 (z. B. grafologische Gutachten). Intelligenztests und strukturierte Interviews sind am besten in der Lage, Berufserfolg zu prognostizieren. 2 Diese Befunde aus der empirischen Psychologie liefern wichtige Impulse für das Design brauchbarer eignungsdiagnostischer Verfahren. Das gilt insbesondere für den stark mittelständisch geprägten deutschen Bankenmarkt. Viele Privatbanken, Sparkassen und genossenschaftliche Institute verfügen aufgrund ihrer Größe oftmals nicht über Fachleute mit eignungsdiagnostischer Expertise. Da ist eine Orientierung an Ergebnissen wie den geschilderten sinnvoll. Gleichwohl: Resultate aus der psychologischen Forschung lassen sich nicht umstandslos in die personalwirtschaftliche Praxis einer Bank mit 500 Mitarbeitern übertragen. Unter Akzeptanzgesichtspunkten beispielsweise wäre es verfehlt, prinzipiell Intelligenztests für die Personalauswahl in Volksbanken oder Sparkassen zu installieren. Psychologische Forschung in die Praxis überführen Evidenzbasierte Befunde zur Eignungsdiagnostik bedürfen einer Übersetzung in die personalwirtschaftliche Praxis. Andernfalls blieben sie wirkungs- und sinnlos. Theorie und Praxis müssen sauber ausbalanciert sein. Es hat erfahrungsgemäß keinen Sinn, hochvalide Instrumente der Personalauswahl einzuführen, wenn sie von Führungskräften und Mitarbeitern abgelehnt werden, wenn sie Ängste schüren oder zu Verunsicherung führen. Es kommt darauf an, handhabbare und kompakte Formate zu nutzen, die zu guten Ergebnissen führen und von der Beleg- 2 Prognostische Validität ausgewählter eignungsdiagnostischer Verfahren Eignungsdiagnostisches Verfahren Validität Validitätszuwachs gegenüber Intelligenztests Intelligenztest 0.51 Arbeitsprobe 0.54 0.12 Integritätstest 0.41 0.14 Gewissenhaftigkeitstest 0.31 0.09 strukturiertes Interview 0.51 0.14 unstrukturiertes Interview 0.38 0.07 Berufswissenstest 0.48 0.07 Überprüfung der Referenzen 0.26 0.06 Berufserfahrung in Jahren 0.18 0.03 Erfassung biografischer Daten 0.35 0.01 Assessment Center 0.37 0.01 Ausbildungsdauer in Jahren 0.10 0.01 Interessenstest 0.10 0.01 Grafologisches Gutachten 0.02 0.00 70 diebank 02.2016

BERUF & KARRIERE ó schaft verstanden werden. 3 Biografieorientierte Verfahren (z. B. Analyse des Lebenslaufs, biografische Fragestellungen) basieren auf der Überzeugung, dass bereits erbrachte Leistungen eine Aussage über künftigen Berufserfolg zulassen. Eigenschaftsorientierte Verfahren, insbesondere zahlreiche Testverfahren, werden mit Blick auf anforderungsbezogen relevante Persönlichkeitsmerkmale eingesetzt. Und simulationsorientierte Verfahren werden deshalb genutzt, weil konkret gezeigtes Verhalten in Fallstudien oder Rollenspielen Schlüsse auf künftiges Verhalten zulässt. In der Praxis gilt: Die Mischung macht’s. Tatsächlich haben empirische Studien und praktische Erfahrungen gezeigt, dass eine intelligente, situations- und unternehmensspezifische Kombination dieser drei Verfahrensklassen zu belastbaren eignungsdiagnostischen Aussagen führt, einen vertretbaren betrieblichen Aufwand erzeugt und bei allen Beteiligten hohe Akzeptanz genießt. Wie kann so etwas ganz konkret in der Praxis aussehen? Zunächst bedarf es eines Anforderungsprofils für die Mitarbeiter oder Führungskräfte, die im Rahmen der Personalauswahl oder auch der Personalentwicklung, z. B. in Form eines Managements Audits, an einem eignungsdiagnostischen Verfahren teilnehmen sollen. Dieses Anforderungsprofil stellt die Grundlage für die Konzeption und Durchführung der Eignungsdiagnostik dar. In vielen realen Verfahren hat sich dann eine Zweiteilung bewährt: 1. Durchführung eines (webbasierten) Persönlichkeitstests. 2. Durchführung eines strukturierten (biografischen und simulationsorientierten) Interviews ca. zwei Wochen später. Damit wären alle wesentlichen Dimensionen der Eignung bzw. der Eignungsdiagnostik abgedeckt. Der Persönlichkeitstest hebt auf die anforderungsrelevanten Eigenschaften des Bewerbers ab. Obwohl Intelligenztests strukturell dieser Verfahrensklasse angehören, sind sie nicht zwingend das Verfahren der Wahl. Tatsächlich existieren heute zahlreiche Testverfahren, die auf ganz unterschiedliche Facetten der Persönlichkeit abzielen. Da aber gerade in diesem Bereich zahlreiche unseriöse Anbieter präsent sind, bedarf es eines kritischen Unterscheidungsvermögens. Grundsätzlich genügen zahlreiche in der Testzentrale gelistete Persönlichkeitstests den Anforderungen evidenzbasierter Eignungsdiagnostik. Zusätzliche Sicherheit schaffen in einigen Fällen die Testrezensionen des Testkuratoriums der Föderation deutscher Psychologenvereinigungen (TBS-TK). Für den Kandidaten sollte ein zeitlicher Aufwand von einer Stunde nicht überschritten werden. Die meisten Testverfahren können am Arbeitsplatz oder zuhause absolviert werden. Das anschließende Interview enthält Fragestellungen zum bisherigen Werdegang des Bewerbers sowie anforderungsbezogene Fallstudien/Szenarien. Dieses Interview ist standardisiert und strukturiert. Standardisiert heißt: Alle Kandidaten werden auf der Basis eines identisch konstruierten Interviewleitfadens befragt. Und strukturiert heißt: Es liegt nicht einfach nur ein mehr oder weniger elaborierter Interviewleitfaden vor, sondern die Fragen sind präzise ausformuliert und mit einer methodisch differenzierten Bewertungsskala versehen. Im besten Fall wird der Interviewleitfaden vor dem Einsatz pilotiert. Je höher der Strukturierungsgrad, desto höher prinzipiell die eignungsdiagnostische Qualität. Aber Achtung: Zu viel Struktur mindert die Akzeptanz des Verfahrens. Ebenfalls aus Gründen der Akzeptanz und der Validität sollte das strukturierte Interview nicht länger als zwei Stunden dauern. Fazit Der Verzicht auf wissenschaftlich fundierte Verfahren zur Personalauswahl in deutschen Banken ist nicht opportun. Ebenso wenig wie der Einsatz ungeeigneter oder unseriöser Testverfahren. Assessment Center erzeugen einen hohen Aufwand, aber nicht zwingend brauchbare Daten, insbesondere dann nicht, wenn die Konstruktion fehlerhaft ist. Angesichts der betriebsund personalwirtschaftlichen Herausforderungen, vor denen die deutsche Bankenbranche steht – demografischer Wandel, Verringerung der Bewerberzahlen, steigende Anforderungen an das Bankgeschäft – können es sich die Kreditinstitute nicht mehr leisten, auf solide Methoden der Eignungsdiagnostik zu verzichten. Evidenzbasierte Erkenntnisse zu eignungsdiagnostischen Verfahren, d. h. Erkenntnisse, die auf der Basis randomisierter kontrollierter Studien (Randomized Controlled Trial RCT) entstanden sind, liefern wertvolle Hinweise und Impulse für die künftige eignungsdiagnostische Praxis in deutschen Banken. Dabei hat sich die Multimodalität von biografie-, eigenschaftsund simulationsorientierten Verfahren der Personalauswahl als praxistauglich und praxisförderlich erwiesen. In kompakten Formaten mit vertretbarem zeitlichem Aufwand für Mitarbeiter, Führungskräfte und Personalressort werden Persönlichkeitstests mit strukturierten biografischen und situativen Fragestellungen verknüpft. ó Autor: Dr. Viktor Lau ist Senior Manager bei zeb im Büro Frankfurt/Main. 1 Vgl. F.L. Schmidt/J.E. Hunter: Messbare Personenmerkmale: Stabilität, Variabilität und Validität zur Vorhersage zukünftiger Berufsleistung und berufsbezogenen Lernens, in: M. Kleinmann / B. Strauß (Hg.): Potentialfeststellung und Personalentwicklung, Göttingen 1998, S. 15-43. 2 T. Biemann/H. Weckmüller: Methoden der Personalauswahl: Was nützt? PERSONALquarterly 01/12, S. 47 und 49. 3 Vgl. H. Schuler: Psychologische Personalauswahl. Eignungsdiagnostik für Personalentscheidungen und Berufsberatung, Göttingen 2014 (4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage). 02.2016 diebank 71

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