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die bank 02 // 2016

die bank gehört zu den bedeutendsten Publikationen der gesamten Kreditwirtschaft. Die Autoren sind ausnahmslos Experten von hohem Rang. Das Themenspektrum ist weit gefächert und umfasst fachlich fundierte Informationen. Seit 1961 ist die bank die meinungsbildende Fachzeitschrift für Entscheider in privaten Banken, Sparkassen und kreditgenossenschaftlichen Instituten. Mit Themen aus den Bereichen Bankmanagement, Regulatorik, Risikomanagement, Compliance, Zahlungsverkehr, Bankorganisation & Prozessoptimierung und Digitalisierung & Finanzinnovationen vermittelt die bank ihren Lesern Strategien, Technologien, Trends und Managementideen der gesamten Kreditwirtschaft.

ó FINANZMARKT

ó FINANZMARKT Alternative zur modernen Portfoliotheorie ANLAGEBERATUNG 1952 veröffentlichte Harry Markowitz einen bahnbrechenden Aufsatz, der das Wertpapiergeschäft nachhaltig prägen sollte. Seither haben die Ergebnisse der Finanzmarktforschung die Art und Weise, wie Wertpapieranlagen beurteilt und Anlageentscheidungen getroffen werden, fundamental verändert. Die moderne Portfoliotheorie kann daher als eine erfolgreiche ökonomische Theorie angesehen werden. Aber selbst solch ein ausgeklügeltes und komplexes Modell kann das Verhalten der Finanzmärkte nicht adäquat erfassen. Der Praxistest fällt daher – obwohl zigfach Grundlage in der Anlageberatung deutscher Banken – oft unbefriedigend aus: Die Portfoliotheorie bezieht ihre Reputation eher aus der mathematischen Formulierung als aus ihrer empirischen Validität. Unsere Autoren übertragen das Modell der Theorie des Gewinnvorbehalts, von Prof. Dr. H. Koch ursprünglich für die Unternehmenstheorie entwickelt, auf den Anlageberatungsprozess. Marius Mönig | Karl-Heinz Prieß Keywords: Wertpapierberatung, Portfoliotheorie, Theorie des Gewinnvorbehalts Trotz niedriger Zinsen nutzen die deutschen Sparer die Möglichkeiten des Kapitalmarkts zu wenig, sie gelten bei der Vermögensanlage als ängstlich und pessimistisch. Dabei ist die Erwirtschaftung einer auskömmlichen Rendite in der Vermögensanlage und dem Vermögensaufbau insbesondere in Anbetracht des demografischen Wandels und der Beeinträchtigungen der sozialen Sicherungssysteme von großer Bedeutung. Die Anlageberatung basiert in Deutschland meist auf der Portfoliotheorie nach Markowitz: Anlageberater empfehlen einen Mix verschiedener Anlagemöglichkeiten, um durch Diversifikation das ideale Risiko-Nutzen-Verhältnis des Vermögens zu erzielen. Nach Markowitz ist die Rendite immer im Zusammenhang mit dem Risiko zu sehen. Fraglich ist, ob die Beratungen zu Recht auf diesem Modell beruhen oder ob es gegebenenfalls so fehleranfällig ist, dass die Ängste der Anleger in Deutschland berechtigt sind bzw. dadurch gar verstärkt werden. Die mangelnde praktische Umsetzbarkeit ist aufgrund der vielen Prämissen und Annahmen ebenfalls ein Indikator dafür, dass Anlageberatungen aufgrund der Portfoliotheorie kritisch zu hinterfragen sind. Eine Möglichkeit zur Überarbeitung des Anlageberatungsprozesses bietet der wissenschaftliche Ansatz von Koch. Seine Theorie des Gewinnvorbehalts veranschaulicht konstruktiv die Problematik des Modells von Bernoulli (auf das Markowitz zurückgreift) und trifft Aussagen über das unternehmerische Handeln. Seine ungewissheitstheoretische Konzeption nimmt dabei explizit Bezug sowohl auf das Sicherheitsbedürfnis als auch auf das Gewinnstreben des Unternehmers. Dieser Ansatz unterscheidet sich von der Portfoliotheorie u. a. bei der Betrachtung der beiden Aspekte Gewinn und Risikobegrenzung. Während Markowitz Rendite und Risiko anhand des μ--Prinzips von Bernoulli als gleichgeordnete Teilziele definiert, sieht Koch das Sicherheitsniveau als durchführbarkeitsadäquate Nebenbedingung des Gewinnstrebens. Diese unternehmensspezifische Theorie kann in die Anlagetheorien übertragen werden und bietet Optimierungsmöglichkeiten. Definition von Risiko und Rendite Da im deutschen Sprachgebrauch mit dem Begriff Risiko etwas Negatives verbunden wird, sollte das Risiko in der Anlageberatung nicht als symmetrischer Begriff für Abweichungen nach unten oder oben genutzt werden. Die Chance, eine bessere Rendite zu erzielen als angenommen, sollte als zusätzlicher Begriff neben dem Risikobegriff verwendet werden, so wie es Gräfer et al. in ihren unternehmerischen Entscheidungstheorien beschreiben. Es ist zu beachten, dass Unsicherheit und Risiko keine gleichgeordneten Begriffe sind. Das Risiko ist eine Folge mehrwertiger und ungenauer Zukunftsvorstellungen und dementsprechend ein Resultat der Unsicherheit. In der Anlageberatung sollte unter dem Begriff Risiko 16 diebank 02.2016

FINANZMARKT ó verstanden werden, dass aus der Anlageentscheidung Verluste entstehen können und das Risiko ein Resultat der Unsicherheit bei dieser Entscheidung ist. Die Chance hingegen beschreibt positive Abweichungen. Bei der Rendite ist herauszustellen, dass eine Betrachtung immer in Relation zum eingesetzten Kapital und zum Risiko erfolgen muss. Das Ertrag-Risiko-Profil ist für die Anlageberatung eine wichtige Bezugsgröße. Auch beinhaltet eine niedrigere Rendite nicht automatisch eine hohe Sicherheit. Markowitz‘ Portfoliotheorie Markowitz beschrieb 1952 seine empirische Beobachtung, nach der Anleger ihr Vermögen auf unterschiedliche Anlagetitel aufteilen. So soll das Risiko durch Diversifikation in einem Portfolio minimiert werden. Dabei spielt die Korrelation der Renditen der einzelnen Anlagetitel im Portfolio eine wichtige Rolle. Markowitz erhielt dafür 1990 den Nobelpreis. Die Portfoliotheorie widmet sich der Fragestellung, wie ein Portfolio effizient gestaltet werden kann. Dabei sind zur Berechnung der Effizienz vor allem die erwartete Rendite sowie die Volatilität als Kennziffern von essenzieller Bedeutung. Nach Markowitz definiert sich ein gutes Portfolio durch eine ausgewogene Allokation verschiedener Wertpapiere. Die Rendite wird nach Markowitz als Erwartungswert μ, das Risiko als Standardabweichung definiert. In der Anlageberatung muss berücksichtigt werden, dass die Portfoliotheorie nur ein mathematisches Modell ist. Eine ideale Gewichtung der Assetklassen und Anlagealternativen ist praktisch nicht möglich. Das liegt vor allem daran, dass die modellbasierten Annahmen in der Praxis nicht vorkommen (Beispiel: vollkommener Kapitalmarkt). Zudem müssen Daten wie die erwarteten Renditen, die Volatilitäten und die Korrelationskoeffizienten bestimmt werden. Grundsätzlich ist eine Diversifikation auch in der Praxis umsetzbar und in einer guten Anlageberatung unabdingbar. Aber die konsequente Umsetzung in ein optimal diversifiziertes Portfolio ist nicht möglich. Die Datengrundlage gehört zu den Hauptkritikpunkten an dem Modell. Die Umsetzung der optimalen Portfolioselektion hängt stark von der Datensicherheit ab. Der Zwiespalt besteht darin, dass die zugrunde liegenden Daten historisch sind und der Anleger ein zukünftig effizientes Portfolio anstrebt. Leichte Veränderungen der Modellparameter, z. B. der Kovarianzen, bedeuten eine starke Anpassung des Portfolios. Weicht die Datengrundlage von den tatsächlich eintreffenden Renditen und Volatilitäten ab, ist das gewählte Portfolio sehr schnell ineffizient. Im Anlageprozess der Banken wird oft mit standardisierten Musterportfolien gearbeitet. Mit der Auswahl weniger Musterportfolien lässt sich nur sehr ungenau die tatsächliche Risikobereitschaft der Kunden in ein entsprechendes Risiko- Nutzen-Verhältnis bringen; innerhalb der einzelnen Assetklasse wird oft keinerlei Hinweis auf eine Diversifikation gegeben. Die Risikoreduzierung, die durch die Diversifikation in der Portfoliotheorie erreicht werden soll, wird also im Beratungsprozess ausschließlich durch eine entsprechende, nicht gleichlaufende Korrelation der einzelnen Assetklassen erreicht. Die Korrelation innerhalb der einzelnen Assetklasse bleibt völlig unberücksichtigt; es obliegt ausschließlich dem Berater, darauf hinzuweisen. Es ist also deutlich erkennbar, dass ein optimales Portfolio nicht nur aufgrund der Datenproblematik, sondern bei dieser Vorgehensweise auch durch den Prozess an sich unmöglich zu erreichen ist. Theorie des Gewinnvorbehalts nach Koch Koch erläuterte 1977 seine ungewissheitstheoretische Konzeption. Er veranschaulicht konstruktiv die Problematik des Modells von Bernoulli und trifft Aussagen über das unternehmerische Handeln. Dabei nimmt er Bezug auf das Sicherheitsbedürfnis des Unternehmers sowie auf sein Gewinnstreben. Im Jahr 1996 subsumiert Koch in seiner Monographie alle Erkenntnisse seiner Theorie und untersucht sie auf ihre Möglichkeiten und Grenzen in der unternehmerischen Anwendung. Nach dem Grundgedanken des Modells von Koch strebt die Unternehmensleitung danach, Geld zu verdienen und gleichzeitig die Verdienstquelle zu sichern. Die Theorie setzt an der Problematik der Entscheidungen unter Ungewissheit an. Hierbei gehen viele Ansätze auf die normative Nutzentheorie von Bernoulli zurück, welche jedoch wegen folgender Aspekte umstritten ist: Zunächst wird infrage gestellt, ob mit ihr Risikopräferenzen von Entscheidungsträgern überhaupt adäquat erfasst werden können. Des Weiteren wird hinterfragt, ob diese Theorie auch auf nicht beliebig oft wiederholbare Entscheidungen angewandt werden kann. Insbesondere die Kompensationsmöglichkeit von Gewinn und Risiko, die aus der notwendigen Voraussetzung des Stetigkeitsaxioms erfolgt, wird als problematisch erachtet. Da sich hohe Risiken durch unerwartete Krisen nicht durch entsprechend höhere Gewinnchancen ausgleichen lassen, ist das Sicherheitsbedürfnis dem Gewinnstreben des Unternehmers nicht gleichzusetzen. Hier setzt Koch die Elemente Risikogrenze und Gewinnkriterium an. Er sieht das Sicherheitsniveau als durchführbarkeitsadäquate Nebenbedingung des Gewinnstrebens an. Dies ist der elementare Unterschied zur Portfoliotheorie, die Rendite und Risiko als gleichgeordnete Teilziele definiert. Mit der Theorie des Gewinnvorbehalts lässt sich eine Vielzahl von Risikopräferenzen des Entscheidungsträgers erfassen, und der Gewinn wird als alleinige 02.2016 diebank 17

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